"Nackte Tatsachen" waren rund um 1900 in der damaligen Kunst zwar beliebt, doch in den öffentlichen Raum haben sie kaum Einzug gehalten. Diese Auftragsarbeit ist wohl eine der wenigen Ausnahmen, die mir bekannt sind. Doch, wenn ich ehrlich sein soll, habe ich diesen männlichen Akt für wesentlich jünger geschätzt, als es tatsächlich ist! Die kraftstrotzende Pose erinnert an jene heroischen Darstellungen, die heute eher in einem sehr negativem Kontrast des 20. Jahrhunderts angesehen werden: die... weiterlesen verfemte Kunst der Nazizeit. Mag sein, dass nur meine Einbildung mir einen „Streich“ gespielt hatte, doch bei dem Aufstellungsort vor dem Dresdener Hygienemuseum hat das ganze gar nicht so unrealistisch auf mich wirken lassen.
Dieser Ballwerfer wurde vom Bildhauer Richard Wilhelm Daniel Fabricius (*23. Februar 1863 in Berlin - 19. Oktober 1923 in Dresden) gestaltet. Wie man es seinen Lebensdaten entnehmen kann, seine Hauptwerke, dich bis heute nachweisbar sind, wurden in der späten Kaiserzeit erstellt. Es stellt sich dennoch eine Frage, wann es genau erfolgt ist: die Quelle, die ich bei meinen Funden in der sächsischen Landeshauptstadt in den letzten Monaten zur Rate zog, gibt an, dass es 1907 einige hundert Meter weiter gewesen sein soll. Laut eines zeitgenössischen Fotos soll es aber bereits 3 Jahre zuvor gewesen sein! Auf die kommt es aber ehrlich gesagt, nicht mehr an…
Die Skulptur wird auch mehrmals als die wichtigste Arbeit von Fabricius angesehen. Bis ins Jahr 1983 stand sie auf dem Gelände des erst 2009 neueröffneten Rudolf-Harbig-Stadion. Bereits davor aber gab es schon im frühen 20. Jahrhundert diverse Sportstätten, die zur körperlichen Beträtigung angeregt haben. In diesem Kontext kann man auch diesen jungen Mann verstehen. Als Vorbild für diese Darstellungen diente der Achtkämpfer, Ringer und (aus heutiger Sicht) Kraftsportler Ewald Redam (1884-1947). In Verbindung mit dem vorher erwähntem Museum steht der Ballwerfer seit 1911. In der Ausstellung des Hygienemuseums steht ein gläserner Mann im Mittelpunkt und sie stehen beide in Beziehung zu einander: der gesunde Mensch und die Erkenntnisse in Medizin und der Gesundheit sollten dadurch verdeutlicht werden. Da ich aber das Haus an meinem letzten Tag in Dresden ausschließlich von außen gesehen habe, möchte ich es bei diesem Verweis belassen.
Trotz der besonderen Hintergrundgeschichte ist es einer der Kunstwerke im öffentlichen Raum, die mich nachdenklich stimmten. Irgendwie gehört diese, auch wenn es deren Erscheinung nicht erkennen läßt, getriebene Kupferskulptur nicht zu meinen Favoriten in der Stadt. Nach längerem abwägen finde ich es (sehr großzügig betrachtet) allerhöchstens nur OK, was ich auch vergebe. Man kann wie immer anderer Ansicht sein, doch so richtig „meins“ ist der Ballwerfer nicht! Wenn man in diesem Bereich unterwegs sein sollte, kann man sie sich dennoch anschauen, wie ich es (eher durch Zufall) ebenfalls getan habe.[verkleinern]