Kurzbewertung: eine ganz besondere Mischung aus der harten Wirklichkeit der Textilarbeiter, die den "Spion" immer reicher gemacht haben, denn damals gab es keinen, der irgendwas reguliert hätte, weder die Vergütung, noch die Arbeitszeiten, erst recht nicht die Arbeitsbedingungen. Dem Gegenüber kann man das Gegenteil sehen: luxuriöses Anwesen der Unternehmerfamilie Brügelmann. Es ist wirklich etwas besonderes, wenn man in der Nähe sein sollte, auf jeden Fall besuchen!
Ausführlich:
Wer weißt... weiterlesen es schon, dass die erste maschinelle Webmaschine auf dem europäischen Festland ein Produkt der Industriespionage im ausgehenden 18. Jahrhundert gewesen ist?! Dem Textilunternehmer Johann Gottfried Brügelmann ist dies gelungen. Im Haus „Cromford“, das nach der gleichnamigen englischen Ortschaft, wo Richard Arkwright als erster solche Maschine patentieren ließ und es auch betrieb.
Es wird vermutet, dass Herr Brügelmann (hier sieht man eine moderne Adaption des Portraits des genannten) in den 1770-er Jahren in Basel von dieser Apparatur erfuhr. Laut der eigenen Familienchronik soll er vergeblich versucht haben, sie im Siegerland Nachbauen zu lassen, so geschah, dass 1783 eine Wasserbetriebene Spinnmaschine (Waterframe) mit Hilfe der eigenen List in seinen Besitz kam:
Es heißt, dass er sich selbst als Spinner in die arkwrightsche Fabrik geschmuggelt hatte und dort solange arbeitete bis er alle Teile der Maschine nachbauen konnte. Das geschah aber heimlich in dem er kleinere Ersatzteile beiseite schaffte bis er glaubte, sie zuhause nachbauen zu können!
In einem Brief an den Kurfürsten Karl Theodor schreibt er hingegen, "Er habe einen ergebenen Freund in England, der ihm die Sachen besorgt habe". Es ist aber denkbar, dass er dem Regenten gegenüber keine Industriespionage zugeben wollte!
Durch die Weberaufstände in seinem Geburtsort Elberfeld und Oberbarmen (heute beide zu Wuppertal gehörend) entschloss er sich nach einem passenden Gelände umzusehen. Das fand er in der Nähe von Ratingen und zwar in Amt Eckamp dort stand eine stillgelegte Ölmühle mitsamt Mühlenrecht an der Anger vor den Stadtmauern Ratingens, nahe der Wasserburg Haus zum Haus. Der Kurfürst gewährte ihm für 12 Jahre ein Privileg auf den Betrieb mechanischer Spinnereien.
Seit dem Jahr 2010 ist es – nach einjähriger Sanierung – erstmals in seiner Geschichte komplett der Öffentlichkeit zugänglich. Im dortigen Museum kann man die Geschichte der Garnherstellung von der Baumwollpflanze bis zum fertigen Produkt sehen, dabei machen die tadellos funktionierenden Maschinen dies für den Besucher nachvollziehbar, wenn eine Gruppe kommt, wird diese angeschaltet, doch falls es so sein sollte, am besten die Ohren zuhalten, denn es ist sehr laut.
Das Museum setzt sich aus zwei Gebäuden zusammen: dem Herrenhaus und den Produktionsstätten. Zu der damaligen Zeit stellte es eine technische Besonderheit der Region dar: Die Spinnerei mit ihren 5 Stockwerken war eins der ersten „Hochhäuser“ Ratingens! Die Manufaktur beschäftigte schon bei deren Eröffnung rund 400 Arbeiter, für das 18. Jahrhundert eine extrem hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass um 1780 dieser Marktfleck 1600 Einwohner zählte! Kurz nach dem Tod des Gründers im Jahr 1802 waren es sogar 600!
Diesen Abschnitt stellt in der Firmengeschichte den Höhepunkt dar, denn nachdem das Privileg erloschen ist, entstanden neue und modernere Fabriken in der Umgebung, dennoch deren Betrieb dauerte bis in die 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Von dem ehemaligen Betriebsgelände ist nicht mehr viel erhalten, denn größtenteils entstanden dort Eigentumshäuser. Die beiden von mir erwähnten Gebäude sind übrig geblieben.
Im Herrenhaus kann man mit einem Audioguide die Familiengeschichte nachvollziehen, die sich in den Jahren 1782 bis 1846 in diesen Mauern abgespielt hat.
Das Highlight dabei ist im Herrenhaus zu finden und zwar ist es der Gartensaal in der so genannten "belle étage" mit drei Landschaften, die an die französischen Vorbilder der Zeit erinnern. Diese sind mit Blumengirlanden eingerahmt. Zu sehen ist zu einem eine Waldlandschaft mit Wasserfläche und Gebäuden, sowie eine Ideallandschaft mit kleineren Tempeln, die ebenfalls an einem Teich gelegen ist. Schon diese sind die recht aufwendige Anfahrt wert.
Bei beginn des Rundgangs erhält man kostenlos gegen einen Pfand einen Audioguide, der den Besucher auf eine Reise mitnimmt, die einem Geheimnisse erzählt nicht nur von den repräsentativen Bau und seinen Bewohnern, sondern wie das privilegierte Leben in seinen Mauern verlaufen ist. Es ist wirklich sehr interessant, doch eins soll man reichlich mitbringen: Zeit...
Die Parkplätze sind ca. 500 m vom Eingang entfernt. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln muss man von der Haltestelle Hauser Ring sogar 15 min Fußweg einplanen.
Der zuletzt genannte Raum kann für private Veranstaltungen (für höchstens 30 Personen) gebucht werden. Bei Interesse lohnt sich eine Anfrage. Siehe auch:
http://www.industriemuseum.lvr.de/schauplaetze/ratingen/vermietung.htm
Das Museum ist bis auf die Sonderausstellungsfläche in der letzten Etage für Rollstuhlfahrer Zugänglich. Hinter den beiden Gebäuden kann man ebenfalls die Schritte der Herstellung, die unbedingt im Freien ausgeführt werden mussten anhand einiger Tafeln nachvollziehbar gemacht.
Aufnahmen kann man für private Zwecke innerhalb beider Gebäude machen mit der gleichen Ausnahme wie oben. Der Eintritt ist mit 4,50 bzw. 3,50 € es wert investiert zu werden. Daher kann ich nur die Topbewertung geben. Hoffentlich habe ich mit meinem Beitrag auch Leute dazu begeistern können, die sonst nicht den Weg hierin finden würden, wünschenswert wäre es allemal![verkleinern]