Herr He startete Ende Mai 2015 in den Räumen, in denen sich seit 1971 das Shanghai befand, eines der ältesten China-Restaurants Hamburgs. Das Lokal wurde renoviert und bietet in modernem Ambiente Dim Sum und andere Gerichte aus Südost-China und Hongkong.
Bei meinem ersten Besuch wählte ich von der Mittagskarte Hühnerfleisch „Kung Pao“ mit Gemüse und Cashewnüssen (6,80 Euro, Stand: Juni 2015). Diese Speise aus der Provinz Sichuan ist seit sehr langer Zeit mein chinesisches Lieblingsgericht.... weiterlesen Davon gibt es zwei Varianten – eine aus Sichuan mit dem prickelnden,. leicht betäubenden Szechuanpfeffer und goldbraun frittierten Erd- oder Chashewnüssen, und eine westliche mit Ingwer, Knoblauch und gerösteten Erdnüssen. Die Version von Herrn He entsprach keiner von beiden. Es fehlte der Szechuanpfeffer; und sollte das Gericht Knoblauch und Ingwer enthalten haben, dann nur in homöopathischen Dosen. "Kung-Pao"-Huhn hatte also bei Weitem nicht die Geschmacksvielfalt, die es eigentlich auszeichnet.
Viele Gerichte bei Herrn He enthalten laut Speisekarte Geschmacksverstärker, der aber zum Beispiel beim Kung-Pao-Huhn auf meinen Wunsch weggelassen wurde. Bei der zum günstigen Mittagstisch gehörenden Gemüsesuppe war das nicht möglich, sie schmeckte aber selbst mit chemischer Nachhilfe eher fad.
Herr He hat mit zehn verschiedenen Tropfen eine recht gute Weinauswahl (der badische Graue Burgunder ist süffig und kostet 3,90 Euro/0,2l), eine leckere Neuentdeckung war der 54-prozentige Rosenschnaps Mei Kuei Lu (3,50 Euro).
Eigentlich ist es ein bisschen unfair, ein kantonesisches Restaurant ausgerechnet auf der Grundlage einer Sichuan-Speise zu bewerten. Daher sage ich ausdrücklich: Hier ist noch Luft nach oben. Beim nächsten Mal werde ich eine kantonesische Spezialität probieren – bei Herrn He gibt es davon einige, die nicht zum Standardangebot durchschnittlicher eingedeutschter chinesischer Restaurants gehören. Das Ambiente, der freundliche Service und die zivilen Preise haben auf jeden Fall schon mal vier Punkte verdient.
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Nachtrag am 9. August 2015: Bei meinem zweiten Besuch vor ein paar Tagen konnte Herr He punkten. Aus der feinen Dim-Sum-Auswahl probierte ich Gao Choi Gao. Die gedämpften Teigtaschen, gefüllt mit Schnittlauch und Garnelen, die ich schon in mehreren anderen Restaurants genossen habe, waren überdurchschnittlich gut - fein gewürzt und innen knackig.
Bei dem Gericht, das ich als Hauptspeise wählte, bedauerte ich, dass der chinesische Originalname auf der Karte nicht ins lateinische Alphabet übersetzt wurde, so dass ich Details hätte nachschlagen können (die Kellnerin spricht nicht wirklich gut Deutsch).
Hinter "Gekochter Hühnerkeule serviert mit Ingwer-Lauch-Sauce, nach kantonesischer Art" verbargen sich nämlich zerhackte lauwarme Keulen mit separat gereichter Sauce. Beides war sehr schmackhaft, und mir war diese Zubereitungsart in ähnlichen Versionen auch schon bekannt. Diese Spezialität ist aber eher als einer von vielen Genüssen geeignet, von denen man sich in großer Runde jeweils ein paar Happen gönnt. Als Hauptgericht für einen einzelnen Gast ist die Geschmackskeule nicht spannend genug.
Wegen der sehr viel überzeugenderen Speisenqualität bei meinem zweiten Besuch erhöhe ich die Punktzahl von 3 auf 4.
Sympathisch war bei meinem zweiten Besuch übrigens ein kleiner Nebenaspekt: Ich hatte vorher einen Empfang mit chinesischen Berufskollegen besucht, die mir eine mir bislang unbekannte Nudelspeise aus der Sichuan-Provinz empfohlen und deren Namen mit Mandarin-Schriftzeichen aufgeschrieben hatten.
Als ich der Kellnerin den Zettel zeigte, nahm sie ihn in die Küche mit und meinte dann: Das Gericht könne Herr He für mich zubereiten, aber ich müsse vorher anrufen, weil er die dafür erforderlichen Nudeln erst speziell besorgen müsse.
Das ist Kundenorientierung! :-)[verkleinern]