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Schon als Kind hatte mich eine alte Familienbibel aus dem 18. Jahrhundert fasziniert. Sie hat riesige Ausmaße, ist gefühlte 3 Kilo schwer und hat einen Ledereinband. Nicht der Text (ich konnte noch nicht lesen, als ich zum ersten Mal darin blätterte), sondern die vielen gruseligen Abbildungen des Beelzebub und anderer furchterregender, das Böse darstellender Wesen waren es, die eine magische Anziehungskraft auf mich ausübten.
Als ich die Familienbibel beinahe schon wieder vergessen hatte, mittlerweile aber schreiben und alte Handschriften lesen konnte, warf ich erneut einen Blick hinein und fand auf den ersten (unbedruckten) Seiten handschriftliche Einträge mit einigen Namen und Todesdaten meiner Vorfahren, die im oberen Murgtal lebten. Leider wurde diese kleine Familienchronik nicht weitergeführt, sondern endete bereits nach wenigen Jahren gegen Ende des 18. Jahrhunderts.
Ich beschloss, mich irgendwann einmal näher mit der Erforschung auch derjenigen Vorfahren zu befassen, die ich nicht persönlich kennengelernt hatte.
Erste Versuche mit Hilfe eines Ortssippenbuchs endeten aber nach kurzer Zeit an einem toten Punkt, weil es mir nicht gelingen wollte, die Lücken zwischen den aus der Familienbibel bekannten Vorfahren und den Ahnen und Urahnen aus der jüngeren Zeit zu schließen.
Vor einiger Zeit erinnerte ich mich wieder an meinen gefassten Vorsatz.
Da mittlerweile das Internet in fast allen Haushalten präsent ist, existieren kommerzielle und nicht-kommerzielle Dienste, die Hilfestellung bei der Erforschung der Familiengeschichte anbieten.
Ich registrierte mich unter anderem beim deutschen Ableger des amerikanischen Geneaologie-Portals ancestry.com.
Die Registrierung ist kostenlos. Ebenso das Anlegen von Familienstammbäumen und die Recherche in verschiedenen Datenbanken. Kostenpflichtig wird es allerdings, wenn man zum Beispiel Dokumente mit dem eigenen Stammbaum verknüpft oder andere, mit öffentlichen Stammbäumen verknüpfte Quellen ansehen möchte. Das monatlich kündbare Abonnement für Recherchen in deutschen Quellen kostet aktuell ca. 10 Euro im Monat.
Für mich hat sich die Recherche über ancestry.de als wahre Fundgrube erwiesen, denn fast alle meiner Vorfahren lebten in einem vergleichsweise kleinen Gebiet, das sich vom Kinzigtal im mittleren Schwarzwald über den Raum Freudenstadt, Baiersbronn und Seewald in den Landkreis Calw hinein erstreckt. Für alle Ortschaften in diesem Gebiet existieren seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges mehr oder weniger sorgfältig geführte Kirchenbücher der jeweiligen evangelischen Pfarrei. Bei einzelnen Kirchspielen existiert sogar Dokumentation aus dem 16. Jahrhundert. In all diesen Quellen (JPEG-Dateien mikroverfilmter Kirchenbuchseiten) konnte ich über ancestry.de wühlen. Voraussetzung ist allerdings, dass man die alten Handschriften lesen kann.
So habe ich nun in vergleichsweise kurzer Zeit eine "Sammlung" mit mehreren Tausend blutsverwandter Vorfahren angelegt. Wenn ich einmal mit Ancestry nicht weitergekommen bin, haben mir die zahlreich vorhandenen und in öffentlichen Bibliotheken präsenten Ortssippenbücher weitergeholfen, in denen fleißige Ahnenforscher Geburts-, Heirats- und Todesdaten sowie Verwandschaftsverhältnisse gut strukturiert aufgelistet haben.
So mancher Leser wird nun den Kopf schütteln und sich fragen, was einen halbwegs normalen Menschen antreibt, in der Familienvergangenheit herumzustochern und Personen aufzulisten, die er gar nicht kennt.
In der Tat sind mir (geschätzte) 99% der Personen meiner Sammlung unbekannt. Trotzdem habe ich es nicht bereut, viel Freizeit und sonstigen Aufwand dafür investiert zu haben. Denn man geht auf eine sehr spannende Zeitreise, in der man zwangsläufig sehr viel Heimatgeschichte lernt und nebenbei erkennt, wie gut es uns heute geht und mit welchen existenziellen Problemen und Nöten die Menschen in den vergangenen Jahrhunderten zu kämpfen hatten (z.B. Pest, Kindsblattern, Kindersterblichkeit, Hungersnöte, Auswanderungswellen und vieles mehr).
Die Beschäftigung mit meinem ganz persönlichen Familienstammbaum hat jedenfalls mein Interesse an Landes-, Brauchtums- und Kulturgeschichte enorm angefacht.
Es gibt also noch viel zu tun, wenn der Stammbaum fertig ist :-)
Ich lernte bei meinen Recherchen viele mir bisher nicht geläufige Berufe kennen. Einige meiner Vorfahren waren beispielsweise Flößer, die gefällte Fichten, zu einem Floß zusammengebunden, auf manchmal im wahrsten Sinne des Wortes halsbrecherische Weise über die Murg und andere Bäche und Flüsse in andere Gegenden transportiert haben, wo das Holz für den Schiffs- oder Häuserbau verwendet wurde.
Unfreiwillig komisch sind manche Niederschriften der Pfarrer zur "Kirchencensur", bei der Kirchenbußen für ungebührliches und/oder unsittliches Verhalten der Gemeindemitglieder verhängt wurden.
All das ist in den alten Kirchenbüchern dokumentiert und kann beim "Blättern" in den mikroverfilmten und digitalisierten Quellen aufgespürt werden.
Anhand eines Eintrags im Totenbuch musste ich schließlich auch erfahren, dass einer meiner Vorfahren wegen Mordes am Galgen endete. Zu meinem Glück ereignete sich dies zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Es ist also genügend Gras über diese Geschichte gewachsen :-)
Weshab am Ende dieser Lobhudelei nur magere 3 Punkte für Ancestry?
Punkt 1:
Nicht jeder, der die Dienste von Ancestry nutzt, wird so viel Glück haben und wie ich einen lückenlosen Familienstammbaum über alle männlichen und weiblichen Vorfahren erstellen können, der mindestens bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückreicht.
Tests mit Daten meiner Frau, deren Vorfahren aus Ostdeutschland stammen, verliefen ernüchternd. Hier gibt es noch sehr, sehr viele weiße Flecken in den Quellen.
Punkt 2:
Sehr viel Luft nach oben besteht auch bei der Qualität der Indexierung von Kirchenbuchdaten. Hier waren entweder der deutschen Sprache nicht mächtige Amerikaner oder elektronische Texterkennungsprogramme am Werk. Ist falsch indexiert, findet die beste Suchmaschine nichts. Mein persönliches, da unfreiwillig komisches "Highlight" bei den Transkriptionsfehlern: aus dem mit alter Pfarrerhandschrift ins Kirchenbuch gepinselten Namen "Plöchlin" wurde bei der Transkription "Alöchlin" :-)
Versagt die Suchfunktion wegen solcher Fehler, hilft nur die zeitraubende Durchsicht der in Frage kommenden Kirchenbuchseiten.
Punkt 3:
10 Euro im Monat ist unter Berücksichtigung aller Mängel ein vergleichsweis hoher Preis für diesen Dienst.
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