Aprìl 2018
"Hey, ich zeige dir einen Ort, der dich interessieren wird". Da musste ich mich von meinem Mann, der "sein" Berlin wie die eigene Hosentasche kennt, nicht lange überreden lassen, denn er kennt in der Tat die spannensten Orte.
So wanderten wir vom Schildhorn aus los, zunächst bergan Richtung Havelchaussee, überquerten diese und tauchten auf einem Weg wieder in der Wald ein.
Je mehr wir uns von der Havelchaussee entfernten, um so stiller wurde es. Nur das Trällern der Vögel... weiterlesen
war bald noch zu vernehmen und ab und zu ein Knacken im Unterholz des lichten Fichtenwaldes.
Das Spannenste, das mir einfiel war, dass die Wildschwein - Bachen zur Zeit ihre Frischlinge groß ziehen und so schaute ich mich bei jedem Knacken von Ästen etwas ängstlich um.
Dann und wann kitzelte uns ein Sonnenstrahl an dem herrlichen Frühlingstag.
Der Weg führte in die grobe Richtung des Teufelsberges und Teufelssees. Ich dachte, ich hätte unser Ziel erraten und richtete mich innerlich auf eine kleine Wanderung quer durch den Grunewald ein.
Doch schon nach kurzer Zeit lichtete sich der Wald und wir standen vor einer Einfriedung mit einem Torbogen aus gemauertem, grob behauenem Stein mit einem braunen, mit Eisen beschlagenen Holztor, welches ein Walmdach andeutet.
Zunächst dachte ich spontan an eine Kriegsgräberstätte, aber mein Mann kam meinen weiterführenden Gedanken zuvor und meinte "Das ist der Selbstmörderfriedhof oder auch Friedhof der Namenlosen".
Mein Mann und ich haben schon so manch interessanten Friedhof, wie den Beamtenfriedhof, der versteckt in der Nähe des Hauptbahnhofes zu finden ist oder den Südwestfriedhof in Stahnsdorf erkundet, sind doch oft mehr oder wenige bekannte Persönlichkeiten dort bestattet.
Von einem Selbstmörderfriedhof hatte ich noch nie gehört und meine Recherchen zur Historie ergaben folgendes:
Der Friedhof wurde um das Jahr 1880 von der Forstverwaltung angelegt und diente der Bestattung von am Ufer der Havel angeschwemmten Wasserleichen.
Da die Havel im Bereich der Landzunge des Schildhornes nach Westen abknickt, wurden seit jeher Wasserleichen vor allem in diesem Bereich angeschwemmt.
Da sich unter den Angeschwemmten auch Suizidenten befanden und noch bis in das 19. Jahrhundert diesen ein christliches Begräbnis verwehrt wurde, musste sich die Forstverwaltung etwas einfallen lassen, um die angeschwemmten Toten unter die Erde zu bringen.
So legte man unweit des Schildhornes auf einer etwa 5.000 m² großen Waldlichtung diesen heute aufgrund seines Alters sehr idyllischen Friedhof an.
Bald sprach sich dies in Berlin herum, so dass auch Angehörige von Suizidenten, die nicht angeschwemmt worden waren, ihre Toten hier bestatten ließen.
Es sollen sich im vorletzten und zu Beginn des letzten Jahrhunderts sogar Menschen in dessen Peripherie das Leben genommen haben. Das erinnert irgendwie ein wenig an Aogigahara - den Wald, den Suizidenten in Japan bevorzugt aufsuchen, was ich an dieser Stelle jedoch nicht vertiefen möchte.
Der Lauf der Zeit und die geschichtlichen Ereignisse brachten es mit sich, dass hier nicht nur Suizidenten bestattet wurden, sondern ab dem Ende des ersten Weltkrieges auch Soldaten, Zivilisten und einige russische Kriegsgefangene.
So findet man neben herkömmlichen älteren, aber auch neueren Grabstätten auch einfache Kreuze und kyrillische Kreuze.
Bis Ende der 20iger Jahre diente der Friedhof als Suizidentenfriedhof für Groß - Berlin, danach wurden Bestattungen allgemein zugelassen.
Inzwischen hatte man etwa 1911 eine Leichenhalle errichtet, die heute jedoch nicht mehr vorhanden ist und die eingangs beschriebene Umfriedung von dem Gartenarchitekten Richard Thieme in den Jahren 1928/29.
Eine starke Belegung erfuhr der Friedhof nach dem zweiten Weltkrieg, als man provisorisch in Parks Bestattete Zivilisten, die in den Wirren der letzten Kriegstage um´s Leben gekommen waren, hierhin umbettete.
Seither finden auch allgemeine Bestattungen hier statt.
Die meisten Namen der hier bestatteten bekannten Berliner Bürger sagen mir nichts, aber ein Grab, dass ich hier nicht vermutet hätte, sehr wohl.
Es handelt sich um das Grab von Nico (Christa Paeffgen * 16.10.1938 , gest. 18.07.1988), die ihren Durchbruch als Sängerin der Band Velvet Underground erlangte.
Das Grab ist von Fans liebevoll geschmückt.
Ihr Todestag jährt sich dieses Jahr am 18.07. zum 30. Mal. Sie starb auf Ibiza, wurde jedoch hierher überführt und im Grab ihrer Mutter mit beigesetzt.
Für den restlichen Tag hatte ich einen Ohrwurm: Femme fatale von Velvet Unterground ....[verkleinern]