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Green City braucht ein Konzerthaus.
Da war sich Ex-OB Böhme sicher. kurz nachdem er mit der gleichen Argumentation den Jazzkeller im Gemeinderat durchgedrückt hatte, begann die weltstädtische Planung. Der Hinweis auf die bereits vorhandene Stadthalle verhallte ungehört. Direkt im Zentrum am Bahnhof will eh keiner wohnen, zur Finanzierung klatschen wir noch ein Luxushotel und eine Tiefgarage (Landesfördermittel!) auf den Bauplatz und schon beginnt die Sinfonie der Preßlufthämmer in Cis... weiterlesen moll.
Die wirklich Grünen in Green City waren natürlich dagegen, bis heute fliegen gelegentlich noch Farbbeutel, aber festgeklebt hat sich noch keiner.
Ist also akzeptiert.
Mehr als das geht aber auch nicht. Das Ergebnis südbadischer Kulturbeflissenheit ist im baulichen und vor allem tontechnischen Mittelmaß steckengeblieben.
Zwei Säle beherbergt der Kulturtempel, der große Saal ist mit 1.700 Plätzen zu klein und in seinem Schuhkartonformat akustisch dürftig.
Der runde Saal für kleinere Veranstaltungen bis 350 Bobbele soll von antiken Theatern inspiriert sein. Aber nix Amphitheater, flach wie Holland.
Ubiers aktueller Besuch galt dem London Philharmonic Orchestra. Auf Tournee gehen zwar nur die Zweitbesetzungen, aber für die badische Provinz immer noch ein Quantensprung.
Das merkt man schon am Besucherandrang - die gesponsorte Konzerthausgarage ist bei ubiers rechtzeitiger Anreise schon voll. Die kulturaffinen Grauköpfe strömen, hinken und rollieren energisch durch den Schneeregen (wie kann man bei der Planung den Aufzug aus der Tiefgarage ins darüberliegende Konzerthaus vergessen?) zu den großen Glasflügeltüren (ohne behindertengerechte Automatik, deshalb Rollatorstau) zielstrebig zur (kostenlosen) Garderobe. Der Stand mit den (kostenpflichtigen) Programmheften wird ignoriert, die hektische Platzsuche beginnt. Zwei Etagen stehen dafür im Saal zur Verfügung, leider nochmal eine Etage höher als der Eingangsbereich. Aber dafür haben wir ja zwei sozialbautaugliche Personenaufzüge seitlich eingeplant, gut, dass die meisten Rollatoren eine Sitzfläche für längere Wartezeiten haben.
Der Blick auf die Bühne schweift über alle Schattierungen Grauköpfe, Tochter ubier senkt den Altersdurchschnitt nur marginal. Vor mir sitzt Kernseife mit seinen neuen Hörgeräten, neben ihm Mottenkugel, seine Frau. Flach atmen.
Neben mir nimmt Strickweste Platz, da seine Frau Gipsschiene die Armlehne braucht, lehnt Strickweste sich genüsslich zu mir rüber. Echte Schafwolle, leider vorhin im Türstau feucht geworden. Luft anhalten.
Das einstimmende Gedudel von vorne erstirbt, die Dirigentin fordert ihren Begrüßungsapplaus und läßt den Taktstock zu Coriolan kreisen. Kernseife nestelt hektisch am Hörgerät, der Auftakt war wohl nicht altersgerecht.
Trotzdem frenetischer Applaus vor Schostakowitsch. Die Solistin hat ein Rückendekolleté für Schnappatmung, Strickweste ist leider vorher schon eingeschlafen und ergänzt die Darbietung sonor.
Allein für den Anblick kriegt Rückendekolleté aber soviel Applaus, dass eine Solozugabe fällig wird. Mottenkugel wird unruhig, wahrscheinlich haben die beiden Häppchen für die Pause geordert und das Wohnheimessen vorher storniert. Noch im Applaus stürmt sie raus, Kernseife muß wohl oder übel mit.
Der obligate Pausensekt steht folglich schon parat, als die restliche Graukopfherde zur Fütterung strömt. Sehen und gesehen werden auf badisch bedeutet hektisches Geschiebe zwischen Bar und Toiletten, beim ersten Pausengong zottelt die Herde gut konditioniert auf die Plätze zurück.
Eroica findet ohne Rückendekolleté statt, dafür lerne ich die harte Seite von Gipsschiene kennen - Platztausch mit Strickweste, dem schon wieder die Augen zufallen.
Die Band ist gut, das Stück auch, aber die Location läßt die Blechbläser aus der hinteren Reihe derart vortönen, dass die zarteren Querflöten komplett untergehen. Kernseife schraubt auch schon wieder an seinen Ohren.
Trotz allem wird so lange applaudiert, bis auch der letzte Londoner kapiert hat, daß er ohne Zugabe nicht aus Green City rauskommt.
Mir Badener können halt Konzerthaus![verkleinern]