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Diese kleine Familienapotheke, die vom Inhaber und seiner Gattin mehr oder größtenteils alleine geführt wird, ist seit einigen Jahren meine Lieblingsapotheke. Sie ist von beiden Allgemeinärzten, die in jüngster Zeit die Gebrauchsspuren der Antiquität, die sich mein Luxusbody zu nennen beliebt, zuspachteln, per pedes erreichbar. Somit erübrigt sich eine erneute Suche nach einem Abstellplatz für die Kalesche, deren 105 Zossen in der engen Altstadt doch etwas auftragen.
Die nun doch schon 5... weiterlesen Jahre andauernde Stammkundschaft, während der ich zu Beginn jedes Quartals einen Stapel roter Zettel mit fast immer den gleichen Inschriften vom höllischen Doktor die 200 Meter hinübertrug in meine Lieblingsapotheke führte doch allmählich zu einer gewissen Vertrautheit, sodass Frau D. mit der Zeit meinen persönlichen Bedarf an rezeptpflichtigen Giftstoffen an Lager legte. Zu meiner Überraschung auch das verderbliche Insulin, das im Kühlschrank aufbewahrt werden muss.
Dies im Kontrast zum bisherigen Standard: „Des müss‘mer bschtelle, morge z‘ Middag isches do… Went Se’s glei zahla?“ – ICH nenne das Risikominimierung auf Kosten meiner Krankenkasse und meines Geldbeutels, denn wenn ich das Zeugs NICHT abhole, wird es vor Ablauf des MHD gewinnbringend, weil bereits bezahlt, an den Nächstbesten verhökert. Ich habe meine Vermutung mal angedeutet, und allein die stürmische Vehemenz, mit der dies geradezu beleidigend in Abrede gestellt wurde, erhärtete meinen Verdacht. Mal ganz abgesehen davon, dass zwischen meinem Domizil und Kißlegg hin und zurück rund 30 km zu fahren sind, was nicht nur Zeitverlust, sondern auch Betriebskosten für die 105 Zossen generiert. Und das nur, weil ein Händler sein Risiko auf den Kunden abwälzen will.
Aber nicht so Frau D.: Mein Insulin lag immer im Kühlschrank, und wenn zufällig mal Laufkundschaft Bedarf hatte, kriegte er es und innerhalb von 24 Stunden lag frisches im Kühlschrank. So viel zur Standardversorgung.
Wenn aber so etwas passierte wie das Vorlegen von Verordnungen, für deren Inschriften noch nie oder nur ganz selten Bedarf besteht, sollte man sich schon etwas in Geduld fassen, zumal der Apothekengroßhandel medizintechnisches Zubehör nicht führt und die Apotheke dieses auf krummen Wegen organisieren muss, was zwangsläufig mit Lieferzeiten verbunden ist. In diesem Fall gab ich die Verordnungen am Montagnachmittag ab, am Samstag rief mich Frau D. an, jetzt sei alles im Haus und könne abgeholt werden. Da mir am Samstagvormittag nie ein Untersatz mit Rädern zur Verfügung steht, vertröstete ich sie auf Montagnachmittag, es sei ja nichts Verderbliches dabei und so schnell stirbt sich’s nicht.
Ich erwähne immer nur FRAU D., aber einen HERRN D. gibt es auch, er ist ja DER Apotheker, s.Z. Magister pharmaziae. Er, ein wirklich würdiger älterer Herr, etwas gebeugt und mit selbstleuchtend weißem Haar, kümmert sich ausschließlich im Hintergrund um Angelegenheiten seiner Profession, und zwar mit sehr bedächtigen und gemessenen Bewegungen, die seinem Alter wohl zustehen. Er überlässt den Kundenkontakt lieber seiner Gattin, die jünger und etwas fixer ist. Aber an einem Vorfall erlebte ich, dass immer noch ER der Meister ist:
Der höllische Doktor verschrieb mir nämlich eine seiner berühmt-berüchtigten Pampen, die es im Handel nicht gibt, weil der Wirkstoff giftscheinpflichtig ist. Er brauchte 2 seiner roten Zettel, um die Zusammensetzung des Endproduktes zu dokumentieren, die legte ich in der Gallus-Apotheke vor. Große Augen, Debatte im Labor, von Fr. D. überbrachtes Resümee: „Den Wirkstoff müssen wir direkt beim Hersteller ordern, hoffentlich hat er ihn in der verordneten Menge vorrätig. Und wenn er da ist, muss mein Mann ihn strecken, wie der Doktor es verordnet hat. Das dauert noch einmal gut einen Tag, weil es arg umständlich ist.“ – Mir wurde himmelangst, was sollte denn dieser Aufstand bloß kosten? 3 Tage später fiel ich aus allen Wolken als Fr. D. mir das Büchsl mit der Pampe überreichte und mir dafür die obligaten 5 € Rezeptgebühr abknöpfte.
Der Slapstick kam aus der Versenkung, als ich wieder zuhause war: Ich erbrach das Siegel ‚Nur von Herrn M.M. zu öffnen!‘ – schraubte den Deckel ab und blickte auf eine geschlossene Fläche mit einer kleinen Öffnung im Zentrum, viel zu klein selbst für den kleinen Finger. Aber wie sollte ich nun an meine zähe Pampe kommen.
Wie war das noch mit Daniel Düsentrieb: ‚Dem Inschinör ist nix zu schwör…‘ – Am Ende trug ich doch den Sieg über die Tücke des Objektes davon. Aber erst nach einer guten Viertelstunde, nämlich als ich beherzt den seltsamerweise drehbaren Boden über den schwergängigen Anschlag hinaus würgte und sofort eine schneeweiße Raupe aus dem Loch im herauskroch. Lippenstiftmechanik.
Aber wie Herr D. das zähe Zeugs in das atomschlagsichere Büchsl hineinpraktiziert hatte, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben.
Abschließend möchte ich persönlich dem Wunsch Ausdruck verleihen, dass das betagte Ehepaar D. noch recht lange den Antrieb hat, ihr Lebenswerk fortzuführen. Dies nicht gerade uneigennützig, denn ich möchte mir auf meine alten Tage nicht nochmal eine Stammapotheke suchen müssen. Wer weiß, was DORT dann abgeht?[verkleinern]
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