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Die Sülchenkirche ist eine spätgotische Saalkirche mit polygonalem Chor und einer hölzernen Flachdecke.
Architektonisch nix besonderes und so etwas gibt es hier im schwäbischen Raum wie Sand am Meer.
Damit könnte mensch es bewenden lassen, Ende der Beschreibung.
Aber die ganze Sache ist ein wenig komplizierter und spannender:
Das spätgotische Kirchlein in Sülchen am Rande des heutigen Rottenburg am Neckar hatte eine äußerst prominente Bauherrin(!).
Nämlich die kurpfälzische... weiterlesen Prinzessin Mechthild von der Pfalz (1419-1482), aufgewachsen in der Universitätsstadt Heidelberg, verheiratet mit dem Grafen Ludwig I. von Württemberg und Mutter des allhier hochverehrten späteren Herzogs Eberhard im Barte.
Nach dem Pesttod ihres ersten Männe und als Mutter von fünf Kindern heiratete Sie mit 33 Jahren ein wenig überraschend den deutlich standeshöheren Erzherzog Albrecht VI. von Österreich, den Bruder des damaligen Kaisers Friedrich III.
Im Jahre 1463 war Sie im Alter von 44 Jahren bereits wieder Witwe und bezog im vorderöstereichischen Rottenburg am Neckar ihren Witwensitz und baute "ihre Residenz" zu einem Musenhof aus.
Die erste deutsche Übersetzung des "Dekameron" veranlasst sie...und die Kirche von Sülchen sollte ihre Grablege werden....
Daraus wird dann nix, denn heute liegt sie neben ihrem Sohn Eberhard im Barte in der Stiftskirche zu Tübingen, übrigens gehen die Gründungen der Universitäten Freiburg 1457 und Tübingen 1477 auf ihre Initiative und Willensstärke zurück.
(Obwohl ihr Sohn Eberhard im Barte und ihr zweiter Mann Albrecht bis heute als jeweiliger Unigründer in den Annalen stehen....)
Das spätgotische Sülchenkirchlein darbte dann in den folgenden Jahrhunderten als Friedhofskirche am Stadtrand von Rottenburg am Neckar dahin.
Aber plötzlich und unvermittelt steht das Kirchlein wieder im hellen Scheinwerferlicht der - zumindest regionalen - Geschichte:
Im 19. Jahrhundert entsteht mit Napoleons Hilfe das Königreich Württemberg und - horribile dictu - sind nun auch katholische Menschen Untertanen dieses größeren Reiches....
Eine neue Diözese muss gegründet werden für die Altgläubigen und Rottenburg wird als Bischofssitz erwählt....
...und wo Bischöfe leben, sterben sie auch und eine repräsentative Bischofsgruft ist von Nöten... und wieder ist Sülchen ein Ort der Geschichte, denn hier wird nach vielerlei Wirrrnis die Gruft der Bischöfe unter dem Chor eingerichtet....und bis 2011 auch neun von ihnen bestattet.
----Fortsetzung folgt ----
1868 war es endlich soweit:
Die protestantischen Herrscher in Stuttgart erteilten huldvoll die Genehmigung für die Errichtung einer Gruft in Sülchen.
Ein wenig Pech war, dass man sich zu diesem Zeitpunkt nicht an den ursprünglichen Namen des Ortes erinnerte... Sülchen kommt wohl von dem althochdeutschen Wort "Sulika" = das Sumpfige......
Die Gruft lief voll... langsam aber sicher und im Jahre 2011 sollte saniert werden... der Wasserstand nach starken Regenfällen war nicht mehr akzeptabel...
Das war die Stunde der Archäolog*innen, die Grandioses ans Licht brachten und die Diözese hatte Geduld und Geld für diese Sisyphosarbeit....
Gefunden wurde eine Steinkirche aus dem 8. Jahrhundert und eine Nachfolgekirche mit drei Schiffen und Rundapsiden aus dem Jahr 1000....
...und das Ganze wurde auf ein Gräberfeld draufgepfropft das aus dem 6. und 7. Jahrhundert stammt!
Da kratzten sich die Archäolog*innen hinter den abstehenden Ohren:
1. Eigentlich gibt es keine Steinkirchen im Südwesten im 8. Jahrhundert, die sind, wenn überhaupt da, aus Holz.
2. Kirchen werden zu diesem Zeitpunkt nie und nimmer auf älteren Gräberfeldern, von sogenannten Heiden gebaut....
3. Warum baute jemand um das Jahr 1000 eine vergleichsweise riesige dreischiffige Kirche ins sumpfige Neckartal...?
Der Ort Sülchen musste zu diesem Zeitpunkt offenbar ein wichtiger Zentralort im Sülchgau gewesen sein...
Was wurde nun außerdem gefunden:
Im Untergrund der Kirche aus dem 15. Jahrhundert, die man bis acht Meter tief untertunnelte, wurden 80 frühchristliche Gräber aus dem 5. bis 7. Jahrhundert nachgewiesen und weitere 300 Gräber aus späterer Zeit- bis in die Barockzeit.
Eine Glockengrube für eine im Durchmesser 90 Zentimeter große Glocke für die Kirche um 1000.
Das gibt es nördlich der Alpen auch nicht sehr oft...
...und in den Gräbern der Frühchristen fanden die Archäologen den "Sechser im Lotto"...
Im Grab einer jungen Frau war ein rundes Schmuckstück mit einem Kreuz in der Mitte vorhanden. Hinweis für den "neuen" Glauben.
Gleichzeitig trug das Mädchen eine spätantike römische Münze unter der Zunge. Das machte man oder frau nur, wenn mensch glaubte, den Fährmann Charon, der die Toten über den Fluss Styx in die Unterwelt brachte, bezahlen zu müssen.....
Christin oder etwas anderes, oder der Übergang von einer Religion zur anderen?!
Hier wird erfahrbar, wann das Christentum in Alamanien Einzug hielt und die Initiatoren waren die Franken aus dem Norden....
Sülchen ist ein Ort an dem seit 1500 Jahren Menschen beerdigt werden - bis heute - und die an ein Weiterleben im Anderen glaubten.... egal an was sie glaubten...
Ein Ort zum Nachdenken und Innehalten.
Gruß Schroeder
P.S.
Die Kirche Sülchen und die neue Bischofsgruft ist tagsüber meist zugänglich, außer während liturgischer Feiern, Beerdigungen und ähnlichem....
Die Ausgrabungsstätte ist nur mit einer Führung zugänglich.
Anmeldung und Terminnachfrage:
Diözesanmuseum Rottenburg
07472-922180
museum@bo-drs.de[verkleinern]
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