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Zehrensdorf – ein wirklich verlorener Ort in Brandenburg und im Zusammenhang als Friedhof ein geschändeter Ort noch dazu. Wer jetzt „Zehrensdorf“ in sein Navi eingibt, braucht schon ein sehr altes Gerät, so etwa aus dem Jahr 1935 und früher. Der Ort wurde im Zuge des Ausbaus des Truppenübungsplatzes Zossen-Wünsdorf erstmalig 1910 geräumt, 1920 aber neu besiedelt. Mit dem Ausbau des Standorts Zossen-Wünsdorf zum Oberkommando der Wehrmacht wurde die Gemeinde Zehrensdorf 1936 endgültig aufgelöst.... weiterlesen Zum besseren auffinden hier die Koordinaten (aus wikipedia):
52° 10 22 N, 13° 30 9 O
In Wünsdorf-Waldstadt findet man an der Kreuzung B96 / Hauptallee (Richtung Töpchin) auch den Hinweis „Kriegsgräberstätte“.
Vom Ort geblieben ist der alte Dorffriedhof, der nach 1945 aber auch für 50 Jahre aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwand, war das gesamte Gebiet um Wünsdorf doch Sitz des Oberkommandos der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland / Westgruppe der russischen Truppen und somit Sperrgebiet. Erst nach dem Abzug der russischen Truppen war der Friedhof, bzw. das, was von ihm übrig war, wieder allgemein zugänglich.
Woher kommt nun die Bedeutung des Dorffriedhofs als Kriegsgräberstätte? Was viele vielleicht nicht wissen, kämpften im 1. Weltkrieg nicht nur europäische und später US-amerikanische Soldaten auf den Schlachtfeldern Europas. Die Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich und Belgien setzten auch Truppen aus ihren Kolonien an der Westfront ein. Für überwiegend muslimische Gefangene wurde vom deutschen Kaiserreich bei Zossen 1914 das sogenannte „Halbmondlager“ eingerichtet. Teil des Halbmondlagers war das „Inderlager“ für kriegsgefangene Sihks, Hindus und Muslime aus dem damaligen Britisch-Indien (heute Indien, Pakistan, Bangla Desh und Nepal). Kriegsgefangene Russen und Angehörige anderer in der russischen Armee kämpfenden Nationalitäten waren im „Weinberglager“ Wünsdorf untergebracht. Diese Lager bestanden bis 1919 und zählten bis zu 15.000 Gefangene.
Für in Gefangenschaft verstorbene Lagerinsassen erweiterte die deutsche Militärverwaltung den Dorffriedhof Zehrensdorf zu einer internationalen Kriegsgräberstätte mit einer kleinen Kapelle. Die Toten wurden getrennt nach Staatszugehörigkeit beigesetzt. Insgesamt fanden auf dem Friedhof 988 verstorbene Kriegsgefangene ihre letzte Ruhe:
409 Angehörige der russischen Armee unterschiedlicher Nationalitäten
227 Angehörigen der britisch-indischen Armee, Marine und Handelsmarine
263 französische Kolonialsoldaten aus Nord- und Westafrika
86 Franzosen
2 Belgier
1 Osmane
Auch verstorbene deutsche Militärangehörige aus dem Truppenlager, dem Krankenhaus Zossen und dem Lazarett Wünsdorf wurden hier bis 1919 beigesetzt. 128 dieser Grabstellen haben den Status als Kriegsgräber. Im 2. Weltkrieg fanden weitere Beisetzungen deutscher Militärangehöriger sowie der Opfer des Bombenangriffs auf Wünsdorf vom 15.4.1945 statt. Aus dieser Zeit sind 98 Kriegsgräber erfaßt. (Die Zahlen stammen von der Informationstafel auf dem Friedhof)
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs wurde der Friedhofs mit den indischen Toten entsprechend ihren Regeln durch die britische Kriegsgräberkommission zum „Zehrensdorf Indian Cemetery“ umgestaltet. Der französische Teil erhielt ein Denkmal. Allerdings ließ Frankreich 1926 seine Toten exumieren und auf den Nationalfriedhof Sarrebourg überführen. Das französische Denkmal wurde demontiert.
Nach dem 2. Weltkrieg war der Friedhof sowjetisches Sperrgebiet und Teil des sowjetischen Truppenübungsplatzes. Die Friedhofskapelle wurde gesprengt. Heute erinnern nur noch Fundamentreste an die Kapelle. Fast alle Grabmale und Denkmäler wurden zerstört oder schwer beschädigt. Nicht einmal die Gräber der russischen Kriegstoten bleiben verschont. Das Friedhofsgelände verwandelte sich im Laufe der Jahrzehnte in ein Waldstück. Da der Friedhof nicht der DDR-Verwaltung unterstand und die Sowjetunion den Briten und Indern keinen Zugang zum Friedhof gewährte, wurde 1964 auf dem britischen Soldatenfriedhof von Neuve-Chapelle (Frankreich) eine Gedenktafel für die Toten von Zehrensdorf enthüllt.
Erst nach dem Abzug der russischen Truppen aus Wünsdorf und der Aufhebung des Sperrgebiets wurde das Areal wieder zugänglich. Nach Abschluß der Munitionssuche konnte 2002 mit dem Wiederaufbau des Friedhofs begonnen werden. Federführend war die Stadt Zossen in enger Zusammenarbeit mit der britischen Commonwealth-War-Grave-Commission. Bäume wurden gefällt, die Markierungen der Grabfelder erneuert und die wenigen noch erhaltenen Grabsteine deutscher Militärangehöriger wieder aufgestellt. Der britische Teil des Friedhof konnte auf Grund vorhandener Dokumentationen der War-Grave-Commission wieder hergestellt werden, während für die anderen Nationen wegen fehlender Unterlagen derzeit keine namentliche Kennzeichnung der Gräber möglich ist. Allerdings sind auch diese Namen meist bekannt und so wird dieser Toten mit ihrem Namen an einer großen Stele gedacht, die an der Stelle steht, wo sich bis 1926 das französische Denkmal befand.
Das von den Sowjets stark beschädigte Ehrenmal für die muslimischen Kriegsopfer, der sogenannte „Tatarenstein“ (1916 von Otto Stiehl geschaffen), wurde restauriert, während die sogenannten Tatarengrabmale nicht mehr existieren. Auch der von den Sowjets beschädigte und umgeworfene „Araberstein“ (errichtet 1916) für die islamischen Kriegsopfer konnte restauriert und wieder aufgestellt werden. An die hier 67 beigesetzten Opfer des Luftangriffs auf Wünsdorf vom 15.4.1945 erinnert ein neu aufgestelltes Basaltkreuz.
Heute ist der Ehrenfriedhof Zehrensdorf mehr Park als Friedhof, fehlen doch fast alle Grabsteine. Die Einzelgräber sind in großen Grasflächen aufgegangen. Die Grabfelder in heute wieder Buchstabensteinen markiert und durch Wege getrennt.
Eine Ausnahme bildet der britische Teil des Friedhofs. Die Hinweistafeln (An der Zufahrt über Friedhof und Ort Zehrensdorf und auf dem Friedhof zur Geschichte des Friedhofs) ist vorbildlich und ausführlich in deutsch, russisch und englisch.
Zehrensdorf Indian Cemeter:
Der britisch-indische Teil des Friedhofs wurde nach 2002 wiederhergestellt. Zwar waren auch hier alle Grabsteine zerstört oder verschwunden. Bei den Aufräumarbeiten fand man aber die Fundamentsockel der einstigen Grabsteine. Da die Commonwealth-War-Grave-Commission über entsprechende Unterklagen verfügte, konnten neue Grabsteine für die toten Soldaten und Matrosen aus Britisch-Indien angefertigt und aufgestellt werden. Das zentrale Denkmal, der 1920 vom britischen Königshaus gestiftete „War-Stone“ war von der Roten Armee beschädigt und vom Sockel gezogen geworden. Außerdem waren die mehrsprachigen Inschriften verwittert. Er wurde durch eine Kopie ersetzt (Stone of Remembrance), der aber 2017 auch schon wieder, vermutlich witterunsgbedingte Schäden am Sockel aufwies.
Der Originalstein steht jetzt am Garnisonmuseum Wünsdorf. Die großen Stelen, die den Eingang zum britischen Friedhofsteil bilden, wurden ebenfalls nach 1945 umgeworfen und mußten erneuert werden. In der linken Stele befindet sich das Cemetery Register mit den Daten aller hier beigesetzter britisch-indischer Kriegsgefangener. Wer will, kann sich hier auch in ein Besucherbuch eintragen.
Dem Eingang gegenüber steht der „Araberstein“. Auf den Grabsteinen für die indischen Gefangenen sind Name, Sterbedatum und Regiment vermerkt. Außerdem tragen die Steine das Regimentswappen. Am Eingang stehen Tafeln, die über den Einsatz indischer Truppen in Europa informieren. So erfährt man, das bis 1915 zwei indische Infanteriedivisionen an der Westfront eingesetzt waren, deren Einheiten bis zu 80% des Personalbestandes verloren. Zwei indische Kavalleriedivsionen waren bis 1918 im Einsatz.
Heute ist der Ehrenfriedhof ein wirklich stiller Ort. Nur wenige Besucher scheinen sich hierher zu verirren, liegt das Gelände doch zu abgelegen und ist vermutlich auch zu wenig bekannt. Zu Unrecht, wird hier doch an das Schicksal von Kolonialsoldaten im 1. Welrkrieg erinnert, die nicht hunderte, sondern tausende Kilometer von der Heimat in einem Krieg ihrer Kolonialherren kämpften, der nun absolut nicht der ihre war und die hier in Deutschland ihr Leben verloren und nun in fremder Erde ruhen.[verkleinern]
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