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„Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist."
(Ferdinand Lassalle)
Geduldet, verdrängt, totgeschwiegen, verleumdet, vergessen … so kann man die Geschichte des Gedenkkreuzes im Schützenwäldchen des Ortsteils Wilhelmshagen im Südosten Berlin kurz bezeichnen, dass an ein finsteres Kapitel der Wilhelmshagener Geschichte erinnert.
Wäre nicht unlängst ein entsprechender Artikel in der „Berliner Zeitung“ erschienen, ich hätte vermutlich nie von der... weiterlesen Existenz des Gedenkortes erfahren, der noch dazu schwer zu finden ist: versteckt am nordöstlichen Rand des Schützenwäldchens gleich hinter den Häusern der ehemaligen Behelfsheimsiedlung, die heute eine Kleingartensiedlung ist: Von der Langfuhrer Allee zur Straße „Siedlung Am Walde“ und von dort den schmalen Weg zwischen „Siedlung Am Walde 99“ und „Siedlung Am Walde 100“ einige Dutzend Meter bis zum Kreuz gehen.
Das Ereignis, dem hier gedacht wird, fand am Ende des 2. Weltkriegs statt. Am 21.4.1945 wurde der Ortsteil Wilhelmshagen fast kampflos von der Roten Armee besetzt.
Bei der Besetzung kam es zu Gewaltexzessen von Soldaten der Roten Armee. Mehrere Einwohner wurden erschossen oder verloren bei vereinzelten Feuergefechten ihr Leben, zahlreiche Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt.
16 der Toten wurden wegen Seuchengefahr, aus Mangel an Särgen in Decken und Teppiche gewickelt, auf Weisung des örtlichen Arztes in einem zum Massengrab umfunktionierten Splitterschutzgraben im Schützenwäldchen in den Tagen nach dem 23.4.1945 beigesetzt.
14 der Toten sind namentlich bekannt, 2 unbekannte, im Ort gefundene Männer konnten nicht identifiziert werden. Bei 8 der Toten handelt es sich um von Rotarmisten erschossene Männer, Frauen und ein Kind.
Elfriede Ziegenhagen und ihr elfjähriger Sohn Helmut sowie der italienischen Kriegsgefangene Bruno Stabo kamen vermutlich durch ein Missverständnis ums Leben.
Sie lebten in einem der hölzernen Behelfsheime, die die Naziführung für ausgebombte Berliner an verschiedenen Berliner Standorten, so auch in Wilhelmshagen errichten ließ. Da diese Häuser nicht unterkellert waren, baute Stabo, der als Kriegsgefangener in Wilhemshagen zum Arbeitsdienst eingesetzt war und ein Verhältnis mit Elfriede Ziegenhagen hatte, am Haus einen Erdbunker zum Schutz vor den zu erwartenden Kämpfen zwischen deutschen und sowjetischen Truppen. Beim Einmarsch der Roten Armee zogen sich die 3 in den Erdbunker zurück. Zum Schutz vor Splittern trugen sie deutsche Stahlhelme, Stabo außerdem seine italienische Uniform. Als die Rotarmisten den Bunker entdeckten, hielten sie die 3 vermutlich für deutsche Soldaten und eröffneten sofort das Feuer. Mutter und Sohn sowie der Italiener waren auf der Stelle tot.
Bei den anderen 6 Toten handelt es sich um Hildegard Strohbusch und ihre minderjährigen Töchter Valeska und Anna sowie Erna Tannhäuser mit ihren ebenfalls minderjährigen Töchtern Eva und Karin. Alle 6 waren von sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden und wählten aus Angst vor weiteren Vergewaltigungen den Freitod.
Die Ehemänner erfuhren erst nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft vom Schicksal ihrer Familien.
Auf dem Massengrab wurde später ein Holzkreuz mit einer Namenstafel sowie ein niedriger Holzzaun errichtet. Angehörige und Bewohner bepflanzten den kleinen Friedhof und pflegten ihn bis Mitte der 1960er Jahre.
Die sowjetische Kommandantur duldete den Friedhof stillschweigend.
Die DDR war dann später nicht so kulant. Man erklärte den Friedhof 1965 aus ideologischen Gründen für illegal und untersagte die Pflege, denn die „ruhmreiche Sowjetarmee“ hatte in der DDR-Geschichtsschreibung keine Kriegsverbrechen und Gewaltakte gegen die deutsche Bevölkerung begangen.
Der Ortspolizist (ABV – Abschnittbevollmächtigter der Volkspolizei – heute so eine Art Kontaktbereichsbeamter) hatte zu kontrollieren, dass das Pflegeverbot eingehalten wurde und hatte Verstöße zu unterbinden.
Außerdem verbreiteten die DDR-Stellen die gezielte Falschinformation, im Schützenwäldchen seien NS-Funktionäre begraben, die sich bei Kriegsende aus Angst vor der Rache der Sieger umgebracht hätten und die es nicht wert seien, gewürdigt zu werden.
Die älteren Wilhelmshagener, die es besser wussten, schwiegen aus Angst vor der Reaktion des sozialistischen Staats, die Jüngeren und später geborenen wussten es schlicht und ergreifend nicht besser und glaubten, was man ihnen erzählte.
So geriet das Massengrab in Vergessenheit. Kreuz und Zaun zerfielen und der Wald holte sich die Fläche zurück.
Erst 2010 erinnerte man sich durch die Initiative der wenigen noch lebenden Zeitzeugen wieder an die Grabstelle. Am 7.10.2010 wurde schließlich als Gedenkstätte wieder ein Holzkreuz etwa an der Stelle errichtet, wo sich das Massengrab befindet. Die genaue Lage konnte trotz Grabungen des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge nicht mehr festgestellt werden und auch die Zeitzeugen, die 1945 Kinder waren, konnten sich nach all den Jahrzehnten bloß an die ungefähre Lage erinnern.
Das Gedenkkreuz trägt neben einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) eine Widmung und die Namen der hier Bestatteten.
Außerdem wird noch an den Wilhelmshagener Lehrer Gustav Kleint erinnert, der am 21.4.1945 von Rotarmisten in seinem Haus erschossen worden war und auf dem regulären Friedhof beigesetzt wurde.
Fazit: Leider kaum zu finden, da jeglicher Hinweis vor Ort fehlt und als Gedenkort auch nicht sonderlich gepflegt – ein Kreuz im Wald ….
Der örtliche Förster hat die Anpflanzung von Blumen am Gedenkkreuz im Wald untersagt.
Zahlen, Fakten und Namen:
"Berliner Zeitung" vom 23.4.2019
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