- bestätigt durch Community
- Ausgezeichnete Bewertung
Jetzt habe ich schon so viele Kirche bewertet und für mehr oder weniger schön befunden, dass ich „meine“ Kirche fast vergessen hätte. Die Kirche in der ich getauft wurde in einem Taufbecken, das um das Jahr 1000 entstand, in deren Kindergarten oben auf der Kirchenburg mich die Nonnen getriezt haben (ich erinnre mich noch genau, dass ich eines Tages nicht mehr in den Kindergarten wollte und es lange gedauert hat, bis ich bei meinem Opa mit der Sprache raus kam: „Die haben mir Pflaster auf den... weiterlesen Mund geklebt, da ich beim Frühstücken geredet habe“, erzählte ich ganz zerknirscht. Ich hatte immer so dumme Wurstbrote und meine Freundin Schokostreusel, da wollte ich tauschen). Weiter ging es mit der Kommunion und Firmung und JEDEN Sonntag musste ich mit meinen Eltern in diese Kirche, d.h. mehr mit meiner Mutter und den Großeltern, mein Vater stand immer hinten im Turm, da er den Weihrauch nicht vertrug, sagte es, bis ich ihn mal während der Messe in der Kneipe neben der Kirche gesehen habe, als ich mal zu spät kam. Viel habe ich hier erlebt, selbst dass ich Weihnachten in der Mitternachtsmesse am Pfeiler stehend eingeschlafen bin. Zu der Zeit waren die Kirchen noch voll. Zu der Zeit wurde noch Seelsorge betrieben, es gab noch keine Kirchensteuer. Die Pfarrer mussten damals noch was für ihr Geld tun. Später traf man die Pfarrer höchstens noch nach der Messe im Kolpinghaus und Seelsorge bestand aus der Totenmesse.
Mein Kindheitstrauma Kirche bewegte mich dann, nach meinem Auszug aus dem Elternhaus, nie wieder eine Kirche zu betreten, nur Weihnachten ging ich um des lieben Friedens Willen mit der Familie hier zur Messe. 30 Jahre später entdeckte ich dann meine Liebe zur kirchlichen Architektur und seitdem ist kaum eine schöne oder ausgefallen Kirche vor mir sicher, nur an die Kirchenburg mit der Propsteikirche oder Gertrudiskirche, deren korrekter Name „Propstei St. Gertrud von Brabant“ ist, habe ich nicht mehr gedacht, bis ich kürzlich für meine Mutter ein Rezept bei ihrem Hausarzt abholen musste, der seine Praxis neben der Propsteikirche hat.
Die Kirche ist der heiligen Gertrud geweiht (625 bis 659 in Nivelles im belgischen Brabant). Eine Reliquie der heiligen Gertrud befindet sich im Altar. Während der Ausgrabungen in den Jahren 1977 bis 1980 fand man hier Überrest von mindestens 3 anderen Kirchen. Die älteste aus dem 9. Jahrhundert. Auf deren Fundament wurde im 12. Jahrhundert eine romanische Basilika errichtet. Die dritte, ursprünglich romanische Kirche, die über die Jahrhundert gotisiert wurde, wurde bis auf den Turm abgerissen und dieser Turm aus dem 12. Jahrhundert, war die Grundlage der heutigen Propsteikirche. Sie gilt als Ursprung der Christianisierung in Wattenscheid und durch die erhöhte Lage der Kirchenburg schon immer ein wichtiger Zufluchtsort in Wattenscheid. Während des 30 jährigen Krieges wurde Wattenscheid in Schutt und Asche gelegt, nur der Turm und das Taufbecken auf der Kirchenburg blieben unberührt. Wie auch in Gelsenkirchen wurde um diese Kirche die Stadt errichtet, sie war also der Mittelpunkt Wattenscheids und steht somit im Stadtteil Wattenscheid Mitte.
Das heutige Wahrzeichen der einstmals selbständigen Stadt, die heute zu Bochum gehört, wurde von 1868 – 1872 unter Einbezug des Kirchturms neu errichtet. Da die Kirchenburg begrenzten Raum bietet, wurde sie mehr breit als lang gebaut und weist 5 Schiffe auf, 3 Hallenschiffe und 2 Seitenschiffe. Einige Jahre später wurde der Turm erhöht und misst nun 65 Meter. Auch heute noch hat er das umfangreiche Geläut in Bochum, das aber nie oder selten komplett genutzt wird. Zu überhören ist es aber trotzdem nicht.
Im Laufe der Jahre wurde auch diese Kirche mehrfach renoviert und umgebaut. So war ich heute erstaunt, als ich sie betrat. Nichts war mehr wie in meiner Jugend, nur die vielen wunderschönen Fenster leuchteten wie eh und je in vollem Glanz. Für mich wird das Innere der Kirche durch die Fenster bestimmt aber auch der neue Chorraum ist sehenswert. Viel moderner und ansprechender als in meiner Jugend. Rechts daneben im Seitenschiff steht das über tausend Jahre alte Taufbecken, das auch mich schon in den Schoß der katholischen Kirche aufgenommen hat. Die Reliefs zeigen die Geburt, Taufe, Kreuzigung und Auferstehung von Jesus. Das Becken wird von vier Löwen getragen. Es soll um 1190 erbaut worden sein und ist damit einer der ältesten Taufsteine dieser Art in Deutschland.
Ich müsste mich sehr täuschen aber der Altar von meiner Jugend wurde nun im hinteren Teil der Kirche aufgestellt, alle Teile kamen mir noch so sehr vertraut vor, sei es der als Engel geformte Osterkerzenständer, der Tabernakel und selbst der Altar und das Kreuz dahinter. Heute dient es als Friedensaltar der im Krieg Gefallenen.
Auf der anderen Seite befindet sich hinten der Marienaltar mit der Inschrift "Heilige Gottesmutter Maria, Trösterin der Betrübten", davor einige Bänke. Die mit 45 Registern ausgestattete Orgel ist neueren Datums, sie wurde 1982 eingeweiht.Natürlich darf auch die Schutzpatronin nicht fehlen. Von ihr gibt es ein Gemälde und 2 Statuen und ein neues Fenster ist ihr geweiht. Wenn man die Kirche durch das Hauptportal verlässt, sieht man es gleich über der schweren, eichernen Tür: Natürlich ist die Frauengestalt der heiligen Gertrud dort abgebildet, die Niveller Stiftskirche, die Wattenscheider Propsteikirche und der Kontinent Europa mit kleinen Markierungen, wo sich die Kirchen befinden, von denen Gertrud die Schutz-Patronin ist.
Nun stand ich wieder auf der Kirchenburg, direkt am Eingang meines früheren Kindergartens. Die neuen Eindrücke haben mich sehr bewegt. Es hat sich gelohnt nach 30 Jahren mal wieder in diese Kirche zu gehen[verkleinern]