Ein Bekannter aus Amerika, der nach seinen europäischen Wurzeln sucht, hatte mich vor einigen Wochen gebeten, in ein Dokument beim Archiv der Evangelischen Landeskirche in Baden zu schauen und ihm das Ergebnis per Mail zu schicken.
Da ich diese heiligen Hallen noch nie aufgesucht hatte, informierte ich mich erst einmal über die Öffnungszeiten im Internet und erfuhr, dass das Archiv dienstags bis donnerstags von 9 bis 16 Uhr und freitags von 9 bis 13 Uhr für die Öffentlichkeit zugänglich... weiterlesen
ist, stets aber ein Termin vereinbart werden muss.
Ich griff deshalb zum Telefon und erreichte sofort einen hilfsbereiten und freundlichen Mitarbeiter des Archivs, der mir für die folgende Woche einen Termin anbot und mir empfahl, meinen Laptop mitzubringen, da die gewünschte Quelle auf einer CD-ROM gespeichert war. Ein Leseplatz mit Anschluss an das Stromnetz sei vorhanden.
Am Tag des Besuchs zog ich mich anständig an, stutzte meinen 10-Tage-Bart und ließ ausnahmsweise die Glatzenbedeckung weg. Denn ich wusste ja nicht, ob die Kirche einen Türsteher hat, der Besuchern, die ihrem Äußeren nach ins Hasspredigerklischee passen, den Zugang verwehrt.
Das Landeskirchliche Archiv befindet sich im sehr großen Gebäude der Evangelischen Landeskirche und des Evangelischen Oberkirchenrats in der Karlsruher Blumenstraße (Hausnummern 1 bis 7!), einem mehrstöckigen Buntsandsteinbau aus dem Jahr 1907. Es ist eingerahmt vom Bibliotheksgebäude des benachbarten Bundesgerichtshofs, vom Bau der Badischen Landesbibliothek und dem Naturkundemuseum.
Irgendwie kam ich mir mit meinem nie gemessenen, von mir selbst aber als unter- bis durchschnittlich empfundenen IQ schon ein bisschen klein und unbedeutend vor, als ich den Gebäudeeingang suchte. Die Bücher- und Intelligenzbestiendichte dürfte bei so vielen Schriften sowie hochgeistigen und -geistlichen Frauen und Männern, die da in einem einzigen Stadtviertel quasi auf einem Haufen sitzen, sehr hoch sein.
Etwas enttäuscht war ich dann aber schon, dass vor dem Eingangsportal, das ich nach dem Passieren der langen Fassade am anderen Gebäudeende fand, keine Gesichts- und Gesinnungskontrolle durch einen klerikalen Türsteher stattfand. Eine sehr freundliche Pförtnerin fragte mich nur nach meinem Ziel und - als ich es ihr artig nannte - ob ich dort erwartet würde. Was ich bejahte und nach dem Weg zum Archiv fragte, da es "mein erstes Mal" sei.
Dank der guten Wegbeschreibung fand ich die Räumlichkeiten und konnte dabei erneut die imposante Gebäudelänge und -breite bestaunen. Auch von innen sieht das Gebäude überhaupt nicht "kirchlich" aus, sondern hat den vergilbten Bürokratencharme eines alten Landratsamtsgebäudes. Die Bürobotinnen -boten mit ihren obligatorischen Aktenwägelchen erinnern den Besucher daran, dass Landeskirchen Körperschaften des öffentlichen Rechts und damit nichts anderes als "stinknormale Beamtenläden" sind.
Von den Mitarbeitern des Archivs wurde ich freundlich begrüßt und nochmals nach meinen Wünschen gefragt. Ich dachte: Prima, jetzt kann's losgehen. Vor den Rechercheerfolg setzt aber auch die Evangelische Kirche erst einmal den Schweiß in Form des Ausfüllens eines langen Formulars. Dort wird - neben den Kontaktdaten des Besuchers mit datenschutzrechtlicher Einwilligungserklärung - insbesondere nach dem genauen Zweck des Forschungsaufenthalts im Archiv gefragt. Weshalb es eines derart bürokratischen Präludiums bedarf, wurde mir am Ende des Formulars klar. Man wird auf die Benutzungs- und Gebührenordnung der Institution hingewiesen, die der Benutzer verbindlich anerkennen muss, bevor er in die Dokumente schauen darf.
Kostenlos ist demnach nur das Ausfüllen des Formulars. Ein angebrochener halber Tag Aufenthalt kostet den Besucher 3,50 EUR, ein ganztägiger 6 EUR. Das Anfertigen von Kopien durch Mitarbeiter des Archivs kostet 0,70 EUR pro Stück, ebenso wie Readerprinter-Ausdrucke oder digitale Kopien auf externe Datenträger. Wer nachweisen kann, dass seine Recherchen nicht privaten Forschungszwecken, sondern wissenschaftlichen Zwecken dienen, zahlt weniger als die Hälfte (0,30 EUR).
Vergeblich suchte ich nach Gebührenrabatten für Evangelen und damit altgediente Kirchensteuerzahler, wie ich es einer bin. Wahrscheinlich darf man uns aber keinen Rabatt anbieten, weil man Un- und Andersgläubige sonst diskriminieren würde :-)
Beim Ausfüllen des Formulars schaute ich mich ein wenig im Raum um. Ein weiterer Besucher war eifrig am Wühlen in alten Schriften. Vom eigentlichen Archivbestand war wenig zu sehen, denn die meisten Dokumente dürften in einem Magazin gelagert sein. Ein Praktikant, der nach einem alten Kirchenbuch dorthin geschickt worden war, legte es mir nach seiner Rückkehr auf den Tisch, weil er der irrigen Meinung war, ich hätte es bestellt. Ich lehnte dankend ab, denn ich wusste nicht, ob das Aufschlagen des Buchs vielleicht gebührenpflichtig gewesen wäre.
Endlich war es soweit: Im Anschluss an die Prüfung und Bescheidung meines Antrags sowie Entrichtung meiner Gebühr in Höhe von 3,50 EUR bekam ich die CD-ROM ausgehändigt, verbunden mit dem Hinweis, dass ich deren Inhalt nur anschauen und unter gar keinen Umständen auf meinen Laptop kopieren dürfe. Das hatte ich ja auch gar nicht vor. Meine Recherche war nach 5 Minuten beendet; es fanden sich keine Aufzeichnungen zu dem von meinem "Ami" genannten Familiennamen.
3,50 EUR ärmer und einige Erfahrungen reicher verließ ich das Archiv und genoss in einem der zahlreichen Karlsruher Straßencafés noch das milde Herbstwetter - ohne vorherigen Antrag und (außer Spesen für den Espresso) völlig gebührenfrei ;-)[verkleinern]