Der historische Gasthof „Zum weißen Schwan“ gehört zu den ältesten Profangebäuden in Rippach (Sachsen-Anhalt / ca. 20 km südwestlich von Leipzig).
Einen Gasthof gab es an dieser Stelle bereits seit 1541. Auch dieser Gasthof hatte schon illustre Gäste:
1632 weilten hier im 30jährigen Krieg (1618-1648) vor der Schlacht bei Lützen (16.11.1632) der kaiserliche Feldherr Albrecht v. Wallenstein (1583-1634 ermordet) und sein General Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim (1594-1632 tödlich... weiterlesen
verwundet).
Auch der preußische König Friedrich II. legte im 7jährigen Krieg (1756-1763) vor der Schlacht bei Roßbach (5.11.1757) im alten Gasthof eine Pause ein.
Der heutige Gasthof wurde 1733 als Post- und Ausspannstation mit Gastwirtschaft an der alten Poststraße Weißenfels-Leipzig im damals noch kursächsischen Amt Pegau erbaut.
Tausende Reisende und Gäste hat der Gasthof in den über 280 Jahren seiner Existenz erlebt. Einer von ihnen war 1793 der Dichter Heinrich v. Kleist (1777-1811). Und Johann Wolfgang v. Goethe (1749-1832), der hier mehrmals verweilte, widmete dem Gasthof einige Worte in seiner Tragödie „Faust I“:
„Ihr seid wohl spät von Rippach aufgebrochen? Habt ihr mit Herrn Hans noch erst zur Nacht gespeist?“
Dieses Zitat ist auf einer Tafel an einer Wand des Gasthofs nachzulesen.
Außerdem ist hier noch ein alter kursächsischer Grenzstein mit den Jahreszahlen 1625 und 1733 eingemauert.
Auch ein Hauch Weltgeschichte umweht den Gasthof. Am 1.5.1813, dem Tag vor der Schlacht bei Großgörschen zwischen Franzosen und ihren Verbündeten auf der einen und einer preußisch-russischen Armee auf der anderen Seite, übernachtete der französische Kaiser Napoleon Bonaparte (1769-1821 / Kaiser der Franzosen von 1804-1814 sowie 1815) im „Weißen Schwan“.
Ob der am selben Tag ca. 300m nordöstlich vom Gasthof bei einem Erkundungsritt tödlich verwundete französische Marschall Jean-Baptiste Bessières (1768-1813) auch in den Gasthof gebracht wurde, konnte ich nicht ermitteln, aber die Vermutung liegt nahe, denn am Gasthof ist auch eine Gedenktafel in französischer Sprache angebracht.
Auf ihr sind die Lebensdaten, Titel und einige hohe Auszeichnungen des Marschalls vermerkt.
Die Gedenkworte Napoleons auf der Tafel „Er lebte wie Bayard“ und „Er starb wie Turenne“ beziehen sich auf 2 Personen der französischen Militärgeschichte:
Pierre de Terrail, Chevalier (Ritter) de Bayard (1476-1524) diente unter 3 Königen von Frankreich: Charles VIII. (1470-1498 tödlicher Unfall / König ab 1483), Louis XII. (1462-1515 / König ab 1498) und Francois I. (1494-1547 / König ab 1515).
Er zeichnete sich als Kämpfer und Feldherr aus. Für seine Verdienste wurde er von König Francois I. noch auf dem Schlachtfeld in der Schlacht bei Marignano (heute Melegnano / Italien-Lombardei) am 13. und 14.9.1515 zum Ritter geschlagen. Er wurde bei der Verteidigung des Sesia-Übergangs bei Gattinara (Italien – Piemont) von einer Arkebusenkugel tödlich verwundet. Terrail galt als letzter Ritter Frankreichs und als „Ritter ohne Furcht und Tadel“ – einen Titel, den der spanische Schriftsteller Miguel de Cervantes (1547-1616) später für seinen Romanhelden „Don Quijote“ übernahm.
Henri de La Tour d’Auvergne, Vicomte (Vizegraf) de Turenne (1611-1676) gilt als einer der hervorragendsten Feldherren Frankreichs. Er brachte es bis zum Marschall von Frankreich und zum Maréchal général des camps et armées du roi (Generalmarschall der Feldlager und Armeen des Königs), dem höchsten militärischen Titel, der im königlichen Frankreich insgesamt nur 7x verliehen wurde.
Wie Bessières wurde auch Turenne bei einem Erkundungsritt getötet. Am 27.7.1675 wurde er vor der Schlacht bei Sasbach (Baden-Württemberg) von einer Kanonenkugel in die Brust getroffen und tödlich verwundet.
Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege verlor Sachsen das Gebiet und Rippach wurde 1815 auf dem Wiener Kongress dem Königreich Preußen zugesprochen.
Mit dem Ende des Postkutschendienstes im 19. Jahrhundert wurde aus der Post- und Ausspannstation im Laufe der Zeit ein reiner Gasthof mit Übernachtungsmöglichkeit.
In der DDR gehörte Rippach zum Bezirk Halle/Saale und seit der Wiedervereinigung zu Sachsen-Anhalt.
Die Kriege Napoleons, 2 Weltkriege und 40 Jahre DDR überstand der alte Gasthof mit laufendem Betrieb. Nach 1990 kam langsam das Aus. Über 200 Jahre waren nicht spurlos an den Gebäuden vorbei gegangen, zumal in der DDR vermutlich nicht viel oder nicht genug zum Erhalt beigetragen wurde.
Bis etwa 2015 oder 2016 war der „Weiße Schwan“ eine beliebte Gaststätte. Fortschreitender Verfall der Bausubstanz führte dann aber zur Schließung.
Schon von der Straße sieht man dem Gebäude den maroden Zustand an. Laut Internet sind Teile des Gasthofs mittlerweile eingestürzt oder abgerissen.
Der komplette Abriss wird wohl nur durch den gleich zweifachen Eintrag in der Landesdenkmalliste von Sachsen-Anhalt verhindert: Einmal als einzelnes Baudenkmal und einmal als Bestandteil des Denkmalbereichs Leipziger Straße.
Auf den Gasthof bin ich nur durch Zufall auf der Suche nach dem Bessières-Denkmal aufmerksam geworden. Die Gedenktafeln und ein ziemlich dilettantisches Wandbild, dass wohl Napoleon darstellen soll, weckten meine Neugier. Der Schlussstein des alten Eingangsportals trägt die Jahreszahl 1676 und den Buchstaben „K“. Darüber ist ein Relief mit dem namensgebenden Vogel angebracht.
Eine Info zum Haus vor Ort gibt es nicht.
Fazit: wenn man in Rippach ist, kann mal mal kurz anhalten, schauen und sich vom Hauch der Geschichte umwehen lassen.
Schade dass das alte Gebäude scheinbar dem Verfall preisgegeben ist.[verkleinern]