Die Reichspogromnacht - auch Reichskristallnacht genannt - in der Synagogen als Stätten Jüdischen Glaubens Land auf Land ab in Flammen aufgingen und geschändet wurden, fand am 09. November 1938 statt und in Bad Hersfeld bereits vorauseilend am 08. November 1938. Die Synagoge am Vogelsang wurde dabei zerstört.
Dies war nur ein Kapitel der unglaublichen Greueltaten gegen die Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland und anderen europäischen Ländern, die auf der nationalsozialistischen... weiterlesen
Ideologie beruhten.
Zu diesem Zeitpunkt lebten nicht mehr viele jüdische Bürger in der hessischen Kleinstadt. Wer die (finanzielle) Möglichkeit hatte, war bereits von hier fortgezogen oder sogar ins Ausland emigriert.
An Stelle der Synagoge steht heute ein Kino. Nichts erinnert an die damaligen Ereignisse.
Man muss in dieser Stadt ohnehin schon fast detektivisch auf Suche gehen, um verstreute Spuren einstigen jüdischen Lebens zu finden. Da gibt es eine Gedenktafel vor dem Haus Bahnhofstraße 11 [1] , eine Tafel am Schillerplatz, eine kleine Abteilung im Städtischen Museum [2] , die es nicht immer gab sowie den alten und neuen Jüdischen Friedhof in der Michael Schnabrich Straße ... ja ... und seit 2010 /2011 gibt es noch die Stolpersteine, die die schon verlegt sind - ca. 40 an der Zahl . Es sind aber noch weitere geplant.
Hier und dort sieht man sie - die quadratischen Messingtäfelchen - vor den Häusern der historischen Altstadt in das Pflaster oder den Asphalt eingelassen - unbeachtet von den vorbeieilenden Passanten.
Die Stolpersteine, die es hier und in anderen Städten gibt, sind kleine Denkmale oder besser Mahnmale, die an Menschen erinnern und deren Namens nennen, die im nationalsozialistischen Deutschland zu bloßen Nummern abgewertet, deportiert und ermordet wurden. Manche wurden in den Tot getrieben.
Als ich einige der Stolpersteine fotografierte, wurde ich komisch angeguckt. Man will halt nicht erinnert werden ....
Am liebsten möchte ich die Leserschaft durch die Straßen der Stadt führen ... in die August Gottlieb Straße, die Bahnhofstraße, die Dudenstraße, die Breitenstraße, die Johannesstraße usw. überall dort zu den Häusern, in denen ehrliche und unauffällige jüdische Bürger, die meist als Kaufleute ihren Unterhalt verdienten, lebten.
Sie boten vor allem Textilien, Felle, Wolle, Manufakturwaren, aber auch Tabakwaren und Spirituosen feil.
Etwa Mitte der dreißiger Jahre sahen sich aber viele von ihnen gezwungen, insbesondere aber die Generation der erwachsenen Söhne und Töchter jüdischer Bürger Hersfeld den Rücken zu kehren, wurden sie doch zunehmend ausgegrenzt seitens der nichtjüdischen Bürgerschaft.
Viele von ihnen gingen zunächst nach Frankfurt am Main, wo es eine wesentlich größere Jüdische Gemeinde gab. Manche wanderten aber bereits in die USA, nach Frankreich oder in das heutige Israel aus.
Diejenigen, die hier blieben - meist weniger Wohlhabende oder Alleinstende und Witwen - wurden ab dem Jahre 1939 im Haus Bahnhofstraße 11 ghettoisiert, von wo aus sie am 30.05. 1942 zum nahe gelegenen Bahnhof getrieben und den dortigen Verladerampen zunächst in die zentrale Sammelstelle nach Kassel und von dort in Vernichtungslager transportiert wurden.
Und da war es so weit : Praktisch über Nacht lebte nicht ein Mensch jüdischen Glaubens mehr in der Kleinstadt. Hersfeld war "gesäubert" wie es in dem menschenverachtenden Jargon hieß.
Die deportierten und umgebrachten jüdischen Bürger , die in den Jahren zuvor einmal in Hersfeld gelebt hatten hießen Schmidt, Cohn, Nussbaum, Oppenheim, Levi, Katz, Tannenbaum, Wertheim, Plaut, Blumenfeld, Heilbrunn, Goldschmidt, Simon, Elburg, Bacharach und Ohmsberg....
Es würde den Rahmen sprengen hier sämtliche Einzelschicksale zu besprechen..
Beispielhaft möchte ich daher die für jene Zeit typische Geschichte der Familie Levi, die in der August - Gottlieb - Straße 12 lebte und ihr Geschäft führte, schildern.
Jacob Levi , geboren am 25.09.1880 in Ronshausen führte ein gut gehendes Geschäft für Stoffe und Wäsche.
Seine am 15.05.1882 geborene Ehefrau Thekla, geborene Nussbaum stammte aus Niederaula. Sie hatten drei Kinder. Leopold Levi erblickte am 14.07.1905 das Licht er Welt und seine hübsche Schwester Rosa am 30.09.1911. Der jüngste Sohn Siegfried Fritz wurde am 10. 09. 1915 geboren.
Der Kaufmann Jacob Levi war bei Kindern sehr beliebt, da er ihnen Stoffreste für die Puppen schenkte. Durch den Boykott jüdischer Händler geriet er im Jahre 1933 in finanzielle Not. Auch litt er unter der schlechten Zahlungsmoral seiner Kundschaft. Im November 1938 plünderte man Teile des wertvollen Besitzes der Familie, wobei man es insbesondere auf den Schmuck abgesehen hatte. Im Zusammenhang mit den Novemberpogromen wurde Jakob Levi mehrere Wochen in der Zeit vom 10.11. bis 15.12.1938 im KZ Buchenwald inhaftiert, jedoch wieder frei gelassen.
Im Dezember 1938 wurde das Ehepaar Levi gezwungen, das Gebäude an die Stadt zu veräußern. Sie wurden zudem mit Reichsfluchtsteuer und Vermögensabgabe in nicht unerheblicher Höhe belegt u. a. weil sie - allerdings erfolglos (mangels verbleibener Finanzen) - die Flucht ins Exil betrieben.
Der älteste Sohn war nach abgeschlossenem rechtswissenschaftlichem Studium und Promotion im Anschluss an die Machtergreifung im Jahre 1933 nach Frankreich geflohen. Er überlebte als einziger der Familie den Holocaust. Seine jüngere Schwester Rosa folgte ihm nach.
Als die Eltern im Frühjahr 1939 nach Frankfurt flüchteten, kam Rosa jedoch wieder nach Deutschland zurück und zog zu ihren Eltern, die in der Frankfurter Liebigstraße 24 lebten, wo weitere Verwandte aus Hersfeld wohnten.
Sie wurden allesamt am 20.10.1941 in das Ghetto Lodz deportiert. Dort kamen sie zu Tode.
Der jüngste Sohn, der zuletzt in Frankreich lebte, war zu Zwangsarbeit verpflichtet , dann nach Ausschwitz deportiert und am 22. März 1945 dort gewaltsam zu Tode gekommen.
Nein, ich habe die Familie Levi nicht persönlich gekannt, dafür bin ich zu jung. Habe aber beim Schreiben das Haus vor Augen, in dem sie hier gelebt haben. Es existiert noch heute.
Augenzeugen aus der damaligen Zeit können sich an Details nicht mehr erinnern.
Meine Quelle ist daher die "Judaica Hassia" [3].
Dort können auch weitere recherchierte Einzelschicksale nachgelesen werden.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber, dass die Stolpersteine nicht nur jüdischen Mitbürgern gewidmet sind.
Das bekannteste Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft aus Hersfeld ist der Sozialdemokrat Michael Schnabrich [4] , der in der Fritz - Rechberg - Straße 80 wohnte. Viele eingesessene Familien stehen daher in Bad Hersfeld in sozialdemokratischer Tradition.
[1] https://www.golocal.de/bad-hersfeld/kultur/gedenktafel-beim-haus-bahnhofstrasse-11-YUFpQ/
[2] https://www.golocal.de/bad-hersfeld/museen/museum-der-stadt-bad-hersfeld-galerie-im-stift-9a6R/
[3] http://stolpersteine.hersfeld.hassia-judaica.de/
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Schnabrich[verkleinern]