03.10.2015
Wer den etwas weiteren Weg nach Hohenschönhausen nicht scheut, kann sich heute hier im Rahmen einer Führung informieren.
Heute vor 25 Jahren wurde das Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen geschlossen.
Bei Feierlichkeiten am Liebfauenberg in Frankfurt am Main wird die Gedenkstätte heute mit einem Infostand ebenfalls vertreten sein. Ehemalige Gefangene sowie andere Zeitzeugen stehen dem Besucher Rede und Antwort
Kurzfassung: Auch und gerade weil es heute 25 Jahre... weiterlesen nach dem Mauerfall Menschen gibt, welche diejenigen, die Opfer des SED - Regimes wurden verhöhnen und die Geschichte "schön schreiben" möchten, zeigt, wie wichtig es ist, solche Gedenkstätten zu erhalten.
Daher ist in 1994 diese Gedenkstätte an autentischem Ort geschaffen worden. Die Führungen werden teilweise von Zeitzeugen, d. h. ehemals Betroffenen geführt. Für geschichtlich interessierte ein Muss.
Langversion:
Gestohlene Jugend .... ein Beitrag gegen das Leugnen Vergessen und Verdrängen zur Aufarbeitung Deutscher Geschichte oder
"Freiheit ist immer die Freiheit des anders denkenden !"
(Rosa Luxemburg)
Bei Tageslicht und Sonnenschein einmal ganz nüchtern betrachtet, sieht dieser ehemalige Knast architektonisch auch nicht anders aus als jeder andere deutsche Knast in den 70iger/80iger Jahren .... überall in ganz Deutschland hätte er stehen können, ausgenommen Stuttgart - Stammheim, da er rein äußerlich gar nicht wie ein Hochsicherheitsgefängnis aussieht. Er verfügte über hohe Mauern mit SE - Draht, Wachtürme, Zellentrakt, Küche , Krankenhaus, Hofganganlage, etc..Würde man nicht wissen, dass es sich hier um eine ganz spezielle Haftanstalt gehandelt hat, würde man es gar nicht vermuten ....
Weiß man allerdings, dass es sich hierbei um ein ehemaliges Stasi Gefängnis handelt, dann hat - bei Dunkelheit betrachtet - die Szenerie etwas unwirkliches, gespenstisches .... die Vorstellung darüber, was sich hinter den Mauern in der Genslerstraße 66 über Jahrzehnte abgespielt hat, lässt einen frösteln, ja fast das Blut in den Adern gefrieren ....
Das sorgsam gepflegte Rosenbeet auf dem Rondell im Hof des Areals hat kein Gefangener jemals zu sehen bekommen, denn die Zellen waren mit Glasbausteinen statt Fenstern versehen. Diese schauen einen mit leerem Blick wie die leblosen, kalten Augen eines Toten an ... Wer kann ermessen, was es bedeutet von der Außenwelt abgeschnitten nur Tag von Nacht unterscheiden zu können in einem Raum, in dem die Zeit sich relativiert ohne Ende oder Ziel vor Augen auf ungewisse Dauer .... bis die Seele bricht......
Einst im Jahre 1939 als Großküche der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt fertiggestellt, wurde der zentrale, braune Backsteinbau im Mai 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und zum Sammel- und Durchgangslager für Gefangene umfunktioniert. Von hier aus wurden in ca. 1 Jahr ca. 20.000 Gefangene in andere sowjetische Lager "verschubt".
Nach offiziellen Angaben kamen hier in dieser Zeit in Folge der katastrophalen Lebensbedingungen 886 Menschen um´s Leben, Schätzungen gehen sogar von über 3000 Menschen aus.
Ihre Leichen wurden auf Schuttplätzen und in Bombentrichtern der Umgebung verschart.
Das Lager wurde Ende 1946 aufgelöst und die Gefangenen an andere Ort verlegt, als die Misstände ruchbar wurden.
Etwas später entstand an Ort und Stelle dann das zentrale sowjetische Untersuchungsgefängnis.
Häftlinge mussten im Keller der ehemaligen Großküche fensterlose, bunkerartige Zellen errichten - das sog. "U- Boot".
Die feuchtkalten Kammern waren mehr als spartanisch mit Holzpritsche und Kübel ausgestattet und rund um die Uhr mit einer Glühbirne beleuchtet.
Verhöre fanden vorzugsweise nachts statt und gingen mit Drohungen und körperlicher Gewalt einher. Ehemalige Gefangene berichteten später, dass Schlafentzug, stundenlanges Stehen, tagelanger Arrest oder Aufenthalt in Zellen, die langsam mit Wasser gefüllt wurden beliebte Methoden waren, um zu Geständnissen zu zwingen.
Zu den Inhaftierten zählten neben NS - Verdächtigen mutmaßliche politische Widersacher.
Nach der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Jahre 1951 übernahm dieses das Gefängnis.
Hier litten nicht nur die Streikführer des 17. Juni 1953, sondern auch andere dem Regime in Ungnade Gefallende wie z. B. Walter Janka, Georg Dertinger oder Paul Merker.
Ende der fünfziger Jahre mussten Häftlinge des benachbarten Arbeitslagers einen Neubau mit 200 Zellen und 120 Vernehmerzimmern errichten.
Festgehalten wurden dort insbesondere Menschen, die versucht hatten zu fliehen oder auszureisen oder die wegen ihrer politischen Meinung verfolgt wurden, wie z. B. die Prominenten Rudolf Bahro, Bärbel Bohley und Jürgen Fuchs, aber auch "der einfache Mann von der Straße".
Rund um die Haftanstalt befand sich ein weiträumiger Sperrbezirk. Wer sich zu sehr dafür interessierte, was sich innerhalb des Sperrbezirkes befand riskierte dessen Innerstes selbst kennen zu lernen.
Von der Außenwelt abgeschnitten und von den Mitgefangenen meist streng isoliert, wurden die Gefangenen durch speziell hierfür ausgebildete Vernehmer gezielt mit psychologischen Methoden verhört.
Erst die friedliche Revolution des Jahres 1989, welche im Herbst 1989 die SED - Diktatur stürzte führte zur Auflösung der Stasi und ihrer Gefängnisse.
So wurde Hohenschönhausen im Herbst 1990 geschlossen und auf Initiative ehemaliger Gefangener im Jahre 1994 zur Gedenkstätte, die laut Gesetz die Aufgabe hat "die Geschichte der Haftanstalt Hohenschönhausen in den Jahren 1945 bis 1989 zu erforschen, über Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen zu informieren und zur Auseinandersetzung mit den Formen und Folgen politischer Verfolgung und Unterdrückung in der kommunistischen Diktatur anzuregen".
Ein Ort gegen das Verdrängen und Vergessen !
Da ich an historischen Orten sehr interessiert bin, hatte ich mir schon seit längerem vorgenommen einmal an einer Führung teil zu nehmen, was jedoch bislang daran gescheitert war, dass Hohenschönhausen ziemlich abgelegen ist.
Anlässlich der langen Nacht der Museen in Berlin bot sich nun jedoch die Möglichkeit sogar an einer Sonderführung teilzunehmen, bei der Dinge innerhalb der Haftanstalt gezeigt werden, die sonst nicht bei den regulären Führungen gezeigt werden.
Bei dem die Führung Leitenden, handelte es sich um einen ehemaligen Häftling, der zwischen dem 16. und 24. Lebensjahr DDR - Knäste durchlaufen hatte. Auf sehr lebendige Weise und wie ihm der "Schnabel" gewachsen war, schilderte er das Erlebte sowohl den Inhumanen Umgang mit den Gefangenen, wie auch humane Akte einiger Aufseher. Selbst auf die sehr direkte Frage eines Besuchers, weswegen er dort rein gekommen sei, schilderte er offen seine Geschichte - das machte ihn glaubwürdig und "echt". Kurz gesagt hatte er sich aus einem gesteigerten Gerechtigkeitsgefühl heraus als 16 - jähriger den "linientreuen" Klassensprecher vorgeknöpft und vertrimmt, der meinte, sich alles erlauben zu können und weil er dann obendrein sein Mundwerk nicht halten konnte und seine politische Meinung kund tat, war er dann hier gelandet.
Das kostete ihn seine Jugend in Freiheit oder was man in der ehemaligen DDR eben so als "Freiheit" bezeichnete .....
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Die Umstände seiner Festnahme waren bereits interessant. So wurde er abgeholt und in einem Barkas mit der Aufschrift eines Fischhandels , als Gefangenentransport nicht erkennbar und gut getarnt kreuz und quer durch die Gegend "chauffiert", bevor er in der Garagenschleuse der Haftanstalt wieder aus dem Pferch innerhalb des Fahrzeuges herausgeholt wurde ohne zu ahnen, dass er sich nach wie vor in Berlin befand und ohne zu wissen, wo er sich überhaupt befand.....
Es gab mehrere dieser Fahrzeuge, aber nur eines ist erhalten. Stolz erklärte unser Führer, dass er dieses Fahrzeug wiedergefunden habe.
Auch konnten wir uns davon überzeugen, dass die Verschubung in andere Haftanstalten unter menschenunwürdigen Bedingungen erfolgte. Für den Gefangenentransport umgebaute Waggons der Reichsbahn, die von den Gefangenen sarkastisch als "Grothewohlexpress" bezeichnet wurden, wurden an andere Züge gehangen und so begann eine oft tagelange Reise durch die Republik über Umwege ohne zu wissen wie lange und wohin, die Gefangenen versehen mit einer Minimalversorgung bestehend aus Butterstullen und einer Rolle Drops.
Eine Transportzelle maß 1,25 m x 1,25 m in welche 4 Häftlinge gepfercht wurden. Außer der abgebildeten Sitzgelegenheit unten gab es nichts, auch keine Betten für die Häftlinge. Stundenlang standen die Waggons auf irgend welchen Abstellgleisen in der prallen Sonne ohne hinreichende Lüftung. An den Fenstern, durch die man nicht hindurchsehen konnte die Aufschrift "Flaschen herauswerfen verboten !"
Unser Führer "jagte" dann die ca. 30 Mann starke Besuchertruppe auf einmal in den Waggon. also mir war´s schnell zu viel, obwohl ich nicht unter Platzangst leide und habe dann meinen Freund mal ein paar Bilder vom inneren knipsen lassen .....
Der Aufenthaltsbereich für die Aufsichtspersonen war auch nicht komfortabel, aber es gab eine Küche, Betten, ein Bad und Sitzgelegenheiten sowie eine Art Büro.
Weiterhin wurde uns die im Kellergeschoss des Zellenbaus gelegene Küche gezeigt.
Dort kochten die weiblichen Gefangenen sowohl für die Mithäftlinge als auch für das Personal der Anstalt. Schmunzelnd erzählte uns der Führer, dass die Frauen sich alle Mühe gaben aus den Zutaten ein schmackhaftes Mahl zu bereiten, wenn sie wussten, dass sie für die Häftlinge kochten, während in dem Essen für die Bediensteten schon mal das eine oder andere unappetitliche landete, wenn die Aufsicht ihnen den Rücken zukehrte.... also Abfälle bzw. Müll gab es wenig ....
Neben der Küche befand sich ein Kellergang, in welchem sich die Unterkünfte der weiblichen Gefangenen befanden und auch dort hinein durften wir abschließend noch einen Blick werfen . Dass die Frauen im Kellergeschoss nicht gerade komfortabel untergebracht waren, kann man sich fast denken ..... so ein Knast ist kein 5 - Sterne Hotel ....
Das schlimme im Frauenstrafvollzug war die Art und Weise der Ansprache und Behandlung . Auch die fehlende Privatsphäre war sehr belastend für die inhaftierten Frauen.
Ach ja und Freizeitbetätigung für die Inhaftierten gab es auch neben dem Hofgang in den sog. "Tigerkäfigen" nämlich Lesen . Zur Verfügung gestellte Lektüre: Ein DDR - Kochbuch.
Als er im Herbst ´89 raus gelassen wurde - so berichtete unser Führer - war er wohl der einzige "Ostbürger" der Fluchtpläne schmiedete. Als er abends im Kiez in die Kneipe ging kam es zu einem gewaltigen Missverständnis. Seine Kumpels aus früheren Jahren fragten ihn, wo er denn gewesen sei und er antwortete "auf Mallorca". Sie wollten natürlich ernsthaft wissen, wie es dort war .... was er wiederum für "Verarsche" hielt .... bis sie ihn aufklärten .... die Grenze war offen ! Unglaublich, wofür hatte er all die Jahre gesessen?!
Alles in allem war das doch ein mehr als menschenverachtendes Regime, dem freie Hand gelassen wurde, denn es gab keinerlei Rechtsbehelfe gegen die Untersuchungshaft bzw. Inhaftierung, wie Haftprüfungen, etc. Ebenso wenig gab es Möglichkeiten sich über die Haftbedingungen zu beschweren. Der Gefangene war der Staatswillkür ausgeliefert ....
Die Menschen hier waren nach dem zweiten Weltkrieg - was das politische System anbelangt - vom Regen in die Traufe gelangt, was so manche Einstellung nachvollziehbar macht ..... entweder man arrangierte sich mit dem Regime oder nicht , .......
Sehr beeindruckt, aber auch regelrecht bedient verzichteten wir am späten Abend anschließend auf die sich bietende Möglichkeit an einer weiteren regulären Führung durch den Zellen - und Verhörtrakt teilzunehmen.
Wir mussten das Gehörte und Gesehene erst einmal "verdauen" und so begaben wir uns in nachdenklicher Stimmung auf den Heimweg nicht ohne noch einmal in dem benachbarten Empfangsgebäude Broschüren mitzunehmen und über die zu erwerbende umfängliche Literatur einen Blick geworfen zu haben, wo ich auch fündig wurde ......
Sollten wir wieder Gelegenheit haben, an einer Führung teilzunehmen, gibt es natürlich ein Update mit einer Fortschreibung dieser Dokumentation .....
Einige Fotos von mir findet ihr in der Fotostrecke des Platzes.
Der Besuch dieser Gedenkstätte ist sehr zu empfehlen. Es darf nie jemand behaupten dürfen, das habe es nicht gegeben !
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Übrigens bereits Rosa Luxemburg (Über die Gedenkstätte am Landwehrkanal berichtete ich bereits) brachte es schon auf den Punkt: "Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden"
oder die Langtextversion (gegen Geschichtsklitterung) :
" Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der `Gerechtigkeit`, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die Freiheit zum Privilegium wird."
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