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Das „Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit“ im östlichen Berliner Stadtteil Niederschöneweide (Stadtbezirk Treptow-Köpenick) ist unscheinbar, so unscheinbar, dass ich x-mal dran vorbei gefahren bin ohne es groß zu beachten. Erst ein Zeitungsartikel machte mich neugieriger.
Zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft während des 2. Weltkriegs suchten die Nazi’s andere Möglichkeiten zur Rekrutierung von Arbeitskräften, denn die Männer wurden ja an den Kriegsfronten verheizt.
Teils wurden... weiterlesen KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene in Industrie und Landwirtschaft eingesetzt, teils wurden in ganz Europa sogenannte „Fremdarbeiter“ verpflichtet. Diese Anwerbung funktionierte mitunter freiwillig, meist aber durch Zwang – sprich Verhaftungen und Deportationen ins Reichsgebiet. Daher spricht man heute auch richtiger von Zwangsarbeitern.
Etwa 13 Millionen Zwangsarbeiter setzte das III. Reich während des 2. Weltkriegs ein, die in tausenden Lagern untergebracht waren und von denen nach Schätzungen ca. 2,7 Millionen Menschen starben.
Alleine in der Reichshauptstadt Berlin existierten 3.000 solcher Lager mitten im Stadtgebiet.
Nach dem Krieg wurden die meisten Berliner Lager später abgerissen, fremdgenutzt, überbaut, vergessen …
Eine Übersichtkarte am Eingang zum Dokumentationszentrum zeigt die Verteilung der Arbeitslager über das Berliner Stadtgebiet.
Die Unterbringung der Zwangsarbeiter war KZ-ähnlich, wobei es große Unterschiede zwischen Stadt und Land gab. In den Städten waren die Repressionen stärker als in der Landwirtschaft.
Die Bewachung erfolgte durch Wehrmacht, Polizei, Werkschutz und SS.
Zahlreiche Zwangsarbeiter starben an Misshandlungen, schlechter Ernährung, fehlender medizinischer Versorgung und unzureichendem Arbeitsschutz.
Da die Behandlung der Zwangsarbeiter nach rassistischen Gesichtspunkten erfolgte, war die Sterblichkeit unter osteuropäischen Zwangsarbeitern/Kriegsgefangenen sowie bei KZ-Häftlingen um ein vielfaches höher als bei westeuropäischen Zwangsarbeitern.
Bis 1945 kamen besonders viele sowjetische Kriegsgefangene sowie KZ-Häftlinge bei der Zwangsarbeit bzw. in den Lagern ums Leben.
Zwangsarbeiter wurden geringfügig entlohnt, oftmals mit Ersatzgeld, dass nur in den Lagern galt.
Das Lager in Niederschöneweide ist das einzige noch nahezu vollständig erhaltene Arbeitslager in einem Berliner Wohngebiet.
Es wurde Ende 1943 auf Anordnung des Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt und Reichsministers für Bewaffnung und Munition, Albert Speer (1905-1981) als „GBI-Lager 75/76“ (GBI = Generalbauinspektor) im Stadtteil Niederschöneweide zwischen Adlergestell, Britzer Straße und Rudower Straße errichtet.
Das umzäunte Lager bestand aus 13 steinernen Unterkunftsbaracken, von denen 11 noch erhalten sind, und einer Wirtschaftsbaracke.
Mitten im Wohngebiet und neben der Friedenskirche Niederschöneweide ….
Im Lager waren zunächst über 400 Italiener sowie später 250 weitere Zwangsarbeiter aus anderen besetzten Ländern untergebracht, die in Industriebetrieben in Schöneweide und im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Schöneweide arbeiten mussten.
Ab Februar 1945 wurden in 2 Baracken 200 weibliche KZ-Häftlinge untergebracht, die im Batteriewerk der Pertrix Chemische Fabrik AG (seit 1926 zur Akkumulatoren-Fabrik AG (AFA) gehörend, die heute VARTA heißt) eingesetzt wurden.
Die Italiener wurden nach dem Sturz des italienischen Faschistenführers Benito Mussolini (1883-1945 hingerichtet / 1922-1943 (Sturz) Ministerpräsident des Königreichs Italien) und der italienischen Kriegserklärung ans Deutsche Reich zu Gegnern und Feinden. Italienische Kriegsgefangene und Internierte landeten in deutschen Lagern.
Nach Kriegsende nutze die Sowjetische Militäradministration die Baracken zunächst als Papierlager.
Nach der Übergabe des Lagers an die DDR wurden 6 Baracken vom Impfstoff-Institut der DDR, die anderen Baracken gewerblich und kommunal genutzt, 2 Baracken wurden im Laufe der Zeit abgerissen.
Mit dem Ende der DDR 1990 wurde das Institut abgewickelt, seine Baracken standen leer.
Da es über NS-Zwangsarbeit in Berlin kein Museum oä. gab, beschloss 2004 der Berliner Senat die Einrichtung eines entsprechenden Dokumentationszentrums auf dem Gelände des einstigen „GBI-Lager 75/76“ in den Baracken des ehemaligen DDR-Instituts.
Die anderen Baracken wurden und werden weiterhin gewerblich und kommunal genutzt (Autohaus, Werkstatt, Kindergarten, Sauna, Kegelheim).
Das „Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide“ wurde 2006 eröffnet. Es gehört zur „Stiftung Topographie des Terrors“.
In den Baracken sind Dauer- und Sonderausstellungen zum Thema „Zwangsarbeit im NS-Staat“ zu sehen.
Die Ausstellung „Zwischen allen Stühlen. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1943-1945“ thematisiert die italienischen Zwangsarbeiter, waren doch Italiener die größte Gruppe der in Niederschöneweide untergebrachten Zwangsarbeiter.
Eine weitere Dauerausstellung ist dem Thema „Alltag Zwangsarbeit 19381945“ gewidmet. Einzelschicksale werden mit zeitgenössischen Exponaten und Dokumenten untermauert.
Die Baracke 13 mit Luftschutzkeller kam 2008 hinzu und ist nur im Rahmen einer Führung zugänglich.
Das Dokumentationszentrum ist während der Öffnungszeiten kostenlos und barrierefrei zugänglich. Die Ausleihe eines Audioguide’s ist möglich.
Die schriftlichen Informationen sind auf deutsch, englisch und teilweise auf italienisch.
Fazit: eindrucksvolle Ausstellungen über ein wenig bekanntes und wohl gerne verdrängtes Thema aus der Zeit des Nationalsozialismus.[verkleinern]
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