105 Minuten Aufenthalt in Aue, was kann man da anstellen ? Eine ganze Menge!
Ich habe inzwischen noch rund 80 Minuten Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges, wurde zuvor sehr gut in einem Cafè bedient und schlenderte über den nahen Wochenmarkt .
Eigentlich ist mein Plan, ohne Umwege vom Bahnhof in die Innenstadt "Lotters Wirtschaft" aufzusuchen. Die Öffnungszeiten passen aber nicht mit dem Fahrplan zusammen, denn der Zug aus Chemnitz erreicht pünktlich 10:24 Uhr den Bahnhof Aue, die Wirtschaft... weiterlesen
öffnet erst um 11 Uhr.
Kein Problem, die Zeit zu überbrücken - siehe oben.
Die Kirchturmuhr am Markt schlägt 11, auf der direkt gegenüberliegenden Straßenseite ist eine Kellnerin vor dem Hotel, in dessen unterer Etage sich das Brauhaus befindet, mit dem Eindecken der Terrasse , beschäftigt.
Na dann kann es ja auch für mich losgehen.
Wie ich mich im voraus informierte, handelt es sich bei Lotters Wirtschaft um eine der kleinsten Wirtshausbrauereien Sachsens, die vor 15 Jahren hier im Hotel "Blauer Engel" in Betrieb ging und sich seither sehr gut entwickelte.
Der Name deutet übrigens nicht etwa an, sich durch ungezügelten Biergenuß ins Lotterleben zu stürzen, es gab wohl auch nie einen Braumeister namens Lotter im Haus.
Der Name ist viel mehr eine Reminiszenz an einen honorigen Bürger der Stadt Aue.
In der Speisenkarte des Gasthauses, "Lotters Allgemeine Zeitung" genannt, kann man lesen, dass der 1470 in Aue geborene Melchior Lotter mit 21 Jahren als Buchdrucker nach Leipzig ging und dort 1519 den berühmten Martin Luther in seinem Haus beherbergte. Dieser hatte gerade seine 95 Thesen veröffentlicht und ließ sich diese von Lotter auf Plakate drucken, später druckte Lotter Luthers Übersetzung des Neuen Testaments.
Obwohl Lotter vermutlich nie mehr nach Aue zurückkehrte , er starb 1549 in Leipzig, gilt er als einer der berühmtesten Söhne seiner Geburtsstadt. Ihm zu Ehren gibt es nun Lotters Wirtschaft.
Zurück in der Gegenwart überquere ich die Straße und werfe einen Blick in "Lotters Lounge", wie die Terrasse vor dem Haus auf dem Fußweg genannt wird.
Bequem aussehende Rattanmöbel, höhere Sessel an passenden Tischen, niedrigere Bänke mit gepolsterten Rückenlehnen. Große Sonnenschirme unter denen LED-Beleuchtung und Heizstrahler angebracht sind - hier lässt es sich sicher gut relaxen.
Ich verzichte an diesem Mittag darauf, mich stört der Verkehrslärm der viel befahrenen, keine 2 Dutzend Schritte entfernten Straßenkreuzung.
Außerdem will ich mich im Inneren umsehen. Also hinein ins bierige Vergnügen.
Und das lohnt sich !
Eine recht kleine Gaststube lädt mit gemütlich urig eingerichtetem Interieur, geschmackvoll dekoriert und an einer Seite von den kupfern glänzenden Sudkesseln eingefasst. Das ist wirklich alles nicht sehr groß, kein Vergleich mit "richtigen" Brauereien.
Es genügt aber allen technischen Voraussetzungen um hier Bier zu brauen.
Es sind sogar schon zwei weitere Gäste anwesend, die um diese frühe Zeit zu Mittag essen wollen. Die sehr freundliche und aufmerksame Kellnerin berät kenntnisreich, weiß etwas zum Bier zu sagen und erklärt, was sich hinter den für Fremde unbekannten Speisen wie Fratzen , Schieböcker oder Saure Schwamme verbirgt.
Ich komme gerade aus dem Cafè, daher möchte ich nichts essen. Bier geht hingegen immer, zumal ich heute nicht motorisiert unterwegs bin.
Die Entscheidung fällt leicht, zuerst lasse ich mir ein kleines Helles bringen. Kommt schnell, ist ordentlich gekühlt und hat eine schöne weiße Schaumkrone.
Ahhhh, das schmeckt. 0,25 Liter sind für den versierten Biertrinker eine prickelnde Aufwärmübung, daher steht kaum 10 Minuten später die gleiche Menge Dunkles vor mir. Neben diesen beiden Bieren ist außerdem noch Weizen ständig im Angebot. Zu besonderen Anlässen verspricht die Getränkekarte zudem Maibock, Märzen, Stark und Weihnachtsbier. Heute wäre für mich zwar ein besonderer Anlass ( wann fahre ich schon mal mit der Bahn...) , leider sind die Spezialitäten aber allesamt nicht vorrätig.
Zur Feier des Tages gönne ich mir zum Abschluß 2 cl von Lotters Bockbierlikör, der allerdings ohne besonders hervorzuhebende Eigenschaft austauschbar bleibt, wenn man ihn mit anderen, ähnlich schmeckenden Likören vergleicht.
Mit mehr Zeit und am besten einer zugebuchten Übernachtung könnte man hier eine ganze Menge kulinarischer Genüsse erleben.
Neben den Bieren gibt es eine große Auswahl an interessanten Biermischgetränken, natürlich alle hier vor Ort aus dem hauseigenen Bier gemixt, dazu reichlich alkoholfreie Getränke, heißes von Kaffee über Cappuccino, Espresso bis hin zu einer schönen Teeauswahl. Zahlreiche Spirituosen und einige Cocktails runden das Getränkeangebot stimmig ab.
Die Speisenkarte, die übrigens abends ab 17 Uhr wesentlich umfangreicher als zum Mittag ist, verheißt appetitlich klingende Gerichte, bei denen mir das Hopfengetränk im Munde zusammenläuft :-)
Schwer fiele mir lediglich die Auswahl. Nähme ich Linseneintopf oder Brotsuppe vorweg ? Oder doch lieber Kesselgulasch und einen gebackenen Camembert ?
Als Hauptgang biertypisches wie Kohlroulade, Schwarzbierwurst oder gar eine Schweinshaxe ?
Verlockend aber auch Schnitzel "Braumeister Art", Steak au four oder die fleischreiche Sudpfanne.
Vielleicht könnte man auch ein Potpourri aus Kleinigkeiten wie Schmalzbrot, Ofenkartoffel, Hackepeter und Handkäs zusammenstellen.....
Hach, was ist das Genießen schwer....bevor es erst mal los geht.
Für einen Nachtisch wäre wohl kaum noch Platz, angeboten wird dafür ebenfalls so einiges.
Ich reiße mich mit einem Blick auf die Uhr von meinen Träumereien los und verlange die Rechnung. Die drei Getränke kosten mich 7 € , ein überschaubarer Preis für diese Hauspezialitäten. 8 Euro bekommt die Kellnerin, ich bekomme ihren Dank und gute Wünsche für einen angenehmen Tag.
Was ich nicht sah, waren das zur Wirtschaft gehörende Biermuseum mit der größten Bierkrugsammlung in Sachsen und der historische Brauhauskeller.
Mindestens zwei weitere Gründe, hier einen erneuten Besuch einzuplanen.
Für den ersten Eindruck bin ich heute sehr zufrieden und verlasse die freundliche Lokalität.
Ich habe ich noch etwa 35 Minuten Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Da kann ich noch ein wenig durch die Stadt bummeln.
Update November 2017
Mit Vorbestellung an einem Montag Abend einen schönen Tisch für 4 Personen bekommen.
Bedienung einwandfrei, flott aufmerksam. Da gibt es nichts zu beanstanden.
Das Schweine-Mett Brot als Vorspeise für 6 Euro ist eine RIESEN-Portion.
Und lecker, frisch, attraktiv angerichtet. Wir teilen uns da mal rein :-)
Hauptspeisen (Kohlroulade, Rouladiger Fratzen, Lachs&Nudeln, Sudhausschnitzel ) ebenfalls perfekt.
Dazu süffige Getränke ( außer für unsere Fahrerin, welche nach einem Hugo-Aperitiv bei Wasser blieb ), das Bier wurde in fast allen Varianten durchprobiert.
Alles bestens also, der Gesamtpreis in Ordnung und deshalb heute das Herzchen zu den 5 Sternen.
Update Oktober 2018
Hatten heute eigentlich einen Besuch bei Lotter zum Mittagstisch geplant.
Da wir aber kaum mal ungeplant unterwegs sind, fanden wir vorab heraus, dass werktags nur noch ab 17 Uhr geöffnet ist. Sonntags auch Mittagstisch.
Tut der insgesamt voll verdienten 5-Sterne-Bewertung mit Herzchen keinen Abbruch.[verkleinern]