29.03.2016
Kurzfassung: Einmalige, sehenswerte barocke Friedhofsanlage diesseits der Alpen
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Eine Zeit lang war es in Mode geraten, auf Golocal Friedhöfe zu bewerten und so habe ich auch einige besondere, schöne und parkartige "Gottesacker" hier vorgestellt.
Heute aber möchte ich einen einzigartigen Friedhof der deutschen Renaissance vorstellen, auf welchen ich in einem angeregten Gespräch mit einem Wahl - Halloren auf einem Empfang... weiterlesen hingewiesen wurde.
Er dürfte tatsächlich einmaliges Zeugnis spätmittelalterlicher Sepulkralkultur diesseits der Alpen sein.
Meine Frage, wo denn dieser außergewöhnliche Gottesacker in Halle zu finden sei, erhielt ich die Antwort, dass sich dieser in der Nähe des als Gebäude übrigens ebenfalls sehr sehenswerten Landgerichts befände.
Wenn man weiß, was man sucht, ist es natürlich ganz einfach. Der unbefangene Betrachter, der zufällig auf die hellen hohen Mauern stößt, meint jedoch, eher auf eine mittelalterliche Bastion gestoßen zu sein, als auf einen Camposanto.
Angelegt wurde der quadratische , von hohen Mauern umgebene Hallesche Stadtgottesacker bereits im 16. Jahrhundert im Zusammenhang mit einer mittelalterlichen Stadterneuerung.
Als im Jahre 1530 die beiden gotischen Kirchen am Markt - St. Marien und St. Gertruden - bis auf die Türme abgerissen wurden, um auf dem Areal die noch heute dort befindliche, imposante Marktkirche zu errichten, fielen die beiden dazu gehörenden Friedhöfe den Planungen aus Platzmangel zum Opfer.
Die Verlegung des Friedhofs auf den Martinsberg, damals noch außerhalb der Stadtmauern war außergewöhnlich, denn bis dahin war es üblich die Toten in der Nähe der Lebenden neben den Kirchen zu bestatten.
Das Gelände wählte man deshalb aus, weil hier in den vergangenen Jahrhunderten bereits die unzähligen Pesttoten verscharrt hatte.
Die Verlegung der Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern - wie sie sich im späten Mittelalter in vielen Städten und Orten vollzog - war also eine Wende in der bis dahin gepflegten Sepulkralkultur.
Die Gestaltung und der Bau der Friedhofanlage mit ihren Mauern und kunstvoll behauenen steinernen Schwippbögen im Innenhof erfolgte unter der Leitung des Baumeisters Nickel Hoffmann.
Dabei entstand bis zum Jahre 1594 ein mit 94 (!) umlaufenden Arkaden und ornamentgeschmückten Gruftbögen versehenes Bauwerk im Stil der Renaissance.
Mehr noch, es entstand ganz im Sinne der Reformation und Martin Luthers ein "feiner stiller Ort".
Berühmte Bürger der Stadt Halle fanden hier in den vergangenen Jahrhunderten ihre letzte Ruhe. Einige Grablegen, jedoch nicht alle, sind auch heute noch erhalten.
Viele Grabstätten wurden im Laufe der Jahrhunderte leider verändert und dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst.
Auch der Zahn der Zeit nagte an den Grabstätten, Bombardierungen im zweiten Weltkrieg führten zu teils starken Zerstörungen und die Jahrzehnte danach ließen diesen Ort zu einem Ort des Zerfalles, Schauderns und Grauens werden.
Dank einer Millionenspende nach der Wende und aus Denkmalpflegemitteln konnte der Camposanto durch detailgetreue, aufwändige Restaurierungen wieder ganz im Sinne Martin Luthers zu einem "feinen, stillen Ort" werden.
Soweit die Gräber und Gruften noch in ihrer Ursprungsform erhalten sind, kann man sie als wichtige Zeugnisse einstiger Sepulkralkultur besichtigen.
Heute finden dort wieder Bestattungen statt. Allerdings haben ausschließlich Halloren, die mindestens 40 Jahre in Halle gelebt haben ein Recht darauf, dort ihre letzte Ruhe zu finden.
Während Hund und Mann die Umgegend erkundeten, begab ich mich durch das Südtor in diese Oase der Ruhe inmitten der aufstrebenden Stadt.
Fasziniert von der Vielfalt der Gestaltung der Schwippbögen und Grabsteine wandelte ich entlang der Arkaden, bog jedoch bald auf das Gräberfeld in der Mitte ab, um Angehörige, die die Ruhestätten ihrer Angehörigen besuchten, nicht zu stören.
Ein blaues Frühlingsband zog über den Himmel und die ersten Frühlingsboten schienen das Blau des Himmels und das Gelb der ersten wärmenden Sonnenstrahlen in sich aufzusaugen. Unzählige blaue Scilla übersäten die Gräber. Auf dem einen oder anderen Grab fühlten sie sich wohler als auf anderen.
Besonders rührend fand ich jedoch ein einzelnes Grab welches über und über mit zart gelben Wildprimeln übersäht war.
Hier und dort zog mich eine über dem Grab wachende trauernde Pieta in ihren Bann, so dass ich vollkommen die Zeit vergaß und nach fast einer Stunde von einem ungeduldig wartenden Mann mit Hund vor dem Südtor mit seinem Glockenturm erwartet wurde.
Gerne hätte ich noch an diesem "feinen, stillen Ort" etwas verweilt, aber der Tag rief und sollte uns noch an andere spannende und interessante Orte führen.
Die Öffnungszeiten findet man in dem Torbogen durch den man den Stadtgottesacker betritt. Das Tor zum Camposanto wird morgens geöffnet. Die abendlichen Schließzeiten richten sich nach dem Eintritt der Dunkelheit.
Wer Ruhe und Beschaulichkeit in der Nähe der historischen Innenstadt sucht, der wird sie hier finden.[verkleinern]