Ist er mein Hausarzt?
Im Nachbarhaus hat er das alte Ehepaar K. versorgt. Und die liebe R. von gegenüber sagt immer „Der ist doch unmöglich??!“, ….und geht anderentags wieder zu ihm.
Ja er ist ein Hausarzt - aber ist er auch meiner? Nur alle Jubeljahre einmal suche ich ihn auf, jetzt wieder nach mehr als fünf Jahren.
Früher ging ich zu dem steinalten Dr. K. In dessen Behandlungszimmer mit den rostigen Gerätschaften und den riesigen Spritzen konnte man nur gesund werden. So vor etwa 30... weiterlesen
Jahren habe ich dann den Schritt in die medizinische Moderne gewagt und war erstmals bei Dr. Zierau. Dem bin ich stets treu geblieben - stets treu? na gut, ein- oder zweimal war ich bei seinem Urlaubsvertreter, und einmal habe ich ohne ihn zu fragen einen Spezialisten konsultiert, hätte ich vielleicht nicht tun sollen…
Na klar ist er mein Hausarzt, wie konnte ich nur diese dumme Frage stellen. Ich gehe jetzt unangemeldet hin und freue mich über das Schild „Ihr Lächeln wird erwidert“ am Eingang. Drinnen empfängt mich die freundliche Frau Zierau so, als sei ich gestern zuletzt da gewesen.
Neben ihr sitzt die nette Frau J., die ist für’s Piksen und Messen zuständig. Auch sie strahlt mich an. Seit eh und je ist sie dabei und es ist keineswegs uncharmant wenn ich erwähne, dass sie sich gerade in das Rentenjahrzehnt hineingenullt hat - damit ist sie nämlich die mit Abstand jüngste in der Crew.
Trotz der langen Zeit ist gleich meine Patientenkarteikarte zur Hand. Karteikarte? ja, so ist das hier. Die Abläufe, die ich vor 30 Jahren als zeitgemäß empfand, haben sich bewährt und erhalten. Vieles wird handschriftlich gemacht und der Computer wird nur da gebraucht, wo es wegen der Krankenkassen erforderlich ist.
Selbstverständlich kann ich gleich da bleiben. Dies ist keine durchgetaktete Bestellpraxis. Es ist vielleicht nicht schlecht, mal anzurufen und zu fragen, wie es denn aussieht. Aber nötig ist es nicht, es gibt Sprechstunden und ein Wartezimmer, das ich mag. Schöne Holzstühle stehen da, und warmes Rot dominiert. An den Wänden hängt ein buntes Gemisch von Bildern, Kinderzeichnungen und ausgeschnittenen Zeitungsartikeln und in der Spielecke steht eine Tafel mit Magnetbuchstaben, die weckt bei mir stets das Kind im Opa.
Irgendwann öffnet sich die Tür und der Doktor nuschelt meinen Namen - ich bin dran.
Dr. Zierau ist Schulmediziner und ich bin etwas alternativ. Trotzdem ist da Harmonie. Ich schätze ihn als einen hervorragenden gründlichen Diagnostiker und als einen erfahrenen Arzt, der genau weiß, was er selbst kann und tun sollte. Von allem anderen lässt er die Finger, greift zum Telefon und arrangiert sofort für seinen Patienten einen zeitnahen Termin bei einem Spezialisten. Und wenn man dann in der durchgestylten Facharztpraxis ist, hört man sehr anerkennende Worte über Dr. Zierau, verbunden mit einem leichten Zucken im Mundwinkel wegen des weitgehend per Hand ausgefüllten Überweisungsscheins.
Nach der Konsultation ist noch Zeit für ein paar nette persönliche Worte, die stets von der beiderseitigen Frage „ich halte Sie doch nicht auf“ begleitet werden. Dabei höre ich von seinen Reisen und davon, dass er sicher keinen Nachfolger seiner Art bekommen wird.
Nein das wird er nicht. Über Hausärzte seiner Prägung und seiner Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen und sich dem Patienten ganz persönlich zuzuwenden, ist die Zeit im großstädtischen Raum hinweggegangen.
Er liebt seinen Beruf und ist deswegen noch ein paar Jahre für uns da - zum Glück, denn wo sollte ich sonst auch hin, wenn nicht zu meinem Hausarzt.
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Wer etwas mehr über das Verhältnis berühmter Persönlichkeiten zu ihren Scharlatanen - nein so einer ist Herr Dr. Zierau nicht - erfahren möchte, dem empfehle ich das witzige Buch „Matt und elend lag er da“ von Jörg Zittlau, Ullstein Verlag, ISBN 978-3-548-37367-6.
Dort findet sich auch das Nietzsche-Zitat „Man muss für seinen Arzt geboren sein, sonst geht man an seinem Arzt zugrunde“.[verkleinern]