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Neueste Bewertungen für Großpösna im Bereich Kunst & Unterhaltung

  1. Userbewertung: 4 von 5 Sternen

    Achtung: Winterpause von November bis Februar.

    „Wir gehen hier alle zugrunde“

    Diese Worte von General Schachowski an Prinz Eugen zu Württemberg empfangen den Besucher auf den Treppenstufen zu dem kleinen Museum südöstlich von Leipzig. Aufmerksam geworden bin ich auf das Museum 2013 durch die Berichterstattung des MDR aus Anlaß des 200. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig.

    Zu erreichen ist es gut: z.B. über die A 14, Abfahrt Kleinpösna und noch wenige Kilometer bis Seifertshain. Einige wenige Parkplätze gibt es direkt am Museum oder in den Parkbuchten am Friedhof in der Kirchstraße. Von einem Verein (Soziokulturelles Zentrum KuHstall e.V.) mit Hilfe ehrenamtlicher Mitarbeiter betrieben, hat das Museum leider nur Sonntagnachmittag geöffnet. Der Eintritt beträgt 3 €uro. Die eigentliche Ausstellung befindet sich im 1. OG des aus Jahr 1879 stammenden alten Schulhauses. Zum Museumsanwesen gehört noch die alte Schulscheune (wohl vor 1800) und der Schulgarten, in dem es heute ein kleines Beet mit 1813 verwendeten Heil- und Arzneipflanzen gibt.

    Das Ensemble mit Schulscheune, Kirche mit Friedhof, Pfarrgasse und dem Pfarrgut von 1752 bilden heute noch einen authentisch aussehenden Ort aus der Zeit der Völkerschlacht, das in anderen Dörfern lange verloren gegangen ist.

    In den Geschichtsbüchern liest es sich sachlich knapp und unpersönlich: Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16.-19.10.1813 zwischen 205.000 Preußen, Österreichern, Russen und Schweden gegen 190.000 Franzosen, Polen, deutsche Rheinbundtruppen, Italiener und Truppen aus dem Königreich Neapel endete mit dem Sieg der Alliierten über das Heer Napoleons. Die Verluste betrugen 38.000 Tote und Verwundete auf französischer und 54.000 Tote und Verwundete auf alliierter Seite. Dazu kamen ungezählte zivile Opfer. Soweit die nüchternden Fakten.

    Hinter diesen Zahlen steckt aber tausendfaches Leid und Schmerzen unzähliger Soldaten beider Seiten. Ein halbwegs funktionierendes Sanitätswesen wie heute existierte damals nicht mal ansatzweise. Ein geflügeltes Wort war: „Wer nicht gleich an seiner Verwundung stirbt, stirbt an, wegen oder nach der Behandlung“, wobei sich die Behandlung oftmals auf die Amputationen beschränkte.

    Und hier greift nun das Museum, das sich im wesentlichen mit Ereignissen vor, während und nach der Völkerschlacht befaßt. Basis sind die Erinnerungen der damals 16-jährigen Seitershainer Pfarrerstochter Auguste Vater, die ihre Eindrücke in dem Augenzeugenbericht „Was wir erlebten im Oktober 1813“ veröffentlichte. In Seitershain, vielleicht sogar im Pfarrgut, befand sich 1813 ein Verbandsplatz der Franzosen. Auf einem Teil des Friedshofs befindet sich ein Massengrab mit einer unbekannten Anzahl an Toten.

    In der Museumsscheune/Schulscheune steht heute der Nachbau eines französischen einachsigen Verwundetentransportwagens für 2 Verwundete, der vom Chefchirurgen der napoleonischen Garde, Baron Larrey entwickelt wurde. An der anschließenden Friedhofsmauer sind mehrere Faksimiles von Leipziger Anordnungen aus der Zeit nach der Schlacht angebracht, die Bezug nehmen auf die Situation der Verwundeten in der Stadt.

    Das Museum ist thematisch gegliedert. Viel Text und etliche Audiobeträge machen das Museum aus, illustriert mit einigen Exponaten und Zinnfigurdioramen. Vor allem für die Audiobeiträge mit Augenzeugenberichten sollte man sich Zeit nehmen, vermitteln sie doch die unmittelbaren Eindrücke von Menschen, die das damalige Geschehen hautnah erlebt haben und die in ihren Schilderungen sehr betroffen und nachdenklich machen.

    Der Rundgang beginnt mit der Darstellung verschiedener Kampftaktiken der damaligen Zeit (Linientaktik, Kolonne), gefolgt von „Waffen und Wirkungen“. Zu jeder ausgestellten Waffe gibt es eine zeitgenössische Schilderung der Waffenwirkung:
    „Säbel: Ein anderer …erhielt bei dem Gefecht … einen Hieb, der ihm den unteren Teil der Nase, die beiden korrespondierenden Teile der Wangen und der Oberlippe und die beiden Marillarknochen bis zum Gaumen so trennte, daß der Nasenteil nur noch etwas an der über den Mund herabhängenden Oberlippe mittelst des linken Nasenflügels festhing, was einen fürchtlichen Anblick darbot“

    Im nächsten Raum wird das Militärsanitätswesen dargestellt: Verwundetentransport, Lazarette, Operationsmethoden und Arbeitsweise der Militärchirurgen. In einem der Audiobeiträge wird von einem Zeugen eine Beinamputation geschildert: Rundschnitt durch das Bein mit einem gekrümmten Messer bis auf den Knochen, Fleisch zurückziehen, Knochen durchsägen, Gefäße veröden oder abbinden, Beinstumpf verbinden – fertig. Alles ohne Betäubung und in etwa 5 Minuten.

    Das Leid der Zivilbevölkerung wird im folgenden Raum geschildert. Die Bevölkerung floh vor der sich anbahnenden Schlacht. Evakuierungen von Staatswegen gab es nicht. Nach der Schlacht kehrten die Menschen über das Schlachtfeld mit tausenden Toten in ihre meist zerstörten Dörfer zurück. Eine Erfahrung, die Auguste Vater sehr bildhaft beschreibt.

    Auf dem Leipziger Schlachtfeld lagen die Gefallenen oft noch wochenlang, wurden ausgeplündert und irgendwann meist in Massengräbern bestattet. Fast 90.000 Tote und Verwundete auf relativ begrenztem Raum – kaum vorstellbar!!

    Gefallene Menschen und Pferde wurden regelrecht ausgeplündert und „verwertet“: Pferden wurden Mähnen und Schweife abgeschnitten und die Haut abgezogen. Den Soldaten wurden Kleidung und Ausrüstung gestohlen, so das viele Gefallenen nackt beerdigt wurden.

    Da es 1813 noch keinen Zahnersatz im heutigen Sinne gab, wurden Toten auch die Zähne herausgebrochen, verkauft und von Dentisten an zahlungskräftige Patienten verkauft:
    „Unter allen diesen Beutesuchenden waren diejenigen die merkwürdigsten, welche den Toten die Kinnladen aufbrachen und die schönsten und weißesten Zähne herausrissen, um sie zum Einsetzen in Folge zu verkaufen. (Man) hörte, daß solche Zähne, die nur selten zu haben sind und statt derer man sich immer mit Kälberzähnen behelfen muß, sehr teuer bezahlt werden.“

    Der letzte Raum beschreibt die Soldatenschicksale: Tod, Invalide, Krüppel, Veteran.

    Wie gesagt, das Sanitäts- und Lazarettmuseum ist weniger ein Museum zum anschauen als vielmehr zum lesen und hören. Wer sich dazu etwas Zeit mitbringt, erfährt viel über die damalige Zeit aus Sicht der Kriegsteilnehmer. Weniger Chronisten und Historiker kommen zu Wort als vielmehr Zeitzeugen, was die Ausstellung so bedrückend macht.

    Wie ich im Gespräch mit dem Museumsmitarbeiter erfahren habe, hat das Museum leider nicht so die Resonanz, wie es sie verdient hätte. Es soll Sonntage geben, wo nicht ein Besucher kommt. Auch bei meinem Besuch waren außer mir nur noch 6 weitere Personen (als Gruppe) da. An was mag es liegen? Zu wenig bekannt? Zu weit außerhalb von Leipzig und ohne Auto schlecht erreichbar? Die Website ist jedenfalls gut gemacht. Für 2015 ist eine Kabinettausstellung („Gespielte Sanität“) geplant. Ein Film wird ab Mitte 2015 die Wirkung einer Musketenkugel zeigen und ab 2016 ist die Sanierung der alten Scheune geplant.

    Fazit: Besuchenswert, wegen der nur sonntäglichen Öffnungszeit ein Stern Abzug.

    „Gestern noch auf stolzen Rossen,
    heute durch die Brust geschossen,
    morgen in das kühle Grab!“

    („Reiterlied“ von Wilhelm Hauff)

    („Zitate“ aus der Ausstellung)

    geschrieben für:

    Museen in Großpösna

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    LUT Hervorragend beschrieben!

    DAUMEN!

    "Lazarette, Operationsmethoden und Arbeitsweise der Militärchirurgen" - das interessiert mich immer brennend. Unter welchen Umständen damals operiert wurde...
    bearbeitet
    Ausgeblendete 7 Kommentare anzeigen
    grubmard Für Interessierte:
    Schriftenreihe des Sanitäts- u. Lazarettmuseums Seifertshain:

    "Cauchy - Eine Chirurgengeschichte aus der Zeit der Völkerschlacht" von Thomas Josef Wehlim

    ISBN 978-3-9816195-0-8

    Preis 3,80 €
    bearbeitet
    grubmard Gerade nachgeschaut: beide Daumen noch dran, Gottseidank, "nur" ein bandagierter grüner Lazarettdaumen - danke dafür.
    Schalotte Glückwunsch zum grünen Daumen und Danke, für diesen informativen Beitrag!
    Konzentrat Danke für die ausführliche Vorstellung und den guten Tipp.
    Glückwunsch zum verdienten Daumen.
    vinzenztheis Toller Bericht.
    Wie man sieht hat es auch zur damaligen Zeiten Massenmörder in großem Maßstab gegeben. Eigentlich sollte man meinen, dass die Menschen aus solchen Ereignissen lernen, aber sie tun es leider nicht, wie man zur jetzigen Zeit wieder einmal sehen kann. Selbst im angeblich so aufgeklärten Europa wird wieder einmal auf allen Seiten mit dem Säbel gerasselt.
    grubmard Manche Dinge lernt die Menschheit nie, Frieden zu halten zum Beispiel ......

    bestätigt durch Community

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