Montag "Morgen", man kriegt die Augen nur schwer auf, die Ohren ringen, Nacken und Knie schmerzen, eine Stimme ist nicht vorhanden, maximal ein heiseres Krächzen.
Was ist passiert?
Die allerliebste Lieblingsband war in der Stadt und hat sich unheiligerweise ausgerechnet einen Sonntag ausgesucht, um einem den Gehörgang und die Hirnwindungen mal ordentlich durch zu pusten.
Das hat ganz gut geklappt.
Rückblende. Sonntag Abend, 19.30 Uhr.
Inmitten einer großen Gruppe der üblichen schwarz... weiterlesen
gekleideten, volltätowierten und an seltsamsten Stellen gepiercten Verdächtigen nuckele ich an meinem Bier und warte vor der Markthalle auf Kumpel N., der die Tickets hat. Mit zehn Minuten Verspätung taucht er auf und hebt sich mit seinem weiß/rosa karierten Hemd deutlichst vom Rest der Konzertbesucher ab. Meinen fragenden bis vorwurfsvollen Blick kommentiert er mit "Sorry, vor sieben Stunden saß ich noch auf dem Oktoberfest! Komm grad frisch aus dem Flieger...". Das macht`s nicht besser.
In meinen über zehn Jahren in Hamburg war ich auf locker 20 Konzerten in der Markthalle, die ist eine Legende in der Hamburger (besser: norddeutschen) Konzertgänger-Szene. Zumeist waren die Konzerte großartig, einige Ausfälle waren auch dabei, das lässt sich nicht ändern.
Ich verbinde einige Erinnerungen mit diesem Ort.
Die Narbe, die fast komplett meine linke Augenbraue durchzieht, habe ich mir im Dezember 2004 beim "Fuck X-mas Festival" abgeholt, ein Ellenbogen traf mich beim Toben vor der Bühne, das Blut spritzte, die Begleitung quiekte, ein riesengroßer Volltätowierter, zu dem der Ellenbogen gehörte, wäre fast kollabiert und der eilig herbeigerufene Sanitäter lobte, meine sei "die sauberste Platzwunde, die er je gesehen hat". Er musste nichtmal nähen, er pappte nur ein Pflaster drauf. "Das wächst von allein wieder zu, so eine tolle Platzwunde ist das!" verkündete er strahlend. Mit meinem blutigen Shirt und meiner supertollen Platzwunde war ich dann der Held auf dem Konzert, selbst die Band fragte von der Bühne hinab nach meinem Befinden.
2006 versuchte hier jemand, meine Herzdame zu küssen, was ich nicht so angebracht fand und "intervenierte". Folge war ein einjähriges Hausverbot...wer konnte ahnen, dass der Typ der Bassist der auftretenden Band war? Ich wusste das zumindest nicht. Das Konzert fand statt, die Band war aber doch merklich verstimmt und ergo war der Auftritt unmotiviert und sehr kurz. Wurde mir erzählt. Ich war ja nicht mehr dabei.
Tags drauf zappte ich durch TV-Programme und sah die Band wieder, sie hockte im Berliner VIVA-Studio und entschuldigte die Abwesenheit ihres Bassisten, der habe am Abend vorher "eine kleine Meinungsverschiedenheit" gehabt und sei jetzt beim Zahnarzt. Uuups. Ich musste ein bisschen grinsen.
Sonntag Abend. N. und ich sind die Treppen zum Eingang hinaufgestiegen, die Securities waren sehr freundlich und "kompetent". "Mach mal den Rucksack auf bitte!" - "Klar, gern!" Er guckt drei Sekunden lang rein. "Alles klar, du bist sauber!" - "Wollen sie mich nicht abtasten? So kenn ich das zumindest von anderswo!?" Er klopft mir zweimal gegen den Oberarm und einmal gegen die Hüfte. "Alles klar, du bist sauber!" Eine absolute Fachkraft!
Da uns die Support-Bands herzlich egal sind, ordern N. und ich erstmal ein Bier an der Bar im ziemlich großen Vor"raum" des Konzert"saales". Neben einer recht überlaufenen Bar, an der man aber dank genügend eingesetzten Mitarbeitern nicht zu lange auf sein Getränk warten muss, gibt es in diesem Vor"raum" noch einen großen Merchandise-Bereich, an dem man Shirts, Buttons, Poster, Alben oder wie in diesem Falle sogar iPhone-Hüllen mit Band-Logo für mehr oder weniger anständiges Geld erstehen kann. Außerdem gibt es einige Sitzgelegenheiten, einen Durchgang zum Raucherbereich und die Zugänge zu den Toiletten findet man hier auch. Zu den Klos kann ich allerdings nichts sagen, ich war in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal dort. Und kenne auch niemanden, der die Klos kennt. Sie sind ein Mysterium...
Das Bier (Astra) kommt natürlich im Plastebecher und pro Becher latzt man einen Euro Pfand, zwei mehr oder weniger (meist mehr, man kann aber Pech haben) bis zum Eichstrich gefüllte 0.4l Astra kosten dann acht (ohne Pfand sechs) Euro. Das finde ich in Ordnung.
Das Bier ist fast geleert und wir beschliessen, in den Konzertsaal zu wechseln. Der bietet in etwa 1000 Menschen Platz, vielleicht sogar 1200 oder 1500, ich kann es nicht abschätzen. Definitiv ist er mir zu groß, der perfekte Konzertbesuch hat neben mir maximal 249 weitere Besucher, lieber weniger...aber das Level hat meine Lieblingsband bereits vor Jahren überschritten. Leider.
Wir finden einen Platz mit anständiger Sicht auf die Bühne im hinteren Teil des Konzertsaales, vor uns direkt eine hohe Treppenstufe, die man im Dunkel und im Getümmel nicht sieht, ab jetzt rette ich also (für den Rest des Konzerts) alle drei Minuten jemanden mit beherztem Griff an Schulter und Arm vor einem Sturz - irritierenderweise bedanken sich sogar die meisten! Nur bei meinen Lieblingsliedern passe ich nicht und singe stattdessen mit, prompt stolpert wer, der sich dummdreist mit seinen drei Bierbechern in den Händen an mir vorbeidrängte, die Treppenstufe hinunter und vergießt die Getränke über sämtliche vor ihm (und mir) stehenden. Pech.
Lerne: Im Konzertsaal der Markthalle IMMER auf den Boden achten! Die mutwillig gesetzten Stufen sind tricky!
Es gibt auch im Konzertsaal eine Bar, man muss sich zwar ein wenig durch die Mengen drängeln, man kommt hier aber deutlich schneller an die Reihe als draußen im riesigen Vorraum. Anscheinend erwartet das niemand, es ist aber so. Die Bar im Konzertsaal findet man auf der linken Seite, keine zehn Meter vom linken (es gibt zwei) Saal-Eingang entfernt.
Lerne: Wenn du erstmal im Konzertsaal der Markthalle bist, dann nutze auch dessen Bar! Es geht schneller und spart dir unnötige Wege nach draußen! Der Kuschelfaktor bleibt allerdings der gleiche...
Der Sound in der Markthalle ist seit Jahren großartig und auch dieses Konzert macht da keine Ausnahme. Zwar hätte ich mir bei der zweiten Support-Band, deren Auftritt wir noch halb mitbekamen, zumindest bei den relativ dämlichen Ansagen des Frontmanns gewünscht, ich hätte nichts verstanden...aber ansonsten ist der Sound grandios! Und die Erfahrung habe ich auch auf anderen Konzerten in der Markthalle gemacht. Der Sound passt. Und zwar sehr gut. Perfekt ist er nicht, aber er ist nah dran.
Positiv, vor allem für Nicht-Hamburger, ist natürlich die Lage der Markthalle. Wenn man aus dem HBF kommend in die richtige Richtung fünfmal lang hinfällt, dann liegt man quasi direkt davor. Gut, etwas übertrieben...vom HBF läuft man fünf Minuten und ist am Ziel. Wenn man wie ich aber auch nach langen Jahren immer noch jedes Mal am falschen Ende des Bahnsteigs die Treppen nach draußen hochsteigt und jedes Mal an der genau entgegengesetzten Ecke des HBF "nach oben" kommt...dann kann der Fußmarsch auch mal zehn Minuten dauern. Auch das kann man aber überleben.
Fazit? Die Markthalle ist, was größere Konzerte von Bands aus der Kategorie "Auf die Fresse!" angeht, neben dem "Knust" wohl Anlaufpunkt Nummer eins in Hamburg. Ich bin ehrlich, ich würde meine Lieblingsband lieber wieder wie im März 06 im Logo sehen, an meinem Geburtstag und vor nem Publikum von vielleicht 90 Leuten. Verdammt, war das geil!!
Aber ich gönne ihnen den Erfolg und solange sie nicht in der Freiheit, im Dock`s oder gar in der AOL-Arena spielen...alles schön!
Die Markthalle ist eine sehr gute Konzert-Location, die nicht umsonst einen so guten Ruf hat. Für meinen Geschmack eben zu groß, daran soll`s aber nicht scheitern, das ist persönliches Empfinden. Ich werd garantiert wiederkommen.
Montag Abend. Die Ohren klirren nicht mehr so sehr, die Stimme kommt auch langsam zurück. Nachricht von N. "Bin im Eimer! Nächstes Mal wieder! Lebst du?" Als Antwort hab ich ihm einen youtube-Link geschickt. Das Konzert meiner BSF-Jungs vom 4.10.13 in Dortmund, fast deckungsgleich zu dem in HH. Nur die Fans waren in DO ein wenig lahm...
http://www.youtube.com/watch?v=SP7jmbD4tiE
Falls also jemand ein bisschen Zeit (75 Minuten) und was für großartige Musik über hat: Here you go![verkleinern]