Der Hinweis am Wegweiser zu den Sehenswürdigkeiten von Niederlauterstein (4 km nordöstlich von Marienberg / 30 km südöstlich von Chemnitz) mit dem Pfeil zum „Tiefen Victoria Stolln“ hatte mich neugierig gemacht. Folgt man dem Weg entlang der Schwarzen Pockau ca. 140m Richtung Süden befindet sich der Stollen rechter Hand unten am Burgberg.
„Stolln“ – da wurde doch ein „e“ vergessen, wird manch einer jetzt vielleicht sagen. Hat man nicht, denn „Stolln“ ist die erzgebirgische Variante von... weiterlesen
„Stollen“ und damit ist dann nicht das Weihnachtsgebäck sondern der Bergbaubegriff gemeint.
Der „Tiefe Victoria Stolln“ wird von der Wismut-AG „Neubert 2-Stollen“, in historischen Aufzeichnungen „Alter Stolln“ und im Volksmund „Fledermausloch“ genannt, da der höhlenartige Stollen Fledermäusen als Winterquartier diente.
Der heutige Name wurde vom örtlichen Heimatverein auf Grund eines entsprechenden Eintrags im Bergarchiv Freiberg von 1847 gewählt.
Wann der Stollen zum Silbererzabbau angelegt wurde, ist urkundlich nicht belegt. Auf Grund von im Stollen vorgefundenen Schneeberger Gedingezeichen (Bergmannszeichen) und den von Hand vorgetriebenen Sprenglöchern im Fels vermutet man das 17., eventuell auch das 16. Jahrhundert oder früher. Die Gedingezeichen waren im 16. und 17. Jahrhundert gebräuchlich und Sprengungen im Silberbergbau sind für das Marienberger Gebiet ab 1672 belegt.
Über das Ende des Erzabbaus im Stollen war nichts in Erfahrung zu bringen.
Im Laufe der Zeit wurden Stollen und der Mundloch genannte Eingang zumindest teilweise verschüttet.
Erst am Ende des 2. Weltkriegs erinnerte man sich als Folge der alliierten Luftangriffe auf das Erzgebirge wieder an den Stollen. Der Wehrführer der Niederlautersteiner Feuerwehr ließ den Stollen beräumen und von Zwangsarbeitern zum Luftschutzraum herrichten.
Mit bis zu 19m Gestein über dem Stolln war dieser bombensicherer als so mancher Luftschutzraum im Reich.
20 Personen fanden in dem Raum Platz. Zur Beleuchtung dienten von einer Autobatterie betriebene Lampen.
Ende der 1940er Jahre wurde der Stollenzugang mit Ausnahme einer kleinen Öffnung für Fledermäuse aus Sicherheitsgründen zugeschüttet.
60 Jahre später fasste der Heimatverein Niederlauterstein den Entschluss, den Stollen als „Bergbauhistorisches Schauobjekt“ der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Ab 2009 wurde der Eingang freigelegt, eine Treppe und das Mundloch gemauert, der Stollen selbst beräumt. Am 9.6.2012 fanden Stollenweihe und Übergabe an die Öffentlichkeit statt.
Am Eingang zum Stollen informieren Tafeln ausführlich über Geschichte und Geologie des Stollens sowie den Bergbau allgemein.
Wer den Stollen besichtigen will, dem sei festes Schuhwerk und eine Jacke dringend empfohlen. Auch eine Taschenlampe mitzunehmen ist keine schlechte Idee. Der Stollen wird mittels Schaltuhr beleuchtet, die allerdings nach 12 Minuten das Licht wieder ausschaltet. Wenn man länger im Stollen bleibt oder das Licht mal ausfällt, steht man buchstäblich im dunkeln …
Und helle, schmutzempfindliche Kleidung sollte man auch nicht anhaben.
Der recht schmale, aber ausreichend hohe Stollen hat die Form eines L.
Der erste Abschnitt führt ca. 10 m in den Berg. Hier findet sich auch eine mit einem Pfeil kenntlich gemachte sogenannte Pegmatit-Linse aus Feldspat, Quarz und Glimmer. Das mit dem Pfeil war eine gute Idee. Nicht jeder Besucher hat das geschulte Auge eines Geologen oder Mineralogen.
Der Gang mündet in eine größere Kammer, von der sich im rechten Winkel nach links der Stollen fortsetzt. Nach ca. 25 m ist Schluss. Der weitere Stollen ist durch eine Betonwand verschlossen. Hinter der Wand befindet sich die Vollverbruch genannte zusammengestürzte Fortsetzung des Stollens.
Neben der Pegmatit-Linse kann man mit etwas Mühe noch die Meisel- und Schlägelspuren sowie die wenigen Gedingezeichen und Bohrlöcher entdecken.
Fazit: Interessante Bergbauhistorische Anlage, die im Gegensatz zu den meist gut ausgebauten Bergwerken der Gegenwart dem Besucher einen kleinen Eindruck von den beengten Verhältnissen im Bergbau von vor etwa 300, 400 Jahren vermittelt.
Der „Tiefe Victoria Stolln“ ist frei und kostenlos zugänglich und auf eigene Gefahr zu besichtigen: Vor Ort gibt es weder Aufsichtspersonal noch eine Notrufeinrichtung.
Barrierefrei ist der Stolln natürlich nicht.[verkleinern]