30 Minuten - die über Leben und Tod entschieden
Eigentlich fällt es mir schwer, diese sehr persönliche Bewertung zu schreiben, weil die Erinnerungen noch sehr frisch sind, dass Erlebte sehr heftig war und mir immer noch alles sehr, sehr nahe geht.
Und es fällt mir auch schwer, einen Rettungsdienst mit nur einem Stern zu bewerten - immerhin sind sie eigentlich die Retter in der Not, retten Menschenleben...
...aber nachts, am 31.03.2024, Ostersonntag, ging einiges schief. So schief, dass... weiterlesen
ich hier ungeschönt davon berichten möchte.
Es ist zirka 03:30 Uhr, als ich einen Notruf absetze. Ich finde meinen Vater in seinem Schlafzimmer, dass er seit der Pflege bezogen hat, röchelnd und gurgelnd in seinem Bett vor. Die Körperhaltung spricht für sich. Er muss einen Krampf gehabt haben. Meine erste Einschätzung: es sieht nicht gut aus - leerer Blick, nicht ansprechbar, Atmung setzt aus. Blutdruck extrem niedrig, Vorhofflimmern, hoher Puls von 158 Schlägen pro Minute. Nicht lang, und er bekam einen Herzstillstand.
Während ich mit dem sehr freundlichen Mann der Rettungszentrale telefoniere, beginne ich den Kopf zu überstrecken, mit der Herzdruckmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung. Unterdessen sucht meine Mutter in großer Hektik und in riesiger Sorge um ihren Mann und meinem geliebten Vater alles Nötige her - Chipkarte und Medikamentenplan; öffnet die Haustür.
Ich kämpfe derweilen um meinem Vater, spreche nebenbei mit der Notrufzentrale. Das Telefon habe ich laut gestellt. Er ist im ständigen Kontakt mit mir, erinnert mich, 120 Mal in der Minute Druck auszuüben. Ich zähle nicht mit, rede stattdessen auf meinem Vater ein. Keine Reaktion. Weiterhin Herz-Kreislaufstillstand.
Die Reanimation im Bett ist nicht richtig. Aber einen 72kg schweren Mann aus dem Bett auf dem Boden zu hieven, ist undenkbar. Irgendetwas wird schon ankommen, versicherte mir die Zentrale. Also mache ich unbeirrt weiter und immer weiter ... Die Zeit scheint elendig dahin zu kriechen. Niemand kommt. Meine Mutter will mich nach 15 Minuten ablösen, doch ihre Herzdruckmassage ist nicht kraftvoll genug. Ich mache weiter. Mittlerweile treibt es mir den Schweiß aus. Mein Puls rast ebenfalls. Ich beginne vor Überanstrengung zu zittern. Aufgeben? Nein, kommt für mich nicht infrage. Ich möchte meinen Vater retten. Nach fast 25 Minuten frage ich völlig außer Atem und etwas barsch die Zentrale, ob der Rettungsdienst nicht hätte schon längst dasein müssen. Wo bleibt er um Himmels Willen???
Er ist am Ortseingang. Waaasss? Das bedeutet, noch länger zu warten. Wir wohnen am Ortsende!
Nach ewigen 30 Minuten voller Bangen, Hoffen und einem Kampf ums Leben meines Vaters, trifft der Notdienst samt Notarzt ein. Na endlich! Aber wo bleiben die nur?
Als würde es sich um keinen Notfall handeln, steigen die langsam aus, schnappen sich sehr langsam ihre Taschen usw., halten am Rettungswagen noch einen Plausch. Meine Mutter drängt sie zur Eile.
Ja, ja... wir kommen schon gleich!, ist die Antwort.
Als ich sie im Haus höre, dränge auch ich lautstark zur Eile. Mittlerweile schwinden auch mir die Sinne.
Es geht nicht schneller, kommt die Antwort. Wie bitte? Die schleichen die Treppe herauf, als ginge es Ihnen alles nichts an!
Endlich werde ich abgelöst. Unfreundlich schieben sie mich zur Seite. Ihnen entgeht, dass ich fast zusammenbreche. Mit Mühe schaffe ich es ins Nebenzimmer, nehme meine Medikamente und muss etwas trinken. Die Kraftlosigkeit ignorierend, schleppe ich mich ins Nebenzimmer, spreche einen Sanitäter an, erkundige mich nach dem Zustand meines Vaters.
Kalt, abgebrüht und unfreundlich sagt er mir, ich soll das Zimmer verlassen, was ich auch befolge. Aber ich bleibe in der Nähe, stütze meine Mutter und beobachte alles aus einer gewissen Distanz.
Der Rettungsdienst arbeitet langsam. Sehr langsam. Der Notarzt telefoniert nur ununterbrochen.
Bei meinem Vater wird kein Blutdruck festgestellt. Nulllinie beim Herz. Warum setzen die keinen externen Defibrillator ein?, frage ich mich und kein Adrenalin? Warum machen die Sanitäter dort weiter, wo ich aufgehört habe, nur mit dem Unterschied, dass er jetzt auf dem Fußboden liegt?
Nach langen 20 Minuten Herzdruckmassage entscheiden sie sich doch für 4 Dosen Adrenalin. Viel zu spät! In dem Moment weiß ich, dass mein Vater keine Überlebenschancen hat.
Das EKG zeigt unregelmäßige, schwache Ausschläge. Sie haben ihn wieder ins Diesseits befördert. Doch um welchen Preis?
Ohne Sauerstoffmaske tragen sie ihn aus dem Haus.
Fazit: Der Rettungsdienst kam viel zu spät - eine halbe Stunde ist zuviel. Ich kann verstehen, dass in dieser Nacht viel los war... Aber dies entschuldigt nicht die Fehler die gemacht wurden und die ich auch bei den Ärzten der Intensivstation anprangerte.
Ebenso nicht dieses Schneckentempo und diese Unfreundlichkeit. Hinzu muss ich noch sagen, dass auch hier ein Sanitäter dabei war, mit wenig Deutschkenntnisse. Er verstand uns nicht und wir ihn nicht. Gerade in so einer Notsituation ist dies manchmal mehr als ausschlaggebend. Immerhin geht es hier um Menschenleben! Daher kann ich an dieser Stelle nur einen Stern vergeben.
Mein Vater erlitt wegen des Sauerstoffmangels, bedingt durch diese 30 Minuten Verspätung, einen derartigen Hirnschaden, dass die Ärzte am 03.04. entschieden die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen.[verkleinern]