Corona aktuell: In der 14. Kalenderwoche 2021 wurde in der Coronabedingt geschlossenen Turmgastronomie ein Covidschnelltestcenter eröffnet.
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Aktualisierung siehe Artikelende!;
Aktualisierung vom 3.5.2014
Nachtrag vom 1.7.2014
Nachtrag vom 28.1.2015
Nachtrag vom 29.8.2017
Nachtrag vom 01.05.2018
Nachtrag vom 06.10.2018
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Berlin hat zwei große Aussichtstürme, von denen man über die Berliner Gewässer blicken kann. Es ist der Grunewaldturm am Großen Wannsee im... weiterlesen Westen und der Müggelturm auf den Müggelbergen zwischen Dahme und Großem Müggelsee im Osten. Um letzteren geht es hier.
Der Standort auf den Müggelbergen im Stadtteil Köpenick geht ins 19. Jahrhundert zurück. Ein erster, nur 10m hoher hölzerner Turm wurde 1880 vom Köpenicker Wäschereibesitzer Carl Spindler (nach ihm ist der Ortsteil Spindlersfeld benannt) auf dem knapp 90 m hohen Kleinen Müggelberg erbaut. Mehr Türmchen als Turm erfüllte er die Erwartungen nicht und wurde 1889 durch einen ebenfalls hölzeren, nun 27 m hohen Turm im chinesischen Pagodenstil ersetzt. Auch hier trat Spindler mit 40.000 Reichsmark als Mäzen auf. Neben dem Turm wurde auch eine Gastwirtschaft erbaut. Eröffnung war am 1.4.1890 und schon bald entwickelten sich Turm und Gastwirtschaft zu einem beliebten Ausflugsziel der Berliner. Von der Aussichtsplattform des Turms hatte man bei gutem Wetter einen 50 km weiten Blick über die südöstliche Berliner Wald- und Seenlandschaft bis hinein ins Berliner Stadtgebiet.
Zwischen 1924 und 1926 wurden Um- und Neuarbeiten am Turmareal durchgeführt. Unter anderem wurden ein neues Restaurant und eine Terrasse gebaut sowie am Nord- (111 Stufen) und Südhang (327 Stufen) der Müggelberge Treppen angelegt. Bei diesen Arbeiten wurden archäologische Funde aus vorgeschichtlicher Zeit entdeckt und später ausgestellt. Im 2. Weltkrieg waren Müggelsee und Müggelberge Orientierungspunkte für die nach Berlin einfliegenden alliierten Bomberverbände. Die frühgeschichtliche Ausstellung im Müggelturm wurde 1942 in die benachbarte, am Dahmeufer gelegene Ausflugsgaststätte „Schmetterlingslust“ ausgelagert und ging dort zusammen mit der weltberühmten Bittner’schen Faltersammlung bei einem Luftangriff verloren.
Als sich 1945 die Front Berlin näherte, wurden die Müggelberge militärisches Gebiet. Der Müggelturm wurde zum Funk- und Artilleriebeobachtungsturm umgerüstet. Mit dem Vorstoß der Roten Armee nach Köpenick im April 1945 sollten der Turm und die benachbarte Bismarcksternwarte von der Wehrmacht gesprengt werden. Dem damaligen Besitzer Walter Wichelhaus gelang es jedoch, die Zündkabel zu zerschneiden und so die Sprengung zu verhindern.
1948 wurden Turm und Restaurant wieder eröffnet. 1956 übernahm die HO Köpenick den Gastronomiebetrieb (HO = Handelsorganisation {der DDR}). Ein Jahr später mußte der Turm wegen Baufälligkeit gesperrt werden. Der (Ost-)Berliner Magistrat (die Ost-Berliner Stadtregierung) beschloß umfassende Sanierungs- und Umbauarbeiten, um den Müggelturm als Ausflugsziel zu erhalten (neues Fundament, Stahlfachwerkskonstruktion für den Turm, Erweiterung der Gaststätte). Vermutlich durch Fahrlässigkeit bei Schweißarbeiten brannte der Turm am Nachmittag des 19.5.1958 vollständig nieder. Wie eine riesige Fackel soll der Turm damals auf den Müggelbergen ausgesehen haben.
Noch im gleichen Jahr rief der „Berliner Zeitung“ zum Wiederaufbau auf und lobte einen Architektenwettbewerb aus. Grundsteinlegung für den Gewinnerentwurf von einem Studentenkollektiv der Kunsthochschule Berlin-Weißensee war am 8.10.1959, wobei der Entwurf dahingehend überarbeitet wurde, daß aus dem ovalem Turmgrundriß aus ökonomischen Zwängen eine rechteckige Grundfläche wurde. Der Neubau wurde vom Staat zu einem Projekt des „Nationalen Aufbauwerks der DDR“ erklärt. Durch 130.000 DDR-Mark aus Spenden und 3700 freiwillige „Aufbaustunden“ der Bevölkerung konnten Turm und Gaststättenkomplex Silvester 1961 eröffnet werden.
Turm und Gaststätte bilden einen homogenen Komplex. Vom neungeschossigen, fast 30 m hohen Turm mit Panoramafenstern und Aussichtsplattform hat man nach Bezwingung von 126 Stufen einen herrlichen Blick auf die Umgebung bis hin zum Berliner Fernsehturm am Alex (wenn der Smog es zuläßt) . Die Gaststätte mit Weinstube und Sonnenterrasse waren ein Besuchermagnet der Ost-Berliner und ihrer Gäste und oft so überlaufen, daß man keinen Platz bekam. Hier befindet sich übrigens auch einer der wichtigsten trigonometrischen Punkte Berlins (Fundamentalpunkt des Koordinatennetzes des Berliner Kartenwerks), der ohne Zustimmung der zuständigen Senatsverwaltung nicht bewegt werden darf.
Die angespannte Material- und Finanzlage in der DDR führte dazu, daß das Areal immer mehr auf Verschleiß gefahren wurde. Nach der Wende in marktwirtschaftliche Zeit verschärfte sich die Lage. Die HO der DDR wurde von der Treuhand abgewickelt, notwendige Investitionen blieben aus und der Müggelturmkomplex wurde zum Sanierungsfall. Die Gaststätte wurde geschlossen und verfiel, ebenso war der Turm nicht mehr betretbar. Vermutlich ist es nur der massiven Bauweise zu verdanken, das Turm, Terrasse und Gaststätte nicht in sich zusammengefallen sind.
Mit der Wende und dem Übergang in Treuhandbesitz begann auch das bis heute andauernde Trauerspiel um die Suche nach neuen Eigentümern und Investoren. Ins Detail kann und will ich an dieser Stelle nicht gehen. Es ist eine Chronologie von Pleiten, Pech und Pannen, gepaart mit Spekulationsgier einiger Investoren (Namen nenne ich absichtlich nicht, will ja keine Unterlassungsklage provozieren, wers wissen will, alles findet sich im www), ungeklärten Besitzverhältnissen und dem Unvermögen politischer Entscheidungsträger im Stadtbezirk und den Forderungen der Denkmalbehörde. 1995 kam das Areal in den Besitz des Landes Berlin unter Verwaltung des Stadtbezirks Köpenick (heute Treptow-Köpenick) und wurde unter Denkmalschutz gestellt Das Trauerspiel um die Nutzung ging aber munter weiter. Mal war dem Land das Nutzungskonzept möglicher Investoren zu massiv für den Standort, mal unternahmen Investoren außer weiteren Verfall zu produzieren nichts. So auch der letzte Besitzer aus Westdeutschland. Selbst eine Änderung des Flächennutzungsplanes mit einer möglichen Abrissgenehmigung für den Gaststättenkomplex brachte keine Lösung.
Immerhin verpachtete dieser Eigentümer 2008 den Kiosk am Müggelturm an einen Existenzgründer. So war für die Besucher immerhin eine minimale gastronomische Versorgung gesichert. Der Pächter des Kiosk, der allerdings bereits unzählige Male Opfer von Einbrüchen, Diebstählen, Vandalismus und Brandstiftung geworden ist, hält seit dem auch den Müggelturm für Besucher offen (Einzelheiten dazu siehe bei golocal „Turmidyll – Imbiss am Müggelturm“)
Da sich der westdeutsche Investor trotz mehrmaliger Mahnungen des Stadtbezirks nicht wirklich um die Immobilie kümmerte, wurde 2012 durch den Stadtbezirk die Rückabwicklung des Kaufvertrages beschlossen, da sic h auch ein neuer, lokaler Investor gefunden hat, der wohl ernsthaftes Interesse am Müggelturmareal hat und dem das Areal mittlerweile auch gehört. Da sich der westdeutsche Vorbesitzer aber weigert, die Rückabwicklung anzuerkennen, und seinen Grundbucheintrag zu löschen, nimmt der neue Besitzer bis zur gerichtlichen Klärung natürlich keine Investitionen vor. Und so verfällt das Gelände weiter. Der Gaststättenbereich ist mittlerweile baupolizeilich gesperrt, der Turm kann aber weiter gegen ein geringes, de facto freiwilliges Entgeld (1,50 € für Erwachsene, zu bezahlen im Imbiss) betreten werden.
Der Besuch des Müggelturm ist was für Wandersleute. Die direkte Zufahrt zum Müggelturm endet auf halber Höhe am Parkplatz und dem Schild „Wirtschaftszufahrt“. Zu Fuß ist der Turm von Süden über Grünau (mit der Fähre) oder von Köpenick-Wendenschloß aus zu erreichen. Vom Norden her erreicht man den Turm ua. von Köpenick über den Müggelheimer Damm ab Gaststätte „Rübezahl“.
Es bleibt zu hoffen, daß es nach einer gerichtlichen Klärung der Eigentumsverhältnisse endlich zu den dringend notwenigen Sanierungsarbeiten und Investitionen kommt, damit der Turm auch für kommende Generationen ein lohnendes Ziel bleibt.
Für den etwas morbiden Turm gibt es 2 Sterne, für die schöne Aussicht und Lage einen Bonuspunkt und für die Hoffnung auf bessere Zeiten den zweiten Bonusstern.
Nachtrag Februar 2014:
Nachdem der bisheriger Besitzer aus Krefeld den Prozeß um die Rückabwicklung des Kaufvertrages verloren hat, steht seit Anfang Februar 2014 das Land Berlin wieder als Eigentümer des Müggelturmareals im Grundbuch. Damit ist der Weg frei für einen Köpenicker Investor frei, der Turm und Restaurant sanieren, bzw. wieder aufbauen und somit zu einem ansprechenden Ausflugsort machen will.
Aktualisierung März 2014:
Anfang April soll das Areal Müggelturm in den Besitz des neuen Investors Mattias Große aus Köpenick übergehen, der dann umgehend mit der Renovierung des Turms und dem Wiederaufbau des Restaurantbereichs beginnen will. Geplant ist eine deutsch- italienische Gaststätte sowie ein Veranstaltungsraum mit Bühne und Platz für ca. 1000 Personen. Außerdem könnte für Trauungen eine Zweigstelle des Standesamtes Köpenick eingerichtet werden. Sollte die Baugenehmigung bis zur Jahresmitte erteilt werden, rechnet Große mit einer Eröffnung im Laufe des Jahres 2015. Aber Fertigstellungstermine bei Bauvorhaben in Berlin sollte man seit der BER-Pleite mit Vorsicht genießen.
Zum 1.5.2014 hat der neue Investor Matthias Große den Müggelturm und die Restaurantruine vom Land Berlin übernommen. Nach Erteilung der Baugenehmigungen durch den Stadtbezirk Treptow-Köpenick soll unverzüglich mit den Sanierungs- und Aufbauarbeiten begonnen werden, Ziel bleibt die Wiedereröffnung des Restaurantbetriebs im Laufe des Jahres 2015. Der Turm ist weiterhin geöffnet (Eintritt 2 € / ermäßigt 1 €)
Es tut sich was - Es wird an der Bausicherung und Bausanierung gearbeitet (siehe Bild vom 1.7.14)
Der Bauantrag für den Restaurant-Komplex wurde endlich gestellt.
Und man hat einen neuen Mitarbeiter eingestellt: den Kaukasischen Hirtenhund Iwan. Seit der den Objektschutz übernommen hat, wurde am Müggelturm nicht mehr gezündelt und eingebrochen! (Berliner Zeitung vom 27.1.2015)
29.8.2017:
Der neue Besitzer läßt kräftig bauen, vor allem am heruntergekommenen Gaststättenkomplex. Dadurch die der Turmgenuss derzeit noch etwas eingeschränkt.
Mittlerweile hat mit der Müggelturm-Baude auch wieder ein kleines Bistro/Café vor Ort geöffnet.
Wer die 200m bergauf vom öffentlichen Parkplatz zum Turmareal scheut, kann auch bis zum Turmgelände fahren. Allerdings werden da dann 5 €uro fällig - egal ob man 15 Minuten oder 15 Stunden parkt.
Und zum Picknick darf man sich auch nicht niederlassen: der Eigentümer hats verboten!
Am 1.5.2018 wurde das gesamte Turmareal einschließlich der Gastronomie nach Abschluss der Wiederaufbau-, Umbau- und Modernisierungsarbeiten mit einer großen Party wiedereröffnet.
06.10.2018: Nun ist auch die gesamte Turmgastronomie wieder eröffnet - insgesamt 3 Restaurants.
Selbstbedienung mit Schlange stehen am Tresen - Erinnerung an DDR-Zeiten.
Man hat nun auch eine Drehtürschranke am Eingang zum Turm eingebaut. Und der Eintrittspreis hat sich glatt mal vervierfacht - auf 4 €uro.
Zutritt gewährt der Einwurf eines Wertchips, den es ungünstiger Weise am gleichen überlaufenen Tresen wie Speisen und Getränke gibt - bedeutet also anstehen für den Erwerb eines Turmchips.
Trotz vierfachen Preises - der herrliche Ausblick vom Turm ist der gleiche geblieben![verkleinern]