FILZSCHUHE AUS DEM ERZGEBIRGE
DAS KLISCHEE
Noch vor kurzem hätte ich mir nicht vorstellen können, daß ich mal etwas Positives zum Thema „Filzpantoffeln“ schreiben könnte. Und als mir meine Frau bei einem Erzgebirgsurlaub sagte: „Sieh doch mal: die schönen Filzschuhe im Schaufenster!“ war ich froh, gleich das Thema wechseln zu können: „Das Gasthaus da vorne sieht doch urig aus, laß uns doch mal reingehen“. Zu sehr gehörten Filzschuhe für mich zu den drei „spießigen Effs“: „Fritten,... weiterlesen
Flaschenbier und Filzpantoffeln“. Vor meinem geistigen Auge sah ich dann noch einen Mann namens „Manni“ mit Kippe im Mund, im trägerlosen Unterhemd und in ballonseidener Jogginghose auf dem Sofa RTL 2 gucken... Okay, so weit also die launig formulierten Vorurteile. Und jetzt zur Realität, die schon damit beginnt, daß der Proll in seiner „Wohnhaftanlage“ ohnehin keine Filzpantoffeln trägt, sondern wohl eher Adiletten...
DAS MATERIAL
Filz ist ein wunderbares Naturmaterial – und wird völlig zu Unrecht mit Begriffen wie „Behördenverfilzung“ oder „Korruptionsfilz“ in Verbindung gebracht. Filz, lege artis verarbeitet, ist gute Wolle, nichts als Wolle und vor allem: sehr viel Wolle. Und im Erzgebirge weiß man seit Jahrhunderten, was gegen die Unbilden der Natur und die langen harten Winter auf den Gebirgskämmen hilft: eben Wolle von den eigenen Schafen, die dann gewalkt bzw. verfilzt wird. Aber Filz kann mehr als nur warmhalten. Filz ist auch atmungsaktiv, man schwitzt einfach nicht so schnell darin. Filz ist auch überraschend leicht, wenn man bedenkt, wieviel Wolle in jedem Stück Filz verarbeitet ist. Er ist zwar nicht wasserdicht, aber doch relativ lange wasserabweisend und läßt sich gut reinigen, wenn das denn überhaupt mal nötig sein sollte. Eine der wenigen Manufakturen, die im Erzgebirge das alte Handwerk der Filzschuhherstellung hochhalten, ist das kleine Familienunternehmen SEIDEL, das der Schuhmachermeister Martin Seidel 1927 gründete. Heute fertigen dort seine Enkel, die Gebrüder Manfred und Bernd Seidel in hergebrachter Handarbeit ihre Schuhe und Pantoffeln. Die Manufaktur liegt im idyllischen Örtchen Cranzahl. Wer schon mal im Erzgebirge war: in Cranzahl liegt der Bahnhof der Fichtelbergbahn, und nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt befindet sich die Schuhmanufaktur.
DIE SCHUHE
Welche Schuhe fertigt man dort? Grundsätzlich kann man unterscheiden: (1) Filzpantoffeln und (2) Filzschuhe. Filzpantoffeln sind hinten offen: klassische Pantoffeln eben. Ich selber ziehe die Filzschuhe vor: sie sind geschlossen, haben eine feste Fersenkappe, die außen noch mit einem Lederstreifen verstärkt ist: man hat einfach ein „Schuhgefühl“ beim Tragen. Zwei Arten von Sohlen werden angeboten: eine Filzsohle und eine sogenannte „Porosohle“, die zusätzlich auf der Filzsohle angebracht ist: das ist eine helle, gummiartige Kunststoffsohle, die keine Schlieren auf dem Parkett hinterläßt. Die Filzsohle ist natürlich weicher und man gleitet damit über den Boden, sie hat aber u. U. auch den Nachteil, daß man auf glattem Boden eher mal rutscht. Ich selber bevorzuge deshalb die Porosohle. Dadurch hat man einen festeren Auftritt, und auch der Gang zum Postkasten oder über den feuchten Rasen ist möglich. Die Farben sind durchweg ein dunkles und ein helles Naturgrau, jeweils mit einer grünen Randborte rund um den „Fußeinstieg“ – die wird übrigens von der Ehefrau des Chefs mit einer alten Nähmaschine angenäht. Mittlerweile gibt es auch andere Farben, so ein frisches Apfelgrün und ein ausgesprochen fröhliches Rot. Aktuell sind bei mir 2 Paar „im Einsatz“: ein naturgrauer Filzschuh aus „genadeltem“ Wollfilz und ein rotes Paar aus „gewalktem“ Wollfilz – was das jeweils genau bedeutet, erläutern die Gebr. Seidel auf ihrer Homepage. Der genadelte Wollfilz ist eher etwas steifer in der Konsistenz, während der gewalkte Wollfilz vor allem innen sehr weich und – ja eben „wolliger“ anmutet. Und das bringt uns zum Thema „Qualität“.
DIE QUALITÄT
Sage und schreibe 15 Arbeitsschritte sind zur Herstellung nötig, und wenn ich mich erinnere, dauert es jeweils mehrere Stunden, bis dann das fertige Filzschuhpaar vor einem steht. Denn jedes Paar wird nach klassischer Schuhmachertradition auf den Leisten gezogen. Bei beiden meiner Filzschuhe war ich überrascht über die Dicke und Dichte des Filzes: die Gebrüder Seidel sparen wirklich nicht an der Wolle! Die Schuhe tragen sich komfortabel, sie sind im Winter warm, aber eben im Sommer nicht zu heiß. (Übrigens: bei Seidel gibt es auch Einlegesohlen aus Filz für normale Schuhe). Die Schuhe sind materialecht, ohne jeden modischen Schnickschnack (der einem morgen ohnehin schon auf die Nerven ginge), und die Verarbeitung ist hervorragend. Und für mich zudem wichtig: man fühlt sich in den Filzschuhen nicht als „Pantoffelheld“, sondern einfach „gut angezogen“. Aktuell (März 2018) kosten Filzpantoffeln so ab ca. 23 Euro (eine Variante aus Mischfilz schon ab knapp 17 Euro), Filzschuhe aus Nadelfilz knapp 25 Euro und aus gewalktem Filz knapp 33 Euro. Mal ehrlich: das ist nun wirklich nicht zuviel für echte Handarbeit (angesichts des Arbeitsaufwandes eher noch zu wenig...). Erhältlich sind sie natürlich vor Ort in der Cranzahler Werkstatt, zudem auch bei vielen Händlern oder am einfachsten im Internetshop der Gebr. Seidel:
http://www.filzhausschuh.de
Wer einmal Filzschuhe aus der Manufaktur der Gebr. Seidel hatte, der wird jedes Billigangebot beim Discounter von Pantoffeln aus sogenanntem „Filz“ links liegen lassen (hohnlachend natürlich...). Für mich auch wichtig: es handelt sich um gute, traditionelle Handarbeit, wie sie im Erzgebirge seit Jahrhunderten heimisch ist. Hier wird also nicht auf irgendein chinesisches Lohnsklaven-Produkt ein Schummel-Etikettchen „Made in Germany“ aufgeklebt. Hier steht völlig zurecht auf den Schuhen: „Echt Erzgebirge“. Und damit schließt sich der Kreis: von wegen "spießig" - die Familie Seidel bewahrt ein Stück traditionelle Alltagskultur unseres Landes.[verkleinern]