- bestätigt durch Community
- Checkin
- Ausgezeichnete Bewertung
Das Werbevideo fürs Sumatrakontor weckt Fernweh: Ein grün eingehüllter Berg, die Einblendung besagt "3805 Meter misst der höchste Berg Sumatras". Blende aufs Sumatrakontor. KEINE Einblendung der Höhe. 36 Meter misst die Lobby des laut Website "Stärke und Weltoffenheit" ausstrahlenden "stattlichen Felses, der vom lebendigen Treiben in der Hafencity umbrandet" wird. Mein Gott, was haben die Werbetexter bloß geraucht. Ich will auch was davon.
Die wenigsten, die hier hinkommen, werden das... weiterlesen Gebäude wohl betreten. Denn das Sumatrakontor ist ein Bürogebäude mit satten 30.561 m² Nutzfläche und kein kleiner Kaufladen für Gewürze, wie man ob der illustren Bezeichnung denken könnte. Überhaupt bedienen sich ja die Gestalter der Hafencity ganz schön schamlos an den Motiven der alten Hafenzeiten hier. Wahrscheinlich, um Touristen ins Retortenquartier zu locken.
Und damit zu einer der Hauptattraktionen für die Bürowerker, die hier in diesem Dschungelcamp residieren. Alle paar Tage nämlich können die sich die Nasen an den unregelmäßig verteilten schmalen Scheiben der Fenster plattdrücken und die Schiffchen betrachten, die am Kreuzfahrer-Terminal festgemacht haben.
Jedes Mal, wenn so ein Schiff dort liegt, weiß man zuverlässig wie bei einer Wettervorhersage für die nächsten drei Stunden: Jetzt stehen überall Touris an den unmöglichsten Stellen im Weg herum, mit durch Kameras verdeckten Gesichtern, hin und wieder einem "Awsome!"-Ausruf oder einer gar nicht mal so unberechtigten Frage, wieso der Wind hier sommers wie winters durch die idiotisch langen und nicht durchbrochenen Straßenzüge pfeift. Den Wind hört man auch gut in den Büro-Etagen. Schon ein leiser Hauch macht ein solches Kopfkino, dass man nach dem Südwester greifen möchte. Der feuchte Traum der Architekten heißt im Immobilienmakler-Deutsch wahrscheinlich "naturnahes Ambiente".
Auch im Prospekt über das Gebäude finden sich derlei Absichtserklärungen: Danach wurde beim Bau auf geringen Ressourcenbedarf, Langlebigkeit und gesundes Raumklima geachtet. Letzteres drückt sich darin aus, dass auch im Winter im Erdgeschoss kaum jemals weniger als 26 Grad herrschen, im Sommer wird die 30-Grad-Marke auch schon mal übersprungen. Nicht ganz Sumatra, aber fast. Was die Langlebigkeit angeht: Es ist doch völlig okay, dass in einem Gebäude, das 2010 fertiggestellt wurde, hin- und wieder die Toiletten unter Wasser stehen und dass von den beiden (!) Aufzügen häufig einer kaputt ist. Naturnah leben heißt Treppe gehen.
Wohnen kann man in einer der 86 Wohnungen von 43 bis 155 m² auch, aber für die meisten von uns dürften die Mieten unerschwinglich sein. Schon ein Tiefgaragenplatz kostete auf Anfrage 150 Euro pro Monat.
Von alldem ahnt der Tourist da draußen nichts: Der Eingang zur Überseeallee 1 ist jedenfalls ein beliebtes Fotomotiv. Die sich gefühlt bis in den Himmel - okay, in Wirklichkeit ist es der neunte Stock - reichende Glasscherbe des Eingangsbereichs sieht gekonnt futuristisch aus. Und der Überstand des Gebäudes (etwa 5,5 Grad) ist tatsächlich ungewöhnlich. Hat man sich erst mal durch die Rauchschwaden der Raucher-Flüchtlinge und die beiden Drehtüren ins Innere gekämpft, dann wartet das Gebäude mit einem imposanten Blick nach oben auf. Und mit einem Empfangstisch, der tagsüber auch besetzt ist. Aber trotz "Sumatra" im Namen: Im ganzen Eingangsbereich gibt es nicht mal eine mickrige Topfpflanze. Die war dem Eigentümer, der TMW Pramerica Property Investment GmbH vielleicht zu teuer - sie mindert die Rendite unerträglich stark.
Dafür hängt da ein Schild, dass die Vergänglichkeit schon in sich trägt. Andauernd wechseln hier die angeklebten Firmennamen, darunter durchaus bekannte, deren Schilder Staub ansetzen. Die Mixtur ist interessant: BP ist hier, eine Tintenpatronen-Bude, ein Kinderwunschzentrum (Kopfkino?) sowie die Computer Bild - und ein Business-Center (mit Dutzenden angeklebten kleiner Firmenschildchen in Hanuta-Tafel-Größe).
Die BP-Ölfirma muss hier auch Labore haben, in denen fleißige Kittelträger ab und zu eine neue Sorte Benzin anrühren und ausprobieren. Denn durchschnittlich einmal pro Monat gibt es in diesem Haus einen Feueralarm. Dann latscht alles die Treppen runter und wartet, dass man wieder rein darf. Für einen neu gebauten Fels in der Brandung wartet das Gebäude mit der eigenwilligen braun-grauen Stäbchen-Optik jedenfalls mit einer Reihe von Schrullen auf. Wer das große Glück hat, einmal die Fensterputzer bei ihrer Arbeit zuzusehen, stößt dabei auf einen richtigen Baukran, der dann neben dem Gebäude steht und Fuß- wie Radwege versperrt.
Apropos: Versperren. Die Rückseite des Gebäudes an der Tokiostraße böte für Knöllchenschreiber und Abschlepper ein reiches Betätigungsfeld. Da stehen so viele Autos in zweiter Reihe auf dem Gehweg herum, dass man glauben könnte, es handele sich hier um einen Parcours-Lehrpfad. Sehenswert aber: Das kleine Edeka-Ape-Dreirad für Freunde italienischer Automobilbaukunst.
Für mich steht nach einiger Zeit im Sumatrakontor jedenfalls fest: Das Wort "Architektentraum" wird wahr, wenn man die Silbe "alp" noch einbaut.[verkleinern]
Der Beitrag wurde zuletzt geändert