Das Dörfchen Niederrotweil (wir sprechen ein langes "o", bitte) schmiegt sich an den westlichen Rand des Kaiserstuhls in der Oberrheinebene unweit von Freiburg im Breisgau.
Vulkanisches Gestein und mildes Klima lassen hier seit römischen Zeiten Reben gedeihen, die noch bis heute zu recht trinkbaren Weinen vergoren werden...
Die oft verworrenen und komplizierten Zeitläufe der Geschichte ergaben, dass sich in Niederrotweil das große Benediktinerkloster Sankt Blasien (auf dem weniger milden... weiterlesen
Hochschwarzwald gelegen) Rechte und Pflichten erwarb, um an den vermeintlich guten Kaiserstühler Wein zu kommen, der auch noch heutzutage auf dem durch die Flurbereinigung völlig verhunzten Vulkangebirge angebaut wird.
So gehörte, die wohl schon im 8. Jahrhundert entstandene Kirche Sankt Michael (gerne als älteste Kirche des Breisgaus bezeichnet) nun auch zum Sankt Blasier Sprengel.
1157 wird die - dem Erzengel Michael - geweihte, Kirche erstmals urkundlich erwähnt und Anfang des 14. Jahrhunderts umfassend gotisch verändert und vergrößert.
So weit, so gut, aber das erhebt sie nicht in irgendeiner Weise über viele ähnliche Dorfkirchen in der Region...
Mit dem kunstsinnigen und finanziell potenten Sankt Blasier Abt Johannes III. zog ein großartiger spätgotischer Schnitzaltar in die Michaelskirche zu Niederrotweil ein. Johannes war Abt zu Sankt Blasien in turbulenten Zeiten.
Als er 1532 starb, war sein Kloster gerade wieder im langsamen Aufschwung nach dem es die Bauern 1525 eingeäschert hatten, die Reformation und das neue Menschenbild der nun auch nördlich der Alpen aufkeimenden Renaissance veränderten den Blick auf die Welt auch innerhalb der Kirche nachhaltig.
Künstlerisch verkörpert der fulminanten Schnitzalter des leider immer noch unbekannten Meisters HL ein inhaltliches Aufbäumen der alten Kirche und ihrer Glaubensinhalte in Zeiten des grundlegenden Umbruchs mittelalterlicher Vorstellungen.
In Niederrotweil schuf der "Meister HL" einen tiefbewegenden Marienaltar, der den Weg von der Spätgotik in die Renaissance mit bildgewaltigen Interpretationen ebnet, die nur so vor Individualität (neues Menschenbild), dynamischer Bewegung und Interaktion der Dargestellten strotzen.
Trotzdem überhöht er die Marienverehrung, ganz im Sinne der bald "alten Kirche", die von den Protestanten abgelehnt werden wird.
Der Schrein des Altars ist aus Eichenholz von einem anderen Handwerker geschaffen.
Die Schnitzereien der Mitteltafel sind aus großen Lindenholzstämmen gefertigt und die feinen Reliefs der Seitenflügel aus Pappelholz.
Im Mittelteil wird Maria in einer dynamischen Darstellung von Gottvater und Christus zur Himmelskönigin gekrönt.
Die mitgelieferten Fotos zeigen einen großartigen Umgang mit dem Holz, man beachte die Haare des Bartes von Gottvater... die Krone ist nicht umsonst der römisch-deutschen Kaiserkrone nachgebildet...
Die farbige Fassung des Mittelteils und der Predella wurde erst in der Barockzeit hinzugefügt und war ursprünglich nicht vorgesehen.
Links und rechts stehen der Heilige Michael, Patron der Kirche und Johannes der Täufer, Namenspatron des stiftenden Abtes.
Auf den feingearbeiteten Reliefs der Seitenflügel werden Szenen aus dem "Leben" der beiden Heiligen erzählt:
Die Taufe Christi und der Tod Johannes des Täufers, wie auch Sankt Michael am jüngsten Tag als Seelenwäger und beim Engelsturz, der Vertreibung Luzifers aus dem Paradies.
Im Chor der Kirche haben sich noch Fresken aus der Mitte des 14. Jahrhunderts erhalten, die Mitte des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt wurden.
Der Marienaltar des Meisters HL gehört zu den schönsten Schnitzaltären der Oberrheinregion aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts.
Einer Region, die bis heute gesegnet ist mit weiteren großartigen Altären aus dieser Zeit:
Der Altar in Breisach ebenfalls vom Meister HL, dem Isenheimer Altar in Colmar vom alles überragenden Mathias Grünewald und dem Hochaltar des Freiburger Münster von Hans Baldung Grien.....
Die Kirche ist vom Palmsonntag bis Oktober täglich von 14-17 Uhr geöffnet.
Sonst Besichtigung nach Vereinbarung.
Kosten: 1 Euro p.P. und eventuell Führungsgebühren bei Bedarf.
Gruß Schroeder[verkleinern]