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Ausgezeichnete Bewertung
Vielleicht sollte man öfter Bahn fahren. Es gibt Leute, denen das offenbar gut tut.
Ich habe einen guten Freund, den ich oft beneide. Um seine Gelassenheit in allen Lebenslagen. Egal was passiert, nicht funzt, schiefgeht: mit dem Lächeln eines buddhistischen Mönchs auf den Lippen legt er mir die Hand auf die zornbebende Schulter und trällert:"Reg dich doch nicht auf! Das ist es nicht wert! Sieh nur; draußen scheint die Sonne!"
Da kann kommen, was will.
Wie hat er das geschafft? Yoga-Guru in... weiterlesen
Indien ?
Nein. Statt am Ganges im Lotussitz die aufgehende Sonne zu begrüßen, steht er jeden Morgen bei jedem Wetter am Bahnhof und wartet auf seinen Zug. Denn er ist Berufspendler.
Ich hab das nie verstanden. Er hat Führerschein und Auto. Könnte sogar einen firmeneigenen Parkplatz haben! Mein Traum!
"Alter, warum?"
"Ach weißt du, das tu ich mir nicht an. Jeden Morgen Stau, und dieser Innenstadtverkehr-das bringt mein Karma durcheinander. Manchmal kommt die Bahn ja sogar, hin und wieder auch pünktlich. Ich hab doch Gleitzeit, und wenn alles klappt, sitz ich schon um halb 7 im Büro und kann früher abhauen, dann gibt's im Zug zurück vielleicht sogar 'nen Sitzplatz."
"Hm. Und wann bist du normalerweise so im Büro-ich meine, wenn's nicht klappt?"
"Och, spätestens um 9 bin ich da. Kann mal später werden, wenn ein Selbstmörder auf den Gleisen liegt. Kommt aber selten vor, nur so zwei, drei mal im Jahr."
Herzlichen Dank. Ich fahre lieber Auto. Vor allem morgens. Da muß ich mir kein Gequatsche anhören, kann eine rauchen und unbehelligt vor mich hinmurren. Ist zwar langweilig, aber immer noch besser als die Thriller, die ich dank der Bahn schon durchstehen durfte-als Heldin eines Alptraums eben.
ICE zum Spartarif mit Umsteigen in Frankfurt:
"Verehrte Fahrgäste, wegen eines technischen Problems müssen wir ab jetzt auf Sicht fahren und werden Frankfurt Fernbahnhof voraussichtlich 45 Minuten später erreichen. Wir hoffen, daß Ihnen dadurch keine Unannehmlichkeiten entstehen.."
(UNANNEHMLICHKEITEN?! Ach was! Ich verpasse lediglich den Anschlußzug nach München, für den mein Billigticket gültig ist. Wann der nächste Zug kommt, steht in den Sternen. Frankfurt F-BHF ist irgendwo im Outback, es ist schon spät, saukalt draußen und ich bin gelinde in Panik. Wenn das keine Unannehmlichkeiten sind, was denn dann?!)
Die Menschen um mich herum, offenbar leiderprobte Profibahnfahrer, haben im Gegensatz zu mir keine hektischen Flecken im Gesicht, sondern greifen gelassen nach ihren Handys. "Ich bin's. Der Zug hat mal wieder Verspätung, den Anschluß krieg ich wohl nicht mehr. Kannst du mich in Frankfurt abholen?" höre ich hinter mir. Ich starre ihn entsetzt an, er lächelt milde und zuckt mit der Schulter. Niemand regt sich auf. Wer nicht telefoniert, hängt wie ein Untoter in seinem Sitz und nimmt die Ansage ohne sichtbare Empörung zur Kenntnis. Die können doch nicht alle nach Frankfurt Fernbahnhof wollen?!
Notbiwak auf dem Haan-Gruitener Kappesfeldbahnhof ("Technische Störung! Wir bitte alle Fahrgäste, hier auszusteigen!") im Schnee. Die folgenden Züge fielen aus. Klar, Schnee im Winter, wer rechnet auch damit?
Ich sitze um halb 6 morgens nach einer zünftigen Kneipentour nebst unfreiwilligem Weitertrinken am Kölner HBF (der letzten Zug war mir natürlich vor der Nase weggefahren), mit einem Wochenendticket im RE Richtung Heimat, als mich ein Kontrolleur darüber aufklärt, daß ein Wochenendticket nur bis Sonntag morgens 3:00 Uhr gilt, und mich wegen Beförderungserschleichung verknacken will. Muß sich mir diese Tariflogik erschließen?
Von fast verpaßten Flügen, weil ich zu geizig für das Taxi zum Flughafen war und "eigentlich" die S-Bahn vor meiner Tür hält und das"eigentlich" ruckzuck geht, ganz zu schweigen. Es hat keinen Zweck, mir fehlen für's Bahnfahren die höheren Weihen der Gelassenheit. Ich riskiere jedesmal einen doppelseitigen Herzkranzgefäßkatarrh.
Aber letzte Woche mußte es doch mal wieder sein, Qyper-Stammtisch in Köln. Bekanntlich ist es nahezu für alle Düsseldorfer ein Ding der Unmöglichkeit, sich in dieser Stadt mit dem Auto zu orientieren. Mein Navi vom Wühltisch glänzt nicht nur durch eine unangenehme Frauenstimme, sondern auch durch die passende Rechts-Links-Schwäche. Für eine derartige Expedition also ungeeignet. Zu allem Überfluß fand das Treffen auch noch in einer Art Außenbezirk statt, jedenfalls nicht in Domnähe. Und sobald ich den Dom nicht mehr sehen kann, werde ich in Köln nervös. Also:Bahn.
Schon am heimischen Bahnhof wär ich am liebsten wieder umgekehrt. Menschenmassen, die von allen Seiten auf mich zu hempeln. Bei so was krieg ich Kreislauf .Ich suche einen Fahrkartenautomaten, der funktioniert. Einer tut's, na also. Aber nicht das, was ich will. Ich tippe hektisch auf dem Touchscreen rum. Das Gerät stellt blöde Fragen. DB-Tarif? Verbundtarif?
Woher soll ich das wissen?
Nach DB-Tarif soll ich satte 17,10 € berappen. Negativ; so teuer kann das nicht sein.
Also Verbundtarif. Paßt.
Das Gerät bricht den Vorgang ab.
Ich gucke auf die Uhr. Mein Zug fährt in 2 Minuten.
Nachdem alles wieder eingetippt ist, spuckt die Höllenmaschine meinen Zehner wieder aus. Mehrfach.
Danach bricht sie den Vorgang ab.
Mein Zug fährt in - jetzt.
Nachdem mir auch noch das Portemonnaie aus der Hand gefallen ist, kriege ich einen Wutanfall. Hinter mir stehen heitere Profibahnfahrer. Sie verstehen mich nicht.
Als ich das Ticket endlich habe, hetze ich durch den Bahnhof, auf der Suche nach einem Fahrplan. Überall S-Bahnpläne, aber erst im hintersten Eck finde das Plakat für die anderen Züge. Demnach fährt ein Regionalexpress nach Köln in ein paar Minuten, hurra! Ich hechte zum Gleis 6. Der Zug steht schon da. "Köln" steht drauf, jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen..
"Nächster Halt:Neuss HBF." Ich wundere mich kurz, der fährt doch sonst ganz anders? Naja, viele Wege führen nach Köln.
Geschafft vom Anreisestreß nicke ich kurz ein und werde erst 10 Minuten vor der mutmaßlichen Ankunft wach. Der Zug zuckelt an Wäldern und Feldern vorbei. Meine Berechnungen zufolge müßten wir bei Leverkusen sein. Das da draußen sieht mir nicht danach aus. Aber vielleicht hab ich was verpaßt; bin ja wie immer ohne Brille unterwegs.
"Nächster Halt: Milchkanne (Erft)."
Nee, da kann doch was nicht stimmen. Ich haue meine Nachbarin an. "Fährt der Zug nicht nach Köln?"
"Dooch."
"Aber wieso dauert das so lange? Wo sind wir hier?"
"Ja, ich weiß auch nicht. Aber der fährt nach Köln, ich will auch da hin."
"Nächster Halt: Quadrath-Ichendorf".
Ich will hier raus. Hake den Stammtisch ab und nehme mir vor, in Köln sofort wieder umzudrehen. Verwerfe den Gedanken aber wieder. Leider habe ich das "Überleben-in-Köln-Kit" für Düsseldorfer (eine Flasche Alt und 200 € für ein Taxi) nicht dabei. Für die landschaftlichen Reize da draußen bin ich irgendwie nicht mehr empfänglich. Auch wenn die Sonne scheint:-)
1 1/2 Stunden nach meinem Aufbruch aus Düsseldorf stehe ich am Kölner HBF und zünde mir zittrig eine Kippe an. So viel Zeit muß sein. Ich recherchiere am Fahrplan. Von allen Mühlen nach Köln habe ich ausgerechnet die "Erft-Bahn"erwischt. Die einzige, die den malerischen Umweg über die Mandschurei nimmt. Glückwunsch.
Ich hab die Nase erst mal wieder gestrichen voll. Und mir hier wieder 'nen Wolf geschrieben, obwohl ich mich -im Zuge des Zeitgeistes - mal kurz fassen wollte.
Man möge mir vergeben. Aber ich muß immerhin ein Trauma verarbeiten:-))
Natürlich kann ich die DB nicht dafür verantwortlich machen, daß ich so dämlich bin und statt in den leidlich schnellen RE in eine Bimmelbahn eingestiegen bin.
Aber das Elend mit den Fahrkartenautomaten, die Verspätungen, die siffigen Toiletten und das undurchschaubare Tarifsystem-das bin ich nicht "selber schuld". Und ich denke an gewisse andere Länder, wo das Bahnfahren nicht nur viel günstiger ist, sondern die Züge in der Regel pünktlich kommen und nicht stinken. Wie kann das nur?
Ich fliege dann doch lieber. Und für Kurz- und Mittelstrecke leiste ich mir demnächst ein neues Navi. Vielleicht gibt's eins mit der Stimme von Clooney und ohne Rechts-Links-Schwäche..[verkleinern]
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