Im Zuge des Golocal-Usertreffens im September 2017 zeigte uns der Organisator, im Beitrag wegen seiner äußeren Erscheinung im Kontrast zu seiner Ausstrahlung als ‚Capo‘ betitelt, Teilnehmer wissen, wer gemeint ist, einen wichtigen Teil seines Heimatstaates, nämlich die gemütlich enge Altstadt der Hansestadt Bremen, die mich angenehm an die steilen Schluchten meiner Gebirgsheimat erinnert.
Zur Mittagsstunde versammelten wir uns gemeinsam mit Hunderten anderer Touristen unter dem Glockenspiel,... weiterlesen das zwar nicht antik war, aber architektonisch höchst interessant den Giebel einer mittelalterlichen Fassade nachempfand. Um die Nacken der Zuhörer zu schonen, werden die Blicke von einer monumentalen ‚Diashow‘ in Höhe der ersten Etage des Gebäudes angezogen. Dort wurden auf umlaufenden colorierten Reliefskulpturen nacheinander berühmte Reisepioniere mit den von ihnen benutzten Vehikeln gezeigt, so der Wikinger Leif Eriksson mit seinem Drachenboot, Magalhaes mit seiner Dreimast-Karavelle, Graf Zeppelin mit seiner luftfahrenden Zigarre und Charles Lindbergh mit seiner ‚Spirit of St. Louis‘. Diese Show war MEIN Genuss, denn mein marodes Gehör konnte das Glockenspiel nicht wahrnehmen, obwohl die Zuhörer ergriffen schweigen, es war einfach zu hoch oben und nicht in der Lage, die zwischen meinen Ohren säuselnde Gasturbine zu übertönen.
Nach dem Event war das Stillen des aufkommenden Hungers angesagt, wir drifteten mit der Menge wieder aus der ‚Schlucht‘ hinaus auf den großen Rathausplatz, dort baute sich der Capo vor uns auf und verkündete, was nun Sache sein könnte, denn er hatte nicht reserviert, wir waren sozusagen vogelfrei. Da er als Ortsansässiger nun mal Insider war, neigten wir dazu, seiner Empfehlung, die Titellocation mit unserer Anwesenheit zu belästigen, zu folgen. Wir folgten ihm also in lockerer Anordnung wie eine Schafherde frei nach dem historischen Vorbild aus Hameln, es fehlte nur die Schalmei. Da der Platz nicht mit Marktbuden vollgestellt war, sahen wir schon von weitem, was uns erwartete: Ein riesiges Regen-Sonnendach über dem Kopfsteinpflaster, unter dem dennoch wetterfeste Gartenmöbel der gehobenen Klasse aufgestellt waren. Das Lokal war recht gut besetzt, kein Wunder um die Mittagszeit, wir würden also wohl schwerlich beisammensitzen können, zumindest sah ‚Capo‘ das zunächst so. Er ließ uns Kraft seiner Persönlichkeit, die doppelt so groß war wie ihre Manifestation, zum Halbkreis auflaufen und teilte mit, dass es sich bei diesem ‚Biergarten‘ um seine Empfehlung handle, das Essen sei gutbürgerlich und mit Liebe zur Sache zubereitet.
Dann kam ein nicht unwichtiger Tipp: Die Toiletten befänden sich im Keller des flachen Zentralbaues, da dort aber umgebaut werde, ist die Treppe dort hinunter immer mal wieder gesperrt. Ersatzweise gebe es im Hintergrund des Tresen einen Aufzug, den man benützen könne, bevor ein Unglück geschieht. Aha! Da ich engagierter Kaffeetrinker bin und keine Gelegenheit auslasse, dieses köstliche Gesöff in ungesund erscheinenden Mengen zu inhalieren und dieses bekanntermaßen ein mächtiger Nierenspüler ist, tue ich stets gut daran, zu wissen wo ich ungestraft kann, wenn ich mal muss.
Zunächst aber möblierten wir die Kopfsteinpflasterterrasse um und gestalteten eine gemütliche Essecke, wo wir uns auch ohne Gestikulieren unterhalten konnten. Im Nu stand ein junger Mann in Locationuniform bei uns und veranstaltete eine freundliche Inquisition nach unseren Getränkewünschen. Ich orderte den für mich typischen möglichst großen Eimer Kaffee, dann machte ich mich auf den Weg, um vorsorglich Platz dafür zu schaffen. Wie war das noch? Rein und gleich rechts die Treppe runter.
Pustekuchen, eine der vom Straßenbau bekannten Scherenbarrieren versperrte mir den Weg. Doch im Hintergrund des Raums lud ein sperrangelweit geöffnetes Tor einer Lastenaufzugskabine zum Betreten ein. Doch das Betätigen des ‚Abwärts‘-knopfes zeitigte weder hör- noch sichtbaren Erfolg. Aber offenbar war mein Begehr beobachtet und zur Kenntnis genommen worden: Einer der Männer hinter der Getränkeausgabe gesellte sich zu mir, machte sich noch länger als er ohnehin schon war und fummelte oben an der Kabinendecke herum. Dann drückte auch er nochmal auf den erwähnten Knopf und verließ eilig die Kabine. Die Schiebetür fuhr zu, es tat einen leisen Knall und verhalten zischend setzte sich die ‚Halle‘ quälend langsam in Bewegung, aha, Antrieb hydraulisch. Nun hatte ich Muße, die ‚Fummelstelle‘ an der Decke mit dem Feldstecher zu begutachten. Wer glaubt, dass ein Schwerlastaufzug auch einen massiven Hauptschalter benötigt, sähe sich hier enttäuscht. Wäre das winzige Kippschalterchen nicht mit einem ‚Klingelschildchen‘ mit der neudeutschen Gravur ‚Mains‘ bezeichnet gewesen und würde ich diese Sprache nicht beherrschen, die Tarnung wäre perfekt. Nach einer gefühlten Ewigkeit gab es einen Ruck, der in keinem Verhältnis zur Geschwindigkeit stand, ich war am Ziel. Pustekuchen, die Steuerung des Aufzugs war anderer Meinung: Es ging noch ein paar Mal zentimeterweise wieder hoch und runter, dann endlich fuhr das Tor auf.
Überraschung: Draußen stand der junge Mann, der die Maschinerie angeworfen hatte. In der Zeit, als ich unterwegs war, hat er vermutlich noch ein paar Pils eingeschenkt und war dann die gesperrte (!!!) Treppe hinuntergeeilt, um mich ggf. zu befreien. Ich trat hinaus und fand mich in einer gut vollgestellten Lagerhalle wieder, sah mich suchend um, entdeckte aber nur eine Stahltür, die mit dem bekannten blauen Behindertenschild bestückt war. Der Mann zeigte auf die Tür: „Das ist es doch, was Sie suchen, oder?“ – „So ungefähr, ich hab aber meinen Rollstuhl zuhause vergessen.“ – „DAMIT hat das Institut bestimmt kein Problem, nur zu!“ – Als ich wieder rauskam, wartete er noch immer. Nein, ich durfte NICHT die Treppe benutzen, die war ja gesperrt. Aha! Also rein in den Aufzug und diesmal kriegt ich es hin, dass sich das Tor schloss. Soweit, so gut, aber mit Losfahren war nichts. Ups? Aber man ist ja Inschenör, da hat man auch seinen Stolz, nix Notruf. Ende vom Lied: Ich musste die Steuerung mittels des erwähnten Mikroschalters zurücksetzen, dann erst lief die Hydraulikpumpe an.
Glücklich oben angekommen und das Rangieren abgewartet öffnete sich die Tür … in meinem RÜCKEN, und zwar hinaus zur Fahrbahn. Jetzt hatte ich die Nase voll von der Unlogik einer Steuerlogik, lief um das Gebäude herum und musste mich von den Freunden fragen lassen, wo ich denn abgeblieben sei und woher ich um alles in der herkomme. Zu diesem Zeitpunkt stand mein Entschluss bereits fest, diesen Slapstick der breiten Öffentlichkeit zu schildern und verwies auf eine demnächst erscheinende Golocal-Anekdote, in der ich auch unter anderem das Futter bewerten will, das ich gleich zu ordern gedenke. Der Service hatte seinen Pluspunkt schon verdient, wenn auch auf etwas unübliche Weise.
Meinen nun umständehalber kalt gewordenen Kaffee stürzte ich mit Todesverachung hinunter bevor sich Entzugserscheinungen einstellen. Er war ursprünglich zwar heiß gewesen, aber meinen recht hoch gezüchteten Qualitätsansprüchen konnte dieses 08-15 Touristen-Teegetränk bei weitem nicht genügen und ich war mit meiner Meinung nicht allein, zwei weitere Freunde gaben ein ähnlich lautendes Urteil ab.
Da ich mittlerweile per Zufall herausgekriegt hatte, dass es sich bei dieser Lokation um die Bremer Dependance eines großen Abfütterungskonzernes handelte, schraubte ich meine Erwartungshaltung stark herunter und orderte ein ‚Sicherheitsessen‘, an dem man nicht viel verkehrt machen konnte: Filetsteak medium mit Pommes und gemischtem Salat. Ich wurde angenehm überrascht: Das Fleisch war von hervorragender Qualität und minutengenau gebraten, außen kross und innen rosig, wie ich es liebe. Die Zutaten des Salates waren so knackfrisch, dass ich vermutete, dass er sich des Morgens noch auf dem Acker am Sonnenaufgang erfreute, nicht ahnend, dass sich der Bauer bereits zur Ernte kleidete. Die Pommes waren natürlich Tiefkühlware, wurden aber originellerweise in einem kleinen Blecheimerchen serviert, was allgemein Heiterkeit erregte. Der Preis war in Ordnung, sodass ich guten Gewissens das Restaurant mit 5 Sternen bewerte und weiterempfehlen möchte, zumindest an eine Klientel, die NICHT auf der Suche nach Gourmet-Tempel oder Spezialitätenrestaurants exotischer Prägung sind, rasch was Ordentliches essen wollen und Abneigung gegen Schnellküche US-Amerikanischer Herkunft entwickelt haben. Das soll keine Kritik sein, deren Fraß ist durchaus sättigend und ernährunswissenschaftlich nachgewiesen unschädlich, aber er schmeckt halt wie A…. & Friedrich.
PS.: Bis hierher reicht der offizielle Teil der Bewertung, nun gibt es noch das Sahnehäubchen, ein zeit- und ortsnahes musikalisches Event der nicht gerade üblichen Sorte:
Auf dem Weg zum Glockenspiel, wo ich mit den Freunden um 11:45 verabredet war, erreichten seit meiner Jugend geliebte Klänge sogar mein marodes Gehör. Kein großes Wunder, in den schottischen Highlands gepflegte Volks- und Militärmusik wird auf Instrumenten intoniert, deren Klang geeignet ist, selbst bei mäßiger Lautstärke große Entfernungen zu überbrücken und demzufolge auch bis in die Knochen des Zuhörers vorzudringen. Gemeint ist die ‚Bagpipe‘, im deutschen Sprachgebrauch etwas abwertend Dudelsack genannt.
Selbstverständlich besitze ich Tonkonserven, aber keine noch so leistungsfähige Stereoanlage ist fähig, das gesamte Klangspektrum auch nur eines Soloinstrumentes wiederzugeben, erst ein Kopfhörer lässt sich so einstellen, dass fast alle schrillen Obertöne durchkommen. Aber es geht nichts über ein Live-Event dieses Genres, genannt ‚Tatoo‘, bei dem ein Pfeiferchor von winzigen, extrem scharf klingenden Marschtrommeln und riesigen Pauken untermalt wird, ganz zu schweigen vom Anblick der exotischen farbenprächtigen Uniformen. Da in meiner Heimat, in der Nachbarstadt Bad Waldsee, ein Musikverein tätig ist, der diesen Brauch engagiert pflegt, und dessen gelegentliche Tattoos ich mir des Öfteren reinziehe, weiß ich, wovon ich schreibe, zumal der Chef der Truppe ein ehemaliger Lieferant für meinen ebenso ehemaligen Arbeitsplatz ist, man sich also kennt.
Ich hatte noch etwas Zeit, also folgte ich den Klängen und fand eine Vier-Mann-Combo mit einem für mich noch nie dagewesenen Anblick: Einer der Männer war ein Mädchen. So, und jetzt kommen wir zu den Vorurteilen eines Mitgliedes unserer mitteleuropäischen Kultur in fortgeschrittenem Alter und mit ausgeprägtem Sinn für Ästhetik, insbesondere für weibliche: Die schottische Nationaluniform ist der Kilt, wie jeder weiß. Für unsere Augen ist der Kilt ein Rock, von einem Mann getragen, weltmännisch akzeptiert und dennoch gewöhnungsbedürftig. Die Länge ist genau bemessen, der Saum flattert eine Handbreit oberhalb der Knies um die strammen Schenkel. Gehören besagte Schenkel aber einem zierlichen Mädchen, wird der Kilt vollautomatisch zum Röckchen und das Ganze für meineneinen zum Hingucker.
Das soll jetzt nicht heißen, dass der Zweimeter-Hüne von Pipemajor nicht gut aussah, im Gegenteil. Ihn konnte man sich in Alltagsklamotten kaum vorstellen, aber er war halt ein Mann, mein Herz flog dem Schätzchen zu, einfach niedlich. Und sie konnte was: Während des getragenen Stückes ‚‘Auld lang syne‘ beobachtete ich sie ganz genau: Sie blies mit total entspanntem Gesicht, während der Chef dicke Backen aufzog. Lautstärke? Ihre Soloeinlage ließ diesbezüglich an nichts fehlen.
Nach dem Stück gab es ein Päuschen und ich wusste inzwischen, wie ich den Pipe-Major ansprechen konnte, ich hatte nämlich eigentlich einen Musikwunsch. Der Rang ist übrigens nicht mit dem eines militärischen Stabsoffiziers zu verwechseln, in der Tat handelt es sich um einen Master-Sergeant, was in etwa unserem Feldwebel entspricht. Ich sah zu ihm hoch, etwas anderes gaben unsere Staturen nicht her, und fragte: „Wo habt ihr denn eure Messer versteckt?“ – „Oh, der Herr kennt sich aus? Wie DAS?“ – „Nur ein bisschen, aber stecken Sie den ‚Herrn‘ wieder ein, Sie machen mehr her.“ – „Dafür kann ich nicht, das ist so gewachsen. Hier schauen Sie mal!“ –
Er zeigte mir seine rechte Wade und tatsächlich ragte unter dem Bund der traditionellen Stutzen ganz unscheinbar das flache Messer mit fest eingebautem Pilotenschein hervor, das also mangels Handgriff vorwiegend zum Werfen geeignet ist. Er wiederholte die Frage, wie ich denn zu meinen Kenntnissen über sein Hobby käme. Ich erzählte ihm von den Tattoos in Bad Waldsee, daraufhin meinte er, das wäre in ihrem Verein auch das normale Auftreten. Was sie hier gerade machten, also Straßenmusik, ist aus reinem Spaß an der Freude, aber als plötzlich einer der zunächst wenigen Zuhörer spenden wollte und die Sparbüchse suchte, klappten sie halt einen Instrumentenkoffer auf, dessen Boden sich dann im Nu versilberte.
DAS war der Zünder für folgenden Deal: „Würdet ihr für mich mal ‚Scotland the Brave‘ spielen, das wäre mir einen Schein wert?“ – Er lachte auf: „Aber gern, das ist wohl das Lieblingsstück jedes nichtschottischen Dudelsackspielers.“ – Sie setzten noch einen drauf, denn das Stück ist Marschmusik, also ordneten sie sich in ‚Schlachtformation‘, der Chef vorneweg, das Mädchen hinter ihm und zum Schluss die beiden anderen Männer zu ihrer Rückendeckung nebeneinander.
Die Instrumente wurden geschultert, der Frontmann hob theatralisch das linke Knie und als er den Fuß stampfend wieder aufsetzte, kam unisono der erste Ton des schwungvollen Stückes, ein dröhnender Bassakkord aus 12 Pfeifen. Sie marschierten im Zuschauerkreis, der sich ganz von selbst vergrößerte, um Platz zu schaffen und ich beobachtete, dass nicht nur MEINE Füße auf der Stelle traten. Das Stück ist recht lang, aber es wurde absolut fehlerfrei und ohne Missklang abgespielt. Auch die Choreografie war perfekt, die letzten Takte wurden am ursprünglichen Platz auf der Stelle getreten und die Musik endete mit dem Knall der zusammenschlagenden Hacken.
Genial, es wurde nicht mit Beifall gespart, ich hielt Wort, legte einen Zwanziger in den Koffer, beschwerte ihn mit Münzen, damit er nicht davonflog, bedankte mich herzlich und verabschiedete mich. Als ich zurückblickte, hatte sich am Koffer eine Wolke von Zuschauern gebildet, die es mir nachtun und Gage loswerden wollten. Da war ich wohl mal wieder, ohne es tatsächlich zu beabsichtigen, zum Leithammel geworden – MÄÄÄÄÄH :-D[verkleinern]