Im vergangenen Jahr wurde der Jüdische Friedhof in Altona unglaubliche 400 Jahre alt. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil es in Hamburg nicht viel gibt das auch nur eine annähernd so lange Zeitspanne überdauert hat. Spontan fällt mir da lediglich der Hafen ein, dessen 823. Geburtstag wir gerade erst mit einem dreitägigen Volksfest gefeiert haben an dem 1,4 Millionen Besucher teilnahmen.
Ganz so viele Geburtstagsgäste musste „Der Gute Ort", wie dieser Friedhof auch genannt wird, zum Glück... weiterlesen
nicht über sich ergehen lassen. Das hätte wohl die hübsche und sehr freundliche Mitarbeiterin der Stiftung Denkmalpflege Hamburg im Eduard-Duckesz-Haus, die während der Öffnungszeiten über den Friedhof wacht und jeden Besucher der am Portal klingelt einzeln einlässt, zu verhindern gewusst.
Das Eduard-Duckesz-Haus ist eigentlich gar kein Haus, sondern ein kleiner Pavillon am Zugang zum Friedhof. Neben Aufenthaltsräumen für die Mitarbeiter der bereits erwähnten Stiftung beherbergt es auch eine spezialisierte Bibliothek,einen kleinen Ausstellungsraum und sanitäre Einrichtungen. Der Standort des Pavillons (nicht auf dem Friedhofsgelände) und seine Bauweise (mit viel Glas zu allen Seiten) ermöglichen es auch Juden die den Friedhof nicht betreten dürfen, weil für sie strengere Gebote gelten, einen umfassenden Blick auf die Grabanlage zu werfen.
Ich mag Friedhöfe. Als ich mich entschloss diesen hier aufzusuchen ging es ursprünglich nur darum, mir die schönen alten Gräber anzugucken. Eher zufällig war es dann aber auch meine erste Begegnung mit der jüdischen Kultur, zumindest mit einem ganz kleinen Teil davon. Als ich mich im Internet über die Öffnungszeiten informieren wollte, stieß ich dabei auf den Hinweis, dass männliche Besucher eine Kopfbedeckung tragen müssen wenn sie den Friedhof betreten. Das kann eine Mütze sein, oder ein Hut. Wer keine eigene Kopfbedeckung dabei hat, kann sich am Eingang eine Kippa ausleihen.
Mit Kopfbedeckung konnte ich nun also den Friedhof erkunden, der von 1611 - 1869 aktiv genutzt wurde und aus einem einem sephardischen und einem aschkenasischen Teil besteht.
Die Gräber der Sephardim (Juden mit ursprünglich portugiesischer und spanischer Herkunft) bestehen aus flach auf dem Boden liegenden Grabplatten, über denen sich bei hochgestellten Persönlichkeiten gelegentlich Steinsärge befinden und die auffällig oft mit Totenschädeln und gekreuzten Knochen verziert sind. Die Grabsteine der Aschkenasim (Juden mittel- und osteuropäischer Herkunft) bestehen dagegen aus aufrecht stehenden Grabsteinen, die mit Kronen, Händen, Leuchtern und andern Symbolen verziert sind. Aufgefallen sind mir bei beiden Grabsteinen sehr lange hebräische Texte.
Jüdische Friedhöfe, das habe ich gelernt, sind für die Ewigkeit angelegt. Eine Auflösung und spätere Wiederbelegung der Gräber oder eine Umbettung sind nicht vorgesehen. Im Hamburger Stadtteil Ottensen, wo es auch einmal einen sehr alten jüdischen Friedhof gab, hat man dieses "Problem" ganz pragmatisch gelöst als bei Aushubarbeiten für die Tiefgarage eines geplanten Einkaufszentrums neben Grabsteinen auch menschliche Knochen zum Vorschein kamen Man hat die noch vorhandenen Gräber einfach zubetoniert und dann das Einkaufszentrum auf ihnen errichtet. Parkmöglichkeiten wurden schliesslich auf dem Dach des Gebäudes geschaffen...
Mir haben diese alten teils verfallenen und verwitterten Grabsteine jedenfalls so sehr gefallen, dass ich ihn mit Sicherheit nochmal besuchen und dann an einer der Führungen teilnehmen werde, die jeden Sonntag um 12:00 Uhr (außer an jüdischen und gesetzlichen Feiertagen) veranstaltet werden
Als ich zum Eduard-Duckesz-Haus zurückkehrte, habe ich die Mitarbeiterin der Stiftung Denkmalpflege natürlich mit Fragen gelöchert. Sie hatte es zuvor aber auch angeboten. So wollte ich von ihr unter anderem wissen, wie dieser Friedhof die NS-Zeit überstehen konnte, warum die Graber teilweise so dicht beieinander liegen, warum es keine Wege gibt, was die Symbole (wie Totenkopf mit gekreuzten Knochen) auf den Grabsteinen zu bedeuten haben, warum die Gräber alle gleich ausgerichtet sind, was die langen Texte auf den Gräbern bedeuten, warum manche Juden den Friedhof nicht betreten dürfen... Einige Fragen sind mir leider auch erst später eingefallen. Die Antwort auf die erste Frage war übrigens genauso einfach wie bedrückend. Die Nazis haben sich einfach nicht für die toten Juden interessiert. Es ging ihnen nur um die Lebenden...
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich an diesem Tag auf dem Jüdischen Friedhof Altona mehr über das Judentum gelernt habe, als in meinem ganzen bisherigen Leben zusammen.
Es laufen derzeit übrigens Bestrebungen den Friedhof der seit 1960 unter Denkmalschutz steht, gemeinsam mit einem anderen jüdischen Friedhof in den Rang eines Unesco-Weltkulturerbes zu erheben.
Öffnungszeiten des Friedhofs:
Oktober-März: Di, Do & So 14:00-17:00 Uhr
April-September: Di & Do 15:00-18:00 Uhr, sonntags 14:00-17:00 Uhr
An gesetzlichen und jüdischen Feiertagen, wie auch in den Winterferien ist der Friedhof geschlossen.[verkleinern]