- bestätigt durch Community
- Checkin
- Ausgezeichnete Bewertung
Ein erster Versuch zur Besichtigung der Dorfkirche Hedersleben (20 km nordwestlich von Halle/Saale und 5 km nordöstlich von Lutherstadt Eisleben) im Frühjahr 2017 war krachend gescheitert. Zwar war der auf dem Aushang an der Kirchentür genannte Kirchengemeindevertreter telefonisch erreichbar, aber irgendwo auswärts unterwegs.
Ein Jahr später wurde der Besuch besser geplant. Per Mail wurde kurzfristig ein Termin vereinbart.
Die Kirche mit dem Kirchhof/Friedhof liegt im oberen Teil des Orts... weiterlesen und ist über eine Treppe von der Hauptstraße aus zu erreichen. Wer sich das Treppensteigen ersparen will, kann den automäßig zu erreichenden Zugang am Mansfelder Weg im Norden nehmen.
Bereits äußerlich ist zu erkennen, dass die Kirche im Laufe der Jahrhunderte gewachsen ist.
Wie uns berichtet wurde, haben archäologische Ausgrabungen belegt, dass der Hederslebener Kirchberg uralter Kirchengrund ist. Schon zwischen 770 und 850 wurde eine erste hölzerne Kirche oder Kapelle wohl von Mönchen des Klosters Hersfeld erbaut.
1262 wurde in dem 1060 urkundlich erstmals erwähnten Hedersleben ein Tochterkloster des Zisterzienserinnen-Klosters Helfta (bei Eisleben) gegründet.
Vom Kloster wurde dann auch zeitgleich mit dem Bau der heutigen Felssteinkirche begonnen, die dem Heiligen Simon und dem Jünger Judas gewidmet wurde. Aus dieser Zeit stammt der südöstliche Turm am Kirchenschiff. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde die Kirche erweitert und umgebaut.
Seit 1357 gehörten Kloster, Kirche und Ort dem Orden der Augustiner-Chorherren.
Das Ende des Klosters Hedersleben kam im Deutschen Bauernkrieg. 1525 wurde von einem aufständischen Bauernhaufen geplündert, niedergebrannt und von den Augustiner-Chorherren aufgegeben.
Mit der Reformation wurde aus der katholischen Dorfkirche eine protestantische Dorf- und Patronatskirche der verschiedenen Herderslebener Guts- und Amtsvorsteher.
1587 ließ der Oberst und Rittergutsbesitzer Ernst v. Mandelsloh (1522-1602) die Kirche erweitern. Im 30jährigen Krieg (1618-1648) wurde Hedersleben zerstört und lag wüst. Ab 1642 erfolgte eine langsame Wiederbelebung des Dorfes.
Unter dem neuen Rittergutsbesitzer, dem Magdeburger Domherren und vormaligem Hofmarschall von Herzog August v. Sachsen-Weißenfels (1614-1680 / reg. ab 1656), Georg Hiob Marschall v. Bieberstein (1625-1683, auch Georg Job genannt), wurde die Kirche erneut erweitert und erhielt im Innern hier heutiges barockes Aussehen.
Der letzte große Umbau erfolgte nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Aus den reichlich fließenden französischen Reparationszahlungen an das junge Deutsche Reich zweigte der Staat wohl einige Mittel ab und bedachte ua. die evangelische Kirche mit einem Geldsegen.
Die Hederslebener Dorfkirche erhielt jedenfalls 1885 ihren markanten 32m hohen roten Backsteinturm und wurde grundlegend saniert.
Später wurden die finanziellen Mittel spärlicher. Vor allem in der DDR-Zeit schrumpfte sowohl die Zahl der Gemeindemitglieder als auch der Kirche das Geld für notwenige Instandhaltungsmaßnahmen. Die 40 Jahre Verfall nach 1949 sind auch heute noch erkennbar.
Nach den einführenden Worten zur Geschichte der Kirche betraten wir die Kirche. Im Vorraum zum Kirchenschiff fällt an der Wand ein Rundschildform gehaltenes sogenanntes „Nagelkreuz“ aus den Tagen des 1. Weltkriegs auf. Damals war es im Deutschen Reich üblich, als Kriegsspende Nägel zu kaufen, die dann in hölzerne Figuren, Türen oder Bretter geschlagen wurden. In Hedersleben bilden die Nägel ein Eisernes Kreuz (siehe Foto).
Im Kirchenschiff fällt der Blick sofort auf den barocken Kanzelaltar mit seinen beiden fast lebensgroßen Flügelfiguren, Moses mit den 10 Geboten und Johannes den Täufer darstellend. Hinter der Kanzel ist auf einem Ölgemälde Jesus mit Dornenkrone und Heiligenschein dargestellt.
Abgeschlossen wird der Altar im oberen Teil durch eine weiße Taube und die figürliche Darstellung der Himmelfahrt Christi.
Flankiert wird der Altar von mehreren Engeln, die z.T. Wappenschilde tragen.
Rechts vor dem Altar befindet sich die mit Bibelsprüchen verzierte Patronatsloge, an die sich eine Empore anschließt. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine weitere Empore.
Dem Kanzelaltar gegenüber befindet sich die Orgelempore mit einem spielbaren Instrument vom Ende des 19. Jahrhunderts mit 968 Pfeifen, wie uns eindrucksvoll demonstriert wurde.
Da die Hederslebener Kirchengemeinde früher wohl nicht gerne bei den Gottesdiensten fror, baute man, vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts, einen großen verzierten gusseisernen Ofen ein, der heutzutage aber nicht mehr befeuert wird.
Der Taufstein stammt aus dem Jahr 1877 und wurde von Albertine Florstedt, Ehefrau des damaligen Amtsvorstehers und Rittergutsbesitzers, gestiftet.
An der Wand in der linken Empore hängt, ein wenig versteckt, ein kunstvoll verzierter, jetzt aber restaurierungsbedürftiger großer, wappenverzierter etwa mannshoher Bilderrahmen (ohne Bild) der Familie Marschall v. Bieberstein aus dem 17. Jahrhundert.
Zu den Besonderheiten der Kirche gehören die Glocken. Ursprünglich besaß die Kirche 2 Glocken: Die „Kaiser-Wilhelm-Glocke“ und die „Ewigkeitsglocke“.
Nach der Wiedervereinigung fasste die Gemeinde den Entschluss, die Hederslebener und ihre Gäste mit einer Art Glockenspiel zu erfreuen und schaffte bis heute 3 weitere Glocken an: „Otto“, „Sophia“ und „Dominica“.
Das Glockengeläut kann über den zu dieser Location eingebundenen youtube-Link angehört werden.
Ebenfalls seit 1990 wurde und wird intensiv an der umfangreichen Sanierung und Instandsetzung der Kirche gearbeitet – für die kleine Kirchengemeinde ein Herkulesaufgabe, die ohne Sponsoren und Spenden nicht zu bewältigen ist.
Fazit: Interessante und schön ausgestattete Dorfkirche mit etwas Patina.
Wer sie besuchen will, kann es spontan versuchen, ob einer der Schlüsselgewaltigen erreichbar ist.
Der sicherere Weg ist aber der einer Terminvereinbarung per Telefon oder Mail (unter „Kirchen“ und „Ansprechpartner“ auf http://www.hedersleben.eu)
Eintritt wird nicht verlangt, Spenden werden aber gerne entgegen genommen.[verkleinern]