Dieser Beitrag beginnt mal ganz anders als gewohnt, nämlich mit einer Kette von Konjunktiven, also 'hätte, täte, sollte, könnte gewesen sein' - war aber nun mal nicht.
HÄTTE ich an diesem bewussten glühend heißen Sonntagnachmittag, als mein rechtes Bein unterhalb des Knies in einer Schmerzexplosion 'aufflammte', die Idee gehabt, auf die Fahrt in die nächstgelegene medizinische Notfallversorgung in 22 km Entfernung, mein Schlapptop mitzunehmen, um mir während der Fahrt die... weiterlesen
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https://www.oberschwabenklinik.de/stationaere-medizinische-versorgung/klinik/alle-kliniken/notaufnahme/wangen/top-themen.html
und ihre Querverweise reinzuziehen, WÄRE mir viel Kummer und ein Riesenberg Frust erspart geblieben. Aber wer kommt schon schmerzgeplagt mit schwimmenden Augen auf so eine Schnapsidee?
WÄRE nämlich nicht zufällig Sonntag gewesen, HÄTTE ich, anstatt mich in meine Kalesche zu setzen und auf verkehrsarmen Nebenstraßen sehbehindert in o.a. ambulanten Notdienst zu navigieren, meinen höllischen Leibarzt angerufen, um mir von seinen Mädels sagen zu lassen, dass dieser vom Pferd gefallen war und sich den Popo gestaucht hatte, wie schon in
https://www.golocal.de/leutkirch/dialyse/dialyse-apheresezentrum-leutkirch-8ZILA/
erzählt. Dann HÄTTE ich nämlich anders disponiert und via 112 den Notarzt mobilisiert.
Aber nein, man war ja ein Indianer mit deutscher Staatsbürgerschaft, der bekanntermaßen keinen Schmerz zu kennen hat, also nix wie rein ins zweifelhafte Vergnügen, durch den Wolf der sonntäglichen Notfallmedizin gedreht zu werden.
Ich kannte die strenge Hausordnung schon aus früheren Inanspruchnahmen diverser Angebote, die die Parkplätze am Haus für die Damen und Herren Doktores und die leitenden Papiertiger reserviert und leidende ‚Kunden‘ auf den gebührenpflichtigen Besucherparkplatz verweist und fast 1 km bergauf wanken lässt. Natürlich kann man sich auch von einem großen ‚Taxi‘ mit Blaulicht und lauter Hupe vor den Lieferanteneingang karren lassen, und wenn man durch die Luft anreist, wird man sogar am Parkplatz des fliegenden Vehikels abgeholt.
Doch der o.a. Indianer schlich standesgemäß barfuß über den glühenden Asphalt bergan zum Hauptportal des Hauses. Bloßfüßig deshalb, weil es für die Nilpferdfüße keine Konfektion im einschlägigen Handel gab und der Leib- und Magen-Schuhmachermeister nun mal gewisse Lieferzeiten für Maßanfertigungen hatte.
Es gelang mir, ohne Brandblasen an den Sohlen die fleißig rotierende Menschenschlangenfräse zu erreichen und betrat mit einem Stoßgebet an die Sicherheitstechnik der Vorrichtung den Erfassungsbereich. Diese funktionierten tatsächlich und nach 3 Mal geschubstwerden landete ich im Foyer des Hauses und verharrte erstmal aufatmend auf den ‚eisgekühlten‘ Marmorfliesen. Subjektive Sensorik arbeitet nun mal relativ, sonst könnte sich die Menschheit einen Großteil ihrer Technologie sparen.
Wenn sich auch schon eine Menge meiner Sensoren verabschiedet haben oder zumindest stark schwächeln, der Riechkolben tut’s immer noch, insbesondere wenn er etwas erfasst, worauf er fürchterlich steht, Äther zum Beispiel. Und hier im maschinengekühlten Foyer roch es klar und eindeutig nach Ozon, O3 ist giftig, aber hier spricht der alte Dr. Paracelsus ein gewichtiges Wort mit: Der Mensch hat eine gewisse Tonnage, Bazillen auch, aber diese unterscheiden sich in einem ganz wesentlichen Punkt, nämlich in der Größenordnung. Also ist ein einzelnes O3-Molekül für einen Bazillus unbedingt tödlich während ein Mensch es nicht einmal riecht. Also würde ich mir hier im Haus wahrscheinlich nichts Zusätzliches zu meinen Wehwehchen einfangen, zumindest wurde etwas zur Entkeimung der Atemluft getan.
Die beiden einsamen Mädels hinter dem riesigen Tresen fixierten mich neugierig, vermutlich wurde schon eine stehend freihändige Diagnose erstellt. Ich versuchte es mit Winkewinke und einem Lächeln - Volltreffer - das strahlende Echo wärmte das alte Herz nicht unerheblich. Aber ich war ja nicht zum Mädels angraben hier, rang nach freundlicher Sachlichkeit und schilderte, was nicht ohnehin offensichtlich war und fragte ganz vorsichtig, ob es nicht doch eine europäische Variante von Elephantiasis gäbe, die mich da erwischt hat.
Nein, war nicht bekannt, und da man nicht so recht wusste, wo ich bzw. mein Aua einzuordnen war, ging es nun los mit Telefonieren: Orthopädie lehnte ab, nicht ihr Fall. Dermatologie war nicht besetzt, eigentlich logisch. Die Haut machte keinen Ärger, der innerhalb von Stunden therapiert werden MUSSTE. Dass meine Beine kein Fall für die Kardiologie waren, leuchtete selbsttätig ein und nach einem Weilchen kristallisierte sich die allgemeine Notaufnahme zwecks Erstellung einer Diagnose heraus und ich wurde dort als Zugang angemeldet.
Der Weg dorthin war hervorragend ausgeschildert, was nicht verkehrt war, denn diese Abteilung befand sich in DEM Teil des Gebäudes, das die kürzeste Distanz zum Hubschrauberlandeplatz aufwies. Dort wurde ich von einer jungen Lady empfangen. Wenn ich mal hochgucken muss, um die Augen zu sehen, ist es kein Mädel mehr.
Nach der üblichen Bürokratie erfolgte SEHR gezielt und sachkundig die Anamnese, also die Inquisition nach eventuellen Vorerkrankungen und bis dato getroffenen Diagnose- und Therapieversuchen. Dass auch SIE mein Blut wollte, erklärte sie mir kurz damit, dass das Haus ein eigenes Labor hätte und es IMMER von Vorteil wäre, wenn die Blutsenkung frisch zur Analyse kommt, dann ist diese am präzisesten. Als sie das dazu erforderliche Besteck zusammenstellte, stiegen mir angesichts der ‚Bohrmaschine‘ schon die Grausbirnen auf: Als Insulinjunkie bin ich ja Nadelkummer gewöhnt, aber DIESEM Teil war ich schon verschiedentlich begegnet: Es wird Braunüle genannt, sah aus, als hätte es einen eigenen Antrieb und könnte bei Bedarf auch fliegen. Der Durchmesser der schweinchenrosa Plastiknadel ging schon sehr in Richtung beängstigend (knapp 2 mm).
Da war doch was mit dem ‚Indianer‘? Es ist nicht unbedingt so, dass ich GAR nix aushalte, aber ich schätze es schon sehr, wenn der Schmerz irgendwann wieder nachlässt. Und so wie ich die Gewohnheiten der Mediziner bei Verwendung eines solchen Plastikmonsters kenne, wird nach der Entnahme des kostbaren Blutes das Teil verkorkt und im Fleisch zwecks späterer Wiederverwendung belassen. Eine solche sah ich aber nicht, also trat ich in Verhandlungen mit der jungen Riesin. Aber „Nein, ich habe keine Stahlnadeln hier, tut mir leid…“ – Mist!
Doch nun tat sie etwas, was ich noch nie erlebt habe: Sie tastete beide Ellenbeugen ab. – „Na diese Venen sind ja ganz schön vernarbt, wie das?“ – „Seit gut 10 Jahren eine Blutsenkung pro Quartal, das hinterlässt Spuren, auch wenn es nur 1,2 mm Stahlnadeln sind und Ihre Kolleginnen beim Hausarzt recht begabte Vampire sind, die das Ziel auf Anhieb treffen.“ – „Das freut mich, dass Sie offenbar keine Nadelphobie gießen, aber für diese leider recht auftragende Braunüle brauche ich ein elastisches Plätzchen“ – Ich kapierte, was sie meinte und bot ihr den linken Handrücken an, auf dem sich die Venen prächtig abzeichneten.
Sie war skeptisch: „Das wird aber weh tun…“ – „Nur zu, sie kennen doch die Weisheit aus München: ‚A Guata hoits aus, um kaan Guatn is net schod.‘ – Bis jetzt war ich immer noch guat.“ – „Nein, kenne ich nicht, aber ich weiß, was Sie meinen.“ – Zwei Minuten später sah mein Handrücken aus wie ein Flugplatz mit parkendem Kampfflieger, der mit Gewebeband angedübelt war, damit er nicht ausbüxte.
Damit endet der erfreuliche Teil meiner Notkonsultation der Titellocation. Die junge Frau geleitete mich in einen Raum, der wohl der weiteren Untersuchung diesen mochte und ließ mich dort allein. Ich sah es ihr nach, denn SIE als Profi war von dem kurzen Blick in eine Art Not-OP-Saal mit Sicherheit nicht so erschüttert worden wie ich: Dort lag leblos eine SEHR alte Frau und war mit zahllosen Leitungen und Schläuchen an die Lebenserhaltungmaschinerie angeschlossen. Ein junger Mann im blauen Mantel sinnierte vor sich hin, vielleicht was er NOCH für die Frau tun könnte. Die Ärmste war in einer Situation, in die ich niemals zu kommen hoffe.
In ‚meinem‘ OP-Saal hatte ich jetzt eineinhalb Stunden Zeit, über Leben und Nichtmehrleben zu philosophieren, aber es kam immer das gleiche heraus: KEIN Geradenochleben bitte. Plötzlich bog der bereits gesichtete junge Mann vom Gang in die offen stehende Tür, er wirkte wütend, warum auch immer. Er scannte mich von oben bis unten, holte das frisch erstellte Blutbild auf den obligaten Bildschirm, dann fuhr er mich an: „Haben Sie auch nur die leiseste Ahnung, wo Sie hier überhaupt sind? Ihnen fehlt rein gar nichts!“ – Das reichte, jetzt wurde ich pampig, den Hackstock für seine miese Sonntagsdienstlaune zu machen fehlte mir gerade noch: „Sie haben recht, FEHLEN tut mir nichts, ich habe einiges zu viel, was gestern noch nicht da war. Und außerdem befinde ich mich genau an dem Ort, der mir durch mehrere Schleusenwärterinnen freundlich zugewiesen wurde.“ – Wohl eine Handvoll Schwarzpulver in sein Feuer, ein Patient, der es wagt, seiner Allmacht zu widersprechen und auch noch Recht zu haben.
Ohne mich weiter zu beachten, begann er hektisch auf seinem Keyboard rumzufingern. Hierbei entstand wörtlich folgender Befund:
Anamnese: Berichtet seit 1 Jahr über geschwollene Beine. War mehrfach beim Hausarzt, habe seit einiger Zeit Diuretika eingenommen, daraufhinhabe sich die Nierenfunktion verschlechtert. Dieser schickte sie zur Nephrologin, dieser Befund steht wohl noch aus, ebenso habe er im September einen Termin beim Phlebologen. Daraufhin stellte er sich bei uns in der Notaufnahme vor.
(Dieser Absatz ist buchstabengetreu abgeschrieben, um zu demonstrieren, dass ein korrekter Gebrauch unserer schönen Sprache u.U. auch für gebildet zu sein Habende reine Glückssache ist.)
Es folgten dann noch technische Angaben, z.B. das leichte Fieber mit 37,8°C und zum Schluss die Anmerkung: „Beinödeme beidseits, keine Überwärmung, keine Rötung.“ – Mit Letzterem hatte er nicht unrecht, die Schienbeine schillerten in allen Farben von gelb über rot nach grün bis blau.
Er druckte sein Traktat aus, unterschrieb es und drückte es mir in die Hand. Dann riss er die Braunüle samt Gewebeband mit einem Ruck vom Handrücken und belegte mich mit einem Fluch, als das spritzende Blut seinen Mantel bekleckerte. Dann kriegte er es gerade noch hin, mir eine Kompresse zuzuwerfen, bevor er mit wehendem Mantel hinausrauschte.
Tief beeindruckt von so viel Selbstherrlichkeit eines Assistenzarztes (laut Impressum des Berichtes) schlich ich in die Rezeption, um mich von den beiden Hübschen trösten zu lassen. Das synchrone Verleiern zweier Augenpaare zum Himmel auf meine Frage, was für ein seltener Vogel der heutige Notarzt sei, war mir ein innerer Reichsparteitag. Ich löcherte die beiden nicht weiter, um sie nicht zu kompromittieren, sondern ließ mich von der Menschenschlangenfräse hinaus in die immer noch glühende Luft schubsen.
Über die 3 Euro Parkgebühr mochte ich mich schon gar nicht mehr ärgern, auf der Heimfahrt erstellte ich einen Schlachtplan für das weitere Vorgehen, um den Trichter dieser medizinischen Fehlleistung einzuebnen. Aber dessen Umsetzung ist mir eine weitere Geschichte wert.
Warum ich einen zweiten Stern spendiere ist leicht nachzuvollziehen: Das persönliche Versagen des an diesem Tag warum auch immer leitenden Notarztes soll nicht auf die ganze Einrichtung ausgeweitet werden, in der ich auch schon gute Erfahrungen gemacht hatte. Zudem waren die beiden netten Mädels an der Rezeption, die fleißige Zweimeterschwester und die erfrischende Klimaanlage Balsam für die schmerzende Seele, das ist mir auch etwas wert.[verkleinern]