Im Hafen von Stralsund, in Nachbarschaft zum Ozeaneum hat ein 80jähriger Schiffsveteran seinen derzeitigen Liegeplatz gefunden: die deutsche Dreimastbark „Gorch Fock (I)“. Auch wenn eine Ähnlichkeit besteht, bitte nicht verwechseln mit dem Segelschulschiff der Bundesmarine, der „Gorch Fock (II)“.
Wer nun glaubt, er könne ein Museumsschiff besichtigen, der irrt. Der Großsegler ist ein Schiff, daß zur Besichtigung freigegeben ist, ein kleines Bordmuseum eingeschlossen. Der Eintritt kostet 4 €,... weiterlesen
Ermäßigungen gibt es nicht. Für gebrechliche Menschen und Personen mit körperlichem Handicap ist der Besuch des Schiffes nicht möglich, da weder Zugang noch Rundgang barrierefrei sind. Die prekäre Parkplatzsituation am Hafen hatte ich Beitrag zum Ozeaneum Stralsund beschrieben – siehe dort, ich möchte mich nicht wiederholen.
Nach nur 100 Tagen Bauzeit auf der Hamburger Blohm & Voß-Werft wurde das Schiff 1933 auf den Namen des deutschen Marineschriftstellers Gorch Fock (Johann Kinau) getauft und als Segelschulschiff der damaligen Reichsmarine in Dienst gestellt. In den Folgejahren wurden 3 weitere Schiffe dieses Typs gebaut, die heute noch in Fahrt sind: „Mircea“ (Rumänien), „Horst Wessel“ (heute „Eagle“ – USA), „Albert Leo Schlageter“ (heute „Sagres“ – Portugal). Ein fünftes Schiff, die „Herbert Norkus“ wurde nicht fertig gebaut und 1947 mit Gasmunition versenkt. Das letzte Schiff dieser Baureihe ist die 1958 gebaute „Gorch Fock (II)“ der Bundesmarine, eine modifizierte Version ihrer Vorgängerin.
Mit dem Kriegsbeginn 1939 endete die Zeit der großen Fahrten. Die „Gorch Fock“ wurde als stationäres Wohnschiff ua. in Kiel und Swinemünde eingesetzt. Erst 1944 wurde das Schiff nach Rügen überführt und wieder zur Ausbildung eingesetzt. Unmittelbar vor Kriegsende erfolgte am 27.4.1945 die Außerdienststellung des Schiffs in Stralsund und die teilweise Demontage von Besegelung und Ausrüstung. Um das Schiff nicht der vorrückenden Roten Armee zu überlassen, entschloß sich die Restbesatzung, das Schiff im Strelasund zwischen Rügen und Stralsund zu versenken. Bei dieser Aktion wurde die „Gorch Fock“ von sowjetischen Panzern beschossen und beschädigt und schließlich von der eigenen Besatzung durch Sprengung versenkt.
Nach dem Krieg wurde das Wrack der UdSSR als Reparationsleistung zugesprochen, 1947 gehoben und in Rostock und Wismar instand gesetzt. 1949 wurde das Schiff in „Towaritsch“ umbenannt und in seinen neuen Heimathafen Cherson im Schwarzen Meer verlegt. Seit 1951 fuhr die Dreimastbark dann als Segelschulschiff der sowjetischen Handelsflottenschule Cherson. 1957 unternahm das Schiff eine Weltreise und gewann in den siebziger Jahren 2x die Operation Sail in der Klasse der Großsegler. Nach dem Ende der UdSSR 1991 übernahm die Ukraine das Schiff, konnte es aber aus Geldmangel nicht in Fahrt halten. 1995 segelte das Schiff letztmalig nach Großbritannien, wo es repariert werden sollte, was wiederum am Geldmangel scheiterte. 1999 holte der deutsche Verein „Tall-Ship Friends“ die „Towaritsch“ als Flaggschiff der „EXPO 2000 am Meer“ nach Wilhelmshaven. Der Verein „Tall-Ship Friends“ kaufte 2003 das inzwischen schwer beschädigte Schiff und brachte es nach 58 Jahren zurück nach Stralsund. Hier wurde der Großsegler auf der Volkswerft repariert und schwimmfähig gehalten. Im November 2003 erhielt das Schiff wieder seinen ursprünglichen Namen „Gorch Fock“. Seit 2004 arbeitet der Verein als Eigentümer des Schiffs nun daran, den Originalzustand wieder herzustellen und das Schiff wieder in Fahrt zubringen.
Als Besucher kann man heute das 75 m lange und 12 m breite Schiff auf und unter Deck erkunden. Alle Decks sind zugänglich, nicht aber alle Räume. Vieles ist im Rohbauzustand laufender Arbeiten. Der Kapitänssalon ist wiederhergestellt und wird ua. für Trauungen genutzt. Im Mannschaftsdeck bekommt man einen Eindruck, wie spartanisch die Matrosen untergebracht waren. Im untersten Deck werden im kleinen Bordmuseum Exponate der Schiffausrüstung gezeigt sowie ein Eindruck vom Leben an Bord sowie zur Geschichte des Schiffes unter reichsdeutscher, sowjetischer, ukrainischer und schließlich bundesdeutscher Flagge vermittelt. Vieles ist noch unfertig oder man hat man Instandsetzungsarbeiten noch gar nicht begonnen. Aber das ist auch nicht der Anspruch des Vereins. Man will kein fertiges Museumsschiff zeigen, sondern einen alten Großsegler, ein maritimes, technisches Denkmal im Jetzt-Zustand, mit all seinen Unzulänglichkeiten.
Wer das Schiff jetzt besucht, leistet mit seinem Eintrittsgeld auch einen Beitrag zum Erhalt des stolzen Schiffs. Vielleicht gelingt ja dem Verein, die erste „Gorch Fock“ wieder in Fahrt zubringen. Vielleicht ist es irgendwann möglich, beide "Gorch Fock"s mit ihren je 1800 m² Segelfläche an den 3 Masten segeln zu sehen.[verkleinern]