"Immobilienfritzen" teilen Innenstädte in 1A- bis 2B-Lagen ein. Mieter von Ladengeschäften in 1A-Lagen zahlen horrende Mieten und müssen sich deshalb an der Nachfrage der Mainstream-Konsumenten orientieren, um ihre Kosten zu decken und darüber hinaus auch noch möglichst hohen Profit einzufahren. Und der Mainstream-Kunde kauft bekanntlich teure beziehungsweise billige Klamotten, Handys und andere angesagte Produkte mit dem angebissenen-Kernobst-Logo und so weiter und so weiter ... Was man in... weiterlesen
deutschen Fußgängerzonen mittlerweile an Geschäften vorfindet, ist deshalb einfach nur noch monotoner und zum Gähnen langweiliger Einheitsbrei.
Das Ladengeschäft von Günther Roth befindet sich vermutlich in einer 1B- oder schlechteren Lage. Ein Glück, dass es in der Freiburger Innenstadt nicht nur 1A-Lagen gibt. Denn in den von der Massenlaufkundschaft verschonten Sträßchen und Gässchen der Stadt an der Dreisam findet man vereinzelt (noch) Läden wie die von Günther Roth.
Wenn meine Frau und ich Freiburg besuchen, steht sein Kunsthandwerkslädchen seit Jahrzehnten ganz weit oben auf dem Zettel meiner Frau. Ich geb's offen zu: früher blieb ich gerne draußen vor der Tür und wartete mehr oder weniger geduldig, bis meine Frau alles angesehen und das eine oder andere Schätzchen gekauft hatte, weil mich das Sortiment nicht interessierte.
Seit einigen Jahren gehe ich aber sehr gerne mit und schaue mir die vielen liebevoll dekorierten kleinen und größeren Dinge auch an. Vielleicht liegt es daran, dass man sich mit zunehmendem Alter häufiger an die Kindheit und die besonderen Momente an Weihnachten und in der Vorweihnachtszeit erinnert, die das Kinderherz höher schlagen ließen.
Ganz sicher ist aber auch der Ladeninhaber selbst an meinem wiedererweckten Interesse an handwerklich schön und hochwertig hergestellten kleinen Dingen schuld. Herr Roth führt sein Geschäft seit mehr als vier Jahrzehnten und ist sich bei der Gestaltung des Sortiments stets treu geblieben.
Denn man findet bei ihm eben nicht den Schund und Plunder, der in anderen Shops alljährlich in der Vorweihnachtszeit aus den Kartons geholt wird, um ein paar schnelle Euro zu verdienen.
In Günther Roths Laden ist das ganze Jahr über Advent, und die von ihm angebotenen Artikel sehen noch so aus, wie sie in meiner Kinderzeit ausgesehen haben:
+ Keine Weihnachtsmänner, die Opfer der Globalisierungswelle wurden, mit rotem Einheits-Coca-Cola-Mantel und Rentier.
+ Keine süßliche, scheinbar konsumanregende, bei mir aber Brechreiz erzeugende Weihnachtsmusikbeschallung.
Die Weihnachtsmänner bei Günther Roth sehen so aus, wie sie in meiner Kindheit ausgesehen haben und wie ich sie live erleben durfte: ältere Männer mit verwegenen Vollbärten, vor denen es einem etwas gruselte, im langen Mantel, der aber nicht immer rot war. Außerdem war "mein" Weihnachtsmann nicht der "Einheits-Nikolaus" oder Santa Claus, sondern der Weihnachtsmann (in meiner Heimat "Belzmärte" genannt), begleitet von Knecht Ruprecht und dem Christkind. Dieses Trio kam am Heiligen Abend bei uns zuhause vorbei, verbreitete zuerst Angst und Schrecken bei uns Kindern und verteilte am Ende trotzdem Geschenke. Mein Vater entlohnte diese Gestalten vor dem Verlassen des Hauses mit Geld und Schnäpsen. Was zuvor vermutlich auch andere Väter getan hatten. Denn mein Elternhaus war das zweitletzte Haus vor dem Ortsende, sodass die geistige Entlohnung kurz vor Feierabend deutliche Wirkung bei Gangart und Sprachgewandtheit zeigte.
Günther Roths Weihnachtsmänner kommen aus dem Fränkischen und werden handwerklich aufwändig unter Verwendung von Marolin, einer seit über 100 Jahren in Thüringen fabrizierten Gussmasse, hergestellt. Die Weihnachtskugeln kommen zum Beispiel aus Österreich. Mit seinen Lieferanten, häufig Ein-Mann- oder Eine-Frau-Betriebe, unterhält Günther Roth seit vielen Jahren Geschäftsbeziehungen. Teilweise sind daraus laut Aussage von Herrn Roth auch Freundschaften geworden.
Leider werden die Lieferantinnen und Lieferanten - wie auch der Händler selbst - nicht jünger und stehen vor dem Problem, dass es an Nachfolgerinnen oder Nachfolgern fehlt. Meine Frau und ich drücken Herrn Roth beide Daumen, dass er trotz gesundheitlicher Probleme noch möglichst viele Jahre Freude mit seinem Geschäft hat und es in gute Hände abgeben kann, wenn er irgendwann einmal in den Ruhestand geht.[verkleinern]