"Um Himmels Willen! Wo treibt die sich denn rum?" Denkt Ihr doch jetzt bestimmt; zumindest, wenn Euch schon bei dem Wort "Kotti" die Nackenhaare hochgehen. Was bei den meisten Berlinern wohl der Fall ist.
Ist was dran-zum typischen Touri-Programm gehört das verrufene Kottbusser Tor wohl nicht. Aber mir passiert es meistens, daß ich durch irgendeinen Zufall in irgendwelche obskure Ecken gerate und hinterher erfahre, daß ich diese Expedition wiederum durch puren Zufall lebendig überstanden... weiterlesen habe.
Auf die Gefahr hin, daß ich jetzt Sympathien von Berliner Kollegen aufs Spiel setze: Ich mag das "Kotti", und daß es sich um einen sozialen Brennpunkt und Drogenumschlagplatz handelt, habe ich erst aus dem Internet erfahren, als ich recherchiert habe, welcher Architekt für das fürchterliche Bauwerk "Neues Kreuzberger Zentrum" verantwortlich zeichnet und an welchem Baum man ihn dafür aufgeknüpft hat. Von irgendwelchen Drogenaktivitäten habe ich nichts mitbekommen. Und ausgefreakte Gestalten stören mich nicht, so lange sie mir nichts tun.
Auf den ersten Blick ist die Gegend um das Kottbusser Tor scheußlich; nicht zuletzt wegen dieser oben erwähnten, satellitenschüsselgepflasterten Bausünde, des mitten reingeklotzten Hochbahnhofs und den allgegenwärtigen „Graffitis“, die weniger mit Kunst als mit Sachbeschädigung zu tun haben. Aber trotz allem hat die Gegend eine Art morbiden Charme. Und wenn man genau hinschaut, findet man hier zu Hauf originelle Lokale und Geschäfte, die mir einfach tausendmal besser gefallen als das steril-hippe Einerlei in Mitte.
Eins meiner Highlights hier: Das Café Kotti. Eine Oase inmitten des wuseligen Chaos, im ersten Stock des Kreuzberger Zentrums. Der Zufall, die Kälte und akute Unterkoffeinierung trieben mich beim ersten Berlinbesuch hinein. Und mittlerweile ist der Laden zu einem Pflichtprogrammpunkt mutiert, wenn der dönerbedingte Pflichtbesuch in Kreuzberg ansteht.
Betritt man das Café Kotti, erschlägt einen zunächst das Mobiliar. Hier wurde wohl jedes Möbelstück und jedes „Accessoire“ vom Sperrmüll oder aus Kellerentrümpelungen organisiert. Von abartigen Plüschsesseln, abgewetzten und durchgesessenen Sofas, scheußlichen Lampen mit Alabasterfuß (die mit den Troddeln am Schirm) bis zu diesen gräßlichen Couchtischen mit Marmorplatte ist so ziemlich alles an Einrichtungsscheußlichkeiten vorhanden, was im letzten Jahrhundert mal modern war, aber wohl nie antik werden wird.
Wäre dieses Lokal in Düsseldorf, würden die In-Magazine jubeln. „Shabby Chic! Vintage! Casual!“Ein Kaffee würde 3 € kosten, das Publikum würde sich aus Menschen mit Hornbrillen und Klapprechnern rekrutieren - und ich würde einen großen Bogen um den Laden machen. Aber das ist Berlin, und hier ist alles anders. Hier ist der „Shabby Chic“ noch lange kein Grund, eine Location zu verschnöseln.
Einem großen Schild an der Bar kann man die Philosophie des „Café Kotti“ entnehmen. Frei zitiert: Hier ist alles erlaubt, außer Drogen und Diskriminierung. Entsprechend sind die Gäste. Jede Altersgruppe und alle möglichen Nationalitäten sind vertreten. Man unterhält sich, liest Zeitung, spielt Schach-und es wird natürlich gequalmt, was das Zeug hält.
Eigentlich war nur ein kurzer Zwischenstop zwecks Kaffeeeinwurf geplant, trotzdem bin ich hier tatsächlich mehr als 2 Stunden versackt. Diese scheußlichen alten Sofas sind einfach zu bequem. Man kommt schnell mit den Sitznachbarn ins Gespräch.Und der Kaffee-gut und stark, von freundlicher Bedienung serviert mit einem Glas Wasser-ist mit 1,50 € mehr als fair bepreist. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag sitzen geblieben:-)
Im Sommer bietet sich die „Außenterrasse“ an, so man denn einen Platz bekommt. Auch hier kann man stundenlang abhängen und das Treiben am Kottbusser Tor von oben begucken. Herrlich!
Die Kneipentauglichkeit des Abends kann ich nicht beurteilen. Aber ich könnte mir gut vorstellen, daß man hier hervorragend sein Absackerbierchen zu sich nehmen kann, wenn das Übernachtungsdomizil mal in Kreuzberg sein sollte. Obwohl-nachdem, was ich inzwischen so gehört hab-der „Heimweg“ über das Kottbusser Tor wohl recht ungemütlich sein kann..
5 Sterne für dieses urige Ding. Ach, gäb’s doch so was auch in Düsseldorf:-/[verkleinern]