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Wie passt ein rosafarbenes altindisches Tor zum steingrauen klassizistischen Alten Museum, dem genauso steingrauen Neo-Barock- und Neo-Renaissance Bau des Berliner Doms und der sandsteinfarbenen Replik-Barock-Stadtschloss-Fassade des Humboldt Forums?
Meiner Meinung nach gar nicht!
Die im Dezember 2022 an der Nordostecke des Humboldt Forums aufgestellte Kopie des Sanchi-Tors ist der neueste Berliner Fehlgriff von Kunst im öffentlichen Raum.
Das Original des Tores gehört zur Großen Stupa von... weiterlesen Sanchi (Indien / Bundesstaat Madhya Pradesh / ca. 40 km nordöstlich von Bhopal).
Stupa’s waren im alten Indien ursprünglich hügelartige Grabanlagen von Herrschern. Später dienten sie auch zur Aufbewahrung von Reliquien Buddhas und bedeutender buddhistische Mönche.
Die Große Stupa wurde während der Regentschaft von König Ashoka von Magadha (Dynastie der Maurya / 304 vuZ – 232 vuZ / König seit 268 vuZ) errichtet.
Um 150 vuZ wurde die Anlage praktisch neu gebaut und auf die heutige Größe erweitert. Die 4 freistehenden Tore, Toranas genannt, wurden um 75 vuZ errichtet – für jede Himmelsrichtung 1 Tor.
Ab dem 12. Jahrhundert wurde der Buddhismus in der Region durch Hinduismus und Islam verdrängt. Die Stupa-Anlagen von Sanchi verfielen und wurden von Pflanzen überwuchert.
Erst 1818, während der britischen Kolonisierung Indiens, wurde der Stupa-Komplex von Sanchi von einem britischen General wiederentdeckt. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Stupas nach Kolonialherrenart geplündert bevor ab 1881 Restaurierungsarbeiten begannen. Von 1912 bis 1919, Indien gehörte als Kaiserreich Indien damals zum Britischen Empire, wurden die Sanchi-Stupas wiederaufgebaut. Seit 1989 steht der archäologische Komplex von Sanchi auf der UNESCO-Weltkulturerbeliste.
Und wie kommt das Östliche Tor der Großen Stupa von Sanchi nun nach Berlin-Mitte?
Es handelt sich um die 2. Kopie einer Kopie einer 1870 in Indien abgenommenen Gipskopie, die 1886 vom Königlich-preußischen Museum für Völkerkunde Berlin in London gekauft wurde und die 2 Weltkriege und 2 Nachkriegszeiten überstanden hat.
Von den alten Gipsformen wurden mit modernster Technik 3-D-Scans angefertigt und anschließend die Formen in rötlichen deutschen Sandstein vorgefräst. Die Feinarbeiten an Ornamenten und figürlichem Schmuck wurden von deutschen und indischen Bildhauern in einer Bamberger Firma vorgenommen.
Da es sich um das östliche Sanchi-Tor handelt, wurde es auch am östlichen Zugang zum Humboldt Forum aufgestellt.
Das fast 10 m hohe Tor besteht aus 30 Einzelteilen, die per LKW von Bamberg in die Hauptstadt transportiert und hier zusammengesetzt wurden. Um den Gesamtkontext besser begreifbar zu machen, wurde neben dem Tor ein kleines Bronzemodell der Großen Stupa aufgestellt.
Im Bereich des Tores wurden Bäume gepflanzt und ein paar Stadtsitzmöbel aufgestellt um eine Art Chill-out-Area zu schaffen – angesichts der wenige Meter vorführenden Hauptstraße ein fragwürdiges Unterfangen.
Was die Initiatoren mit dem Tor beabsichtigen, sagt die Website www.humboldtforum.org: „Die Kopie setzt einen Kontrapunkt zu den rekonstruierten barocken Fassaden und macht bereits außen sichtbar, wofür das Humboldt Forum steht: die Vielfalt der Welt in der Mitte Berlins.“
Außerdem soll auf die „Ausstellungen des Ethnologischen Museums und Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt Forum“ hingewiesen werden (gleiche Quelle).
Das Bildwerk des Tors ist schon interessant: Löwen, Elefanten, sonstige Tiere, vollbusige Damen und andere Menschen, Florales, Ornamente …
Es gibt viel zu entdecken. Exotisch und ein bisschen fremd – aber schön anzuschauen.
Der Gesamteindruck leidet meiner Meinung nach unter dem Standort. Inmitten dieser städtischen Stein-, Beton- und Asphaltwüste kann das Tor nicht seinen Charme entfalten.
Im Großen Tiergarten, in den anderen großen Berliner Volksparks, im Zoo oder im Tierpark würde das Tor vermutlich besser wirken. Aber da würde der Kontext zum Humboldt Forum mit seinen Museen fehlen.
Hier in der Mitte Berlins wirkt das Sanchi-Tor etwas verloren und büßt viel von seiner Faszination ein.
Mit dem Standort kann ich mich zwar nicht anfreunden, aber das Tor an sich gefällt mir ganz gut. Daher 4 Sterne.[verkleinern]