Erfahrungsbericht über
Sankt-Remigius-Kapelle, Wurmlingen
In meiner Familie fängt man lieber nicht an, über die Wurmlinger Kapelle zu reden, denn sonst fange ich an und sage Ludwig Uhlands Gedicht auf:
Droben stehet die Kapelle,
schauet still ins Tal hinab.
Drunten singt bei Wies und Quelle,
froh und hell, der Hirtenknab.
Wenn ich dann gut drauf bin, fällt mir der Rest auch noch ein:
Traurig tönt das Glöcklein nieder,
schauerlich der Leichenchor;
still(e) sind die frohen... weiterlesen
Lieder,
und der Knabe lauscht empor.
Droben bringt man sie zu Grabe,
die sich freuten an dem Tal;
Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.
(Orginal:Dir singt man dort auch einmal.)
Dieses Gedicht hat Ludwig Uhland 1805 geschrieben, nachdem er mit Freunden von Tübingen nach Wurmlingen wanderte.
In der Schule
Wer im Kreis Tübingen zur Schule ging, muss früher oder später dieses Gedicht auswendig lernen. Klar war da natürlich auch, dass wir Wanderungen zur Kapelle machen mussten. Das war Pflicht. Allerdings, mir machte das Spaß. Auch mit meinen Eltern war ich oft oben und wenn ich Menschen besonders mag, wandere ich mit ihnen heute noch nach hinauf.
Wer von Tübingen aus wandern möchte, sollte sich diese Seite ansehen:
http://tomas.schild.net/spaziergang-tuebingen-zur-wurmlinger-kapelle/
Wer danach geschafft ist, sollte nach Unterjesingen laufen (nur noch den Berg runter) und dann in die Ammertalbahn steigen und von dort wieder zurück nach Tübingen (oder Herrenberg) fahren.
Wie heißt die Kapelle wirklich?
Umgangssprachlich heißt sie Wurmlinger Kapelle und auf der A81 gibt es ein touristisches Hinweis-Schild, da steht auch Wurmlinger Kapelle drauf. Wenn man Einheimische fragt, sagt niemand: St.-Remigius-Kapelle. Die meisten Menschen werden gar keine Ahnung haben, wie sie wirklich heißt.
Wo steht sie?
Wenn man im Internet schaut, steht da, zwischen Tübingen und Rottenburg, was aber nicht ganz richtig ist. Als Ammertäler heißt das zwischen Tübingen und Ammerbuch. Richtig ist eigentlich zwischen Unterjesingen und Pfäffingen oder aber östlich des Ortes Wurmlingen. Da aber niemand weiß, wo das ist, ist die Flussbeschreibung wohl am besten: zwischen dem Neckar- und Ammertal. Also südlich des Naturschutzgebiet Schönbuch.
Die Wurmlinger Kapelle liegt 475 m hoch (475 ü. NN). Sie
Sankt-Remigius-Kapelle, Wurmlingen
steht auf dem Kapellenberg, am westlichen Ausläufer des Spitzberges. Nicht zu verwechseln mit dem Pfaffenberg, der westlich davon liegt.
Zum Vergleich habe ich mal aufgeschrieben, wie hoch folgende Orte liegen:
Wurmlingen 335 – 475 ü. NN,
Unterjesingen 361 m ü. NN ,
Tübingen 341 m ü. NN ,
Rottenburg 349 m ü. NN,
Herrenberg 460 m ü. NN.
(Die Höhenangaben sind von Wikipedia und falls sie nicht richtig sind, übernehme ich keine Haftung. ;-) Falls jemand bessere oder richtige Angaben hat (es gibt oft eine Tafel am Bahnhof, wo das steht.), der möge es mir mitteilen und ich werde es dann berichtigen.)
Wahrzeichen, Ausflugs- und Wallfahrtsziel
Weil sie fast von jedem gesehen wird,
der südlich aus dem Schönbuch blickt,
der in Wurmlingen, Rottenburg oder Unterjesingen wohnt,
der in gewissen Teilen, Tübingens, Pfäffingens, Hirschau, wohnt,
und von den meisten die drumherum wohnen.
Wer an der richtigen Stelle zwischen Nufringen und Kuppingen steht, sieht sie auch, von Herrenberg gibt es auch Orte, wo man sie sieht. Sie steht stolz da und schaut von oben herab.
Oben, bei der Kapelle
Erst mal genießt man den Ausblick, wenn man es geschafft hat, hoch zu laufen. Man hat ein Riesengebiet vor Augen. So erkennt man die Schwäbische Alb, die Burg Hohenzollern, blickt ins Ammer- und Neckartal und den Schönbuch. Natürlich nur, wenn man eine klare Sicht hat. (Bitte beim Wettergott oder Petrus bestellen. ;-)
Zur Neckarseite gibt es an der Kapelle noch einige Gräber.
Bilder
Es ist seltsam. Ich sah sie jeden Tag und hatte fast nur Postkarten von ihr. Habe ich früher jemals Bilder von ihr gemacht? Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es so, dass man die Dinge, die man jeden Tag sieht, nicht fotografiert. Warum auch? Es ist doch da. Später benötigte ich nur etwa 25 Minuten, bis ich dort war. Also habe ich nur mal von weit entfernt Bilder gemacht, aber die sind unauffindbar. Aber letztes Jahr bin ich mit meiner lieben Familie hoch gewandert, von Wurmlingen aus. Es war Herbst und die Trauben waren fast reif. Es war wunderschön. Das Wetter hat mitgemacht. Es gab keinen Regen und die Sonne stach auch nicht so sehr, wie manches mal, wenn ich sonst hoch wanderte. Ein perfekter Tag, für so eine traditionsreiche Kapelle.
Die Kapelle hat schon viel erlebt
Das Jahr 2000 war ein wichtiges Jahr. Die Kapelle wurde 950 Jahre alt und Wurmlingen 900 Jahre alt. Das wurde gefeiert. Heute ist sie schon wieder älter und zwar bald 962 Jahre jung. Noch 38 Jahre und sie ist 1000 Jahre alt. (inzwischen ist 2020, ihr könnt also selber rechnen)
Allerdings gab es schon mal eine romanische Kirche und zwar unter Papst Leo IX. Sie wurde 1050 fertig gestellt. Leider wurde der gotische Nachfolgebau im 30jährigen Krieg (1644) ein Opfer der Flammen, nur die Krypta (fertig gestellt um 1150) ist vom romanischen Bau übrig. Im 17. Jahrhundert wurde sie dann neu aufgebaut. Die barocke Kapelle wurde 1685 eingeweiht.
Allerdings wurde die Kapelle erst 1963 so vollendet, dass sie so aussieht wie heute. Das heißt also, Ludwig Uhland kannte nur die Version vom 17. Jahrhundert.
Wofür wird sie noch genutzt?
Regelmäßig finden dort Gottesdienste statt. Am Karfreitag gibt es die „Processione del Cristo Morte“. Begraben wird ganz oben an der Kapelle fast niemand mehr. Man müsste schon Beziehungen haben, um dort ein Grab zu bekommen. Aber wenn man ein Stück herunterläuft, gibt es dort einen weiteren Friedhof. Er ist schön eingesäumt mit Bäumen und fällt nicht sonderlich auf. Groß ist er auch nicht, aber für Wurmlingen, wo nicht ganz 3.000 Leute wohnen reicht das völlig aus.
Als Grabkapelle des Stifters Graf Anselm von Calw dort errichtet. Die romanische Krypta stammt aus der Zeit um 1150. Der gotische Nachfolgebau brannte 1644 ab. Die bis heute erhalten gebliebene barocke Kapelle wurde 1685 eingeweiht.
von Wurmlingen zur Kapelle
Wenn man von Tübingen-Derendingen und Hirschau kommt, gibt es am Ortseingang gleich rechts eine Straße, die Richtung Kapelle führt. Unterwegs gibt es einige Parkplätze. Von unten sind es 130 m Höhenunterschied bis zur Kapelle. Der Weg nach oben wurde 1687 gebaut, der Kreuzweg. Es geht ziemlich steil hoch und man kann mehr ins Neckartal schauen, wie ins Ammertal, allerdings wer das Ammertal sehen will, muss meist nur ein paar Schritte ins Gras in linker Richtung machen. Rechts gibt es Weinberge bis ganz nach unten und auch Obstbaumwiesen.
Die Aussicht ist wunderschön. Natürlich sieht man, wenn man von unten hoch läuft, die Berg-Kapelle nicht immer. Aber man freut sich immer, wenn sie wieder in den Blick kommt. Der Weg ist geteert und man kann den Weg nach oben nicht verfehlen, auch wenn es ab und an ein paar Abzweigungen in die Weinberge gibt.
Öffnungszeiten
Von Mai bis Oktober ist sie sonntags von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Nur bei schönem Wetter. Wenn man sie sonst besichtigen möchte, kann man sich den Schlüssel beim katholischen Pfarramt in Wurmlingen abholen.
Die Sage
Graf Anselm von Calw hat angeordnet, dass sein Leichnam nach seinem Tod auf einen Wagen gelegt werden sollte, der von zwei Ochsen gezogen werden soll. Da wo sie anhalten würden, solle seine Grabkapelle gebaut werden. Die Ochsen hatten bestimmt nicht viel Lust den Leichnam auf den Berg zu ziehen, daher glauben alle, dass sie am Fuß des Kapellenberges anhielten. Da die Leute dem verblichenen Grafen aber eine gute Aussicht gönnen wollten, haben sie wohl vermutlich dort oben gebaut.
Wurmlinger Wein
Seit dem 13. Jahrhundert wird am Südhang des Kapellenberges Wein angebaut. Es gibt dort einen lehrreichen Weinbaupfad, der mit zahlreichen Tafeln über den Weinbau im Landkreis Tübingen informiert. (Unterjesingen baut zum Beispiel seinen Wein am Südhang des Schönbuches an, genauso wie Breitenholz. Beide Weinsorten schmecken sehr gut.) Der Wurmlinger Wein ist manchem zu „sauer“, daher sollte man den Wein erst probieren, bevor man den Kauf wagt.
Woraus besteht nun der Berg?
Aus Dreck? Oder aus Erde? Na ja, das würde wohl Wind und Wetter nicht so gut und so lange überstehen. Sicher würde die Kapelle absinken.
Der Hangfuß besteht aus bunten, gebänderten Lagen des Gipskeupers. Darauf sind dunkle Schichten des Schilfsandsteins. Danach gibt es Tone und Mergel des Bunten Mergels. Die Spitze wird dann von Stubensandstein gebildet.
Wen das näher interessiert, sollte bei Wikipedia schauen.
Schlussworte
Ich hoffe nicht, dass ich den geneigten Leser nun mit erd- und heimatkundlichen Wissen erschlagen habe. Aber wir mussten das früher alles in der Schule lernen. Damals war das sehr wichtig, dass wir uns in unserer Heimat auskannten. Was den Westfalen ihr Hermann ist unsere Wurmlinger Kapelle. Es gab auch viele Dichterwettbewerbe für neue Gedichte der Berg-Kapelle, doch keines ist so bekannt, wie das von Ludwig Uhland: Droben stehet die Kapelle....
Ok, damit möchte ich den Bericht abschließen und einfach mal einen Besuch empfehlen. Dort oben ist man noch mit der Natur verbunden und vergisst alle Probleme und Sorgen. Die Natur kann alles was der Mensch denkt und lenkt verändern. Stürme, Orkane, Starkregen, Hagel, kann alles zerstören, was der Mensch aufgebaut hat. Dort oben weiß man wieder, wohin man gehört und dass man nur ein kleines Rädchen am ganzen Getriebe ist.
Daher schützt die Natur, verhaltet euch naturverbunden und umweltfreundlich. Sortiert den Abfall zuhause und werft nicht in die Natur, was da nicht hingehört. Da dort auch immer noch – seltener als früher – Schafe weiden, sollten auch Hundehinterlassenschaften immer wieder aufgeräumt werden. Kinder können hier auch noch herumtollen, daher freuen sich die Eltern über diesen „Dreck“ nicht.
Eine Besuchsempfehlung, 5 Sterne und danke für Lesungen, Bewertungen und Kommentare.
Der Bericht ist schon einige Jahre alt und war bei Ciao.de eingestellt. (über Ciao.de hab ich ja neulich schon einen Bericht eingestellt.) Ähm ja, ich kann auch lang, aber ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist. Wer liest das schon? Bei Ciao war LÄNGE sehr wichtig. Gelesen haben es eh nur die wenigsten… Leider. Daher für was die Mühe? Und Bilder find ich natürlich auch nicht. Aber ich hab eins der alten noch, die ich bei Ciao hochgeladen hab. Was sagt mir das? Ich muss dringend im Frühjahr da hochlaufen. Von Tübingen, am liebsten mit meiner Schwester. Oder ein Golocal-Wanderstammtisch. ;-)[verkleinern]
Der Beitrag wurde zuletzt geändert