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Ausgezeichnete Bewertung
Wer in Bergedorf, genauer: in Lohbrügge, ins Kino gehen will, kommt vielleicht nicht sofort auf die Idee, das gleich im Ort hinter sich zu bringen. Bergedorf und Lohbrügge gehören offiziell zu Hamburg - doch beide Ortsteile sind mit erheblichem Selbstbewusstsein ausgestattet. Ändert nix daran, dass abends hier die Luken dichtgemacht werden. Man verzieht sich wohl lieber mit einem Sixpack vor den 50-Zoll-Flachschirm, als vor die Türe zu gehen.
Aber - nur gesetzt den Fall, man will es doch mal... weiterlesen
tun - und ist festen Willens, mit Freunden ein Lichtspielhaus zwecks Darbietung glamouröser, international wertvoller Filmkunst zu besuchen, dann geht das sogar hier. Die Hansa-Filmstudios stemmen sich seit Jahren gegen die nur 20 Bahnminuten entfernten, pompös-gigantischen Multiplex-Abspielautomaten namens Cinemaxx und UCI.
Die muss ich jetzt natürlich schlecht machen, sonst hätte es ja keinen Sinn, das hier noch zu lesen. Aber nein: Multiplex-Kinos sind klasse - nirgendwo sonst, außer im Spielzimmer eines Zwölfjährigen - hat man die Chance, acht Filme gleichzeitig durch die dünnen Wände zu hören. Und, wer es nicht weiß: Wunder ereignen sich dort! Und die passieren deutlich öfter als eine Person mit langen Jahren und gütigem Blick auf einem Teich herum latscht. So betritt alle paar Stunden eine Menge Ungläubiger den Saal über einen roten Teppich, der nach ein paar Stunden vollständig verschwunden ist. Sie verlässt den Saal als Gruppe sittlich-moralisch enthemmter Kreisgrinser auf einem hochflorigen Teppich aus geplatzten, klebrigen Maiskörnern.
Schon vorher merkt der distanzierte Beobachter, dass die Menschheit wohl nicht die Krone der Schöpfung sein kann (und darf!). Vorsicht, jetzt folgt ein zu langer Schlangen-Satz: Wer außer der Gattung der homo erectus kinogengerensis ist willens, sich dafür, dass man sich nicht an einer langen Kinokasse anstellen muss, an einer anderen Schlange anzustellen, die am Kopfende keinen Menschen zum Ziel hat, sondern einen Automaten, der Karten ausdruckt, die teurer sind, weil man vorbestellt hat, damit man sich nicht anstellen muss? 54 Wörter, alles verstanden? Respekt! Nicht? Oh, sorry, ich auch nicht!
Nun ja, wer das und noch viel mehr nicht so toll findet, der sollte mal in ein richtiges altes Kino gehen. Zum Beispiel in die Filmstudios hier. Schon vor dem Eingang gibt’s alte Technik zu sehen: Die Schiebebuchstaben, mit denen die Filme der Woche kundgetan werden, funktionieren noch immer tadellos und brauchen keine Updates, von einer gelegentlichen Wäsche mal abgesehen.
Die Treppe hoch, durch eine Türe, gelangt man in den schmalen Vorraum, gesäumt von Filmplakaten, gedruckt auf altertümlichem dünnen Totholz. Aus einer Art verglastem Postschalter auf der linken Seite reicht der Chef des Familienbetriebes höchst eigenpersönlich die Karten für die Vorstellungen heraus. Diese sehen noch immer aus wie Abreißbons auf einer Dorfkirmes. Die Preise sind so, dass man sich unwillkürlich fragt: Fehlt hier nicht vielleicht die „Eins“ vor der Zahl? Nein, tut sie nicht: Sieben Euro sind normal, außer für lange Filme. Reservieren per Internet? Platzkarten? Gibt es nicht. Wer früh da ist, bekommt die besseren Plätze, für die Langschläfer bleiben die Rasiersitze ganz vorn.
Auf der rechten Seite des Vorraums fühlen sich die Blicke angezogen von alter Technik: Ein monströs großer Filmprojektor zum Anfassen. Früher wurde so was von Filmvorführern händisch bedient, manch einer kennt noch deren Ehrgeiz, das so gut zu machen, dass die „Rollenwechsel“-Einblendungen nicht zu sehen waren. In Multiplex-Kinos erledigt das alles Kollege Computer. Geht was schief, merkt’s keiner, außer dem zahlenden Publikum, wenn es noch was merkt.
Während man in den großen Unterhaltungsabfertigungsanstalten offenbar nur mit abnorm großen Cola-Eimern und Popcorn-Containern als Wegezoll in den Kinosaal eingelassen wird, ist das hier anders. Ein kleiner, fast schüchterner Pocorn-Stand drückt sich hier an die hintere Wand des Vorraums und bietet hier seine Waren feil. Das zu Preisen, als wenn man sich hier für die Abzocke der gesamten Kino-Branche entschuldigen müsste.
Kino eins betritt man durch eine Art Wohnzimmertür. Kein schwerer Plüsch-Samtvorhang, keine Verheißung, kein Akklimatisieren, nix - man geht rein und ist drin. Der Saal verströmt sofort den hölzernen Odem der Sechziger. Die Sitze sind ausreichend breit, aber es muss ein Naturgesetz geben, nachdem Kinosessel spätestens nach einer Stunde unbequem werden. Diese sind leider auch gesetzestreu. Das zweite, unumstößliche Kino-Gesetz: Es bestimmt, dass sich immer jemand Größeres vor einen setzt. Das gilt hier auch. Aber die Riesen-Abwehr ist aufgrund der ausreichenden Schräge der Bestuhlung gut aufgestellt.
Was sofort auffällt, ist die recht kleine Leinwand. Bildgewaltige Spektakel würde ich mir hier wohl nicht anschauen und auch 3D-Filme eher nicht. Die Luft im Saal ist allerdings überraschend gut.
Vor dem eigentlichen Film startet hier die lang-vermisste Leistungsschau der Werbe-Wackel-Video-Vandalen. Autowaschen? Bitte zwei Straßen weiter. Flimmer, flimmer. Einsetzende Sirtaki-Musik im Muzak-Stil, weißer Hintergrund, davor ein Mittelmeer-Bild mit weißen, griechischen Häusern. Das weiß man, weil der Name des Lokals blau im pseudo-hellenischen Säulen-Font ins Bild flasht. Eine einladende Nuschelstimme mit Fremdschäm-Text. Lacher aus dem Publikum und endlich die erlösende Feststellung, dass es hier auch Eiskonfekt gibt. Durch die nach wie vor geöffnete Wohnzimmertür des Saals kommt ein Mädchen mit Eistasche. Das erstaunliche: Auf diesen alten Trick fallen sogar welche herein!
Nach den üblichen Vorfilmen geht es endlich los: Das merkt man daran, dass die Wohnzimmertür plötzlich zugeht. Wie gesagt, Bild und Ton sind etwas unterdurchschnittlich, aber, hey, wen stört das schon, wenn man um sich herum so viele nette, laut quatschende und gackernde Menschen hat? Wahre Cineasten, die jedes Hüsteln sofort mit Flammerwerfer-Blick quittieren würden, haben ihr Privatkino schon längst im Keller mit Dolby 15.4-Anlage, Erdbebensimulator oder eigener Popcorn-Kanone.
Vielleicht wissenswert: Das Kino beteiligt sich auch an der sogenannten Schulkinowoche im November. Eine Woche lang gibt es ein Filmprogramm mit künstlerisch wertvollen, medienpädagogisch relevanten sowie spannenden Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilmen aus aller Welt. Ansonsten muss man sich auf künstlerisch wertlosem, medienpädagogisch zweifelhaftem und nicht immer spannenden Action- oder Ami-Komödien-Kram beschränken? Nein, denn hier läuft auch eine Menge abseitiges für Leute, die sich gern nachher über Filme unterhalten, die keiner wirklich versteht.
Trotz der auch für Gelegenheitsschauer erkennbaren kleinen Defizite unterstütze ich das Kino hier gern mit meinem Besuch.[verkleinern]
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