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  1. Userbewertung: 4 von 5 Sternen

    1. Bewertung


    bestätigt durch Community

    Wer heute über den Pariser Platz mit seinen prächtigen Gebäuden, den plätschernden Brunnen und die vielen Spaziergänger schaut, kann sich kaum vorstellen, wie leer und tot diese Gegend vor fünfzig Jahren aussah. Wie kam es dazu und was hat es mit den Brunnen auf sich?

    Im 18. Jh. bildete der Pariser Platz, damals "Quarré“ genannt, den westlichen Abschluß des Boulevards Unter den Linden vor dem Brandenburger Tor. Seit den Befreiungskriegen 1814 diente der Platz dem feierlichen Empfang siegreicher Truppen und diplomatischer Gäste. Die Gartenanlage mit den zwei Brunnen entlang der auf das Tor zuführenden Achse wurde erst 1877 geschaffen.

    War der Platz vor dem Brandenburger Tor in der Kaiserzeit noch Höhepunkt der hauptstädtischen Flaniermeile, sozusagen die Gute Stube der Berliner, wurde er in den 1930ern vor allem Schlußpunkt von Aufmärschen. Nach dem Krieg war ein Wiederaufbau der stark beschädigten Gebäude am Platz zunächst beabsichtigt, doch 1961 ließ die DDR für den Mauerbau sämtliche Gebäude bis auf das Brandenburger Tor einschließlich der Brunnen vollständig abreißen. Die Mauer befand sich genau westlich vor dem Tor, und der Platz lag im Sperrgebiet, darunter entstanden Bunkeranlagen. Vom einstigen Platz war nichts mehr erkennbar.

    Nach 1989 rückten Tor und Platz wieder ins Zentrum der Stadt und erforderten eine Wiederbelebung durch Neubauten. Angelehnt an die originale Gestalt entstand das Areal des Pariser Platzes neu. Die beiden Brunnen wurden nach Fotos aus der Vorkriegszeit und Grabungsfunden wiedererrichtet.

    Heute stehen die beiden runden Springbrunnen umrahmt von Rasenflächen und Staudenringen vor den Bauten der Akademie der Künste im Süden und des Allianz Forums im Norden. Die schlichten Becken von beachtlichen zehn Metern Durchmesser besitzen eine Einfassung aus glattem Stein. Über die Wasserfläche erhebt sich eine hohe konische, von mehreren Düsen gespeiste Fontäne, die einem Kranz aus stilisierten Akanthusblättern aus Bronze entspringt. Die beiden Brunnen beleben den Platz, ihr Rauschen und Plätschern ist angenehm und entspannend. Ohne sie wäre das Ensemble vor dem Brandenburger Tor wesentlich ärmer.

    geschrieben für:

    Freizeitanlagen / Wassertechnik in Berlin

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    1.

    Nocolina Herzlichen Dank für den GRÜNEN DAUMEN. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Der Eintrag stammt übrigens nicht von mir, den fand ich so einsam da stehen und wollte ihn mit Inhalt füllen. Die verlinkte Speisekarte geht nicht auf mein Konto ;-) bearbeitet
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    Nocolina Vielen Dank für die Likes und Gratulationen! So sehr viel gaben die schlichten Brunnen nicht her... Hab mein Bestes versucht, sie wenigstens interessant zu bebildern. bearbeitet


  2. Userbewertung: 4 von 5 Sternen

    1. Bewertung


    bestätigt durch Community

    Flaschenpost aus aller Welt

    Der Name Pabst & Richarz wird den wenigsten Freunden von Hoch- und Mittelprozentigem geläufig sein, der Name der Konzernmutter schon: Berentzen. Und wahrscheinlich auch etliche der von der Firma vertriebenen Getränke. Eine Liste bekannter Drinks wäre jetzt angebracht, doch darüber schweigt sich die Unternehmens-Website aus. Das Portfolio soll etwa 300 Produkte umfassen.

    Nicht wenige Getränke des Sortiments errangen national und international höchste Auszeichnungen wie den Bundesehrenpreis des Landwirtschaftsministeriums, Auszeichnungen der DLG (Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft) und Prämierungen der IWSC (International Wine And Spirits Competition). Die Getränke reichen von Massenprodukten für Discounter über alteingesessene Marken bis zu hochpreisigen Kleinauflagen. Daß Preiswertes auch preiswürdig sein kann, zeigt der Aperitif Bianco Bar'Entino für den rot-gelben Netto, der dreimal in Folge bei der IWSC ausgezeichnet wurde.

    Hier möchte ich einen Rum aus dem Hause Pabst & Richarz vorstellen. Die Rum-Kollektion trägt den Namen "Paul & Virginie" nach dem National-Roman von Mauritius aus dem 18. Jh., einer romantischen Liebesgeschichte mit viel Fernweh und tragischem Ende. Bei den vier Rumsorten mit den Farbbezeichnungen White, Gold, Blue und Black handelt es sich um Blends auf der Basis von Mauritius-Rum. Zuckerrohr wird auf der kleinen östlich von Madagaskar gelegenen Insel seit über 300 Jahren angebaut, heute bedecken die Plantagen die Hälfte der Anbaufläche. Ein Teil der Ernte wird in drei Destillerien zu Rum verarbeitet. Aufgrund des günstigen Klimas, der ausschließlichen Verwendung einheimischer Rohstoffe und traditioneller Handarbeit gilt der Rum von Mauritius als Geheimtipp für hochwertigen Rum.

    Bei der Serie "Paul & Virginie" handelt es sich allerdings um Blends. Ich habe die mitteldunkle Sorte "Eden Blue" verkostet, einen Verschnitt mit Rum aus Jamaika und Martinique. Abgefüllt ist der Trank in einer fürs mittlere Preissegment üblichen Flasche, einem breiten Zylinder wie eine Apothekenflasche aus schwerem farblosem Glas mit einem Holz-Gummi-Stopfen. Das Gefäß und das trotz der nostalgischen Elemente schlichte Etikett machen einen guten ersten Eindruck.

    Im Glas leuchtet der Rum dunkelbernsteinfarben, es steigen Aromen von Praline, Kaffee und Trockenfrüchten in die Nase. Am Gaumen ist er gefällig, erstaunt aber auch mit einer von zitrischer Schärfe und einer zarten Rauchnote umspielten fruchtbetonten Süße. Der Abgang ist eher kurz und lieblich mit Noten von Schokolade und Vanille. Kurzum: nicht langweilig, flach oder pappig, wirklich eine schöne Aromenfülle. Dieser Rum ist etwas für Naschkatzen und fast zu schade zum Mixen. In einem Planter's Punch oder Mai Tai kann ich ihn mir gut vorstellen.

    Das Preis-Leistungs-Verhältnis finde ich sehr gut: 0,7 Liter kosten um 20 Euro. Der "Paul & Virginie Eden Blue" bekam auf der IWSC 2022 Bronze und von mir 4 Sterne.

    geschrieben für:

    Getränkevertrieb in Minden in Westfalen

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    2.

    Kaiser Robert Pabst & Richarz kenne ich noch sehr gut, war eines unser Auftraggeber zur Analyse von Weinen.

    Es ist eine Geschichte vom Fressen und Gefressen werden: Vor über vielen Jahren, im Jahre 1987, war der Spirituosen-Hersteller Berentzen aus Haselünne (Emsland) eine Fusion mit der Elsflether Weinbrennerei Pabst & Richarz eingegangen. Die Produktion blieb in Elsfleth, aber die Geschicke von Pabst & Richarz wurden vom Zeitpunkt der Fusion an in Haselünne bestimmt. Das Ergebnis ist bekannt. Seit Jahren gehört die Alkohol- und Spirituosenherstellung in Elsfleth der Geschichte an, rund hundert Arbeitsplätze gingen verloren. Endgültg geschlossen wurde die Weinbrennerei Mitte 2003.

    Heute befindet sich An der Weinkaje 4 die Jade Hochschule, ein Maritimes Forschungszentrum und die WEBCAM mit dem Blick auf das Huntesperrwerk.
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    02 Check ..
    Danke für die Bewertung. Gefällt. Sie ist sachlich, fair und informativ.
    Nocolina Über den GRÜNEN DAUMEN freue ich mich sehr! Herzlichen Dank an die Vergabestelle und an die Leser, Liker und Gratulanten!
    Nocolina @ Kaiser Robert: Danke für die wertvolle Ergänzung zur Firmengeschichte, auch noch aus eigener Anschauung. Die Unternehmens-Website ist wenig ergiebig, viel PR und wenig Info.

    Daß alteingesessene Firmen mit eigener Produktion nach Verkauf oder Fusion zu reinen Namensgebern oder Vertriebszentralen werden, scheint in der Lebensmittelbranche besonders häufig zu sein. Das ist uns hier kürzlich bei den Spreewald-Gurken begegnet, und mir bei meiner Bewertung von Bärensiegel. Da war ich erstaunt, daß der von mir geschätzte Humboldt Gin, vor wenigen Jahren von einer Kleinstdestille vor den Toren Berlins ersonnen, nun Bärensiegel gehört, das wiederum - ähnlich wie hier - eine Vertriebsfirma von Nordhäuser ist. Damit nicht genug, mit Verkauf an einen Branchenriesen werden häufig die Rezepturen der Produkte verändert.
    Kaiser Robert Ein gutes Beispiel ist auch KABA, 1992 verlagerte ich die Produktion aus Bremen zur Firma Reuss nach Berlin, dann wurde die Marke an Carambar & Co verkauft, nun weiter an Krüger GmbH in Bergisch Gladbach.
    Buntspecht Buntspecht Herzlichen Glückwunsch zum Rum-Daumen. Als ich Martinique las, kam mir eine Reisedoku im Fernsehen vor vielen Jahren in den Sinn. Ist eine wunderbare Insel!


  3. Userbewertung: 4 von 5 Sternen

    1. Bewertung


    bestätigt durch Community

    Kiezkneipe mit Kontrastprogramm

    Im Körnerkiez wenige Schritte von der Karl-Marx-Straße entfernt gibt es einen Platz, der eigentlich fast nur aus einer komisch-schrägen Kreuzung besteht. Irgendwann, als Neukölln noch Geld hatte, wurden dort poppige Sitzskulpturen aufgestellt, mit teils goldenem Mosaik verkleidet, mittlerweile bröckelnd und von nacktem Mörtel durchsetzt. Auf dem größeren Teil des Platzes steht eine alte Linde, auf dem kleineren Teil zwei neue Zierkirschen.

    Im Eckhaus hinter den Bäumchen und dem Steinsofa gab es jahrzehntelang das, was in einem alten Arbeiterbezirk an eine solche Ecke gehört, eine Eckkneipe. Die alte Kundschaft verzog und verstarb oder der Wirt ging in Rente oder die Miete wurde erhöht - jedenfalls war es die Gentrifizierung, die zum Aus führte. Der Raum blieb leer, irgendwann wurde eine Neueröffnung angekündigt, der Raum blieb weiter leer. Endlich nach der Pandemie zog eine neue Kneipe ein, die nun die alte und die neue Kiez-Bewohnerschaft verbindet: das Bajszel.

    Die Kneipe nennt sich Programmschänke, und beide Aspekte werden anspruchsvoll bedient. Das Programm umfaßt Lesungen, Vorträge, Filme und Konzerte. Es geht um Themen wie Zeitgeschichte, Gesellschaftskritik und Antirassismus, die Perspektive ist links und paßt zum Kiez, wenn man die Wahlergebnisse betrachtet.

    Die Karte der Kneipe liest sich gut: Biere namhafter deutscher Brauereien vom Faß und aus der Flasche, also keine Massenware, keine Global-Kollektion und kein Craftbeer-Luxus, einfach nur solide. Ein paar offene Weine, ein knappes Dutzend Whiskys, dazu eine feine Auswahl sonstiger Spirituosen und Standard-Cocktails. Und das alles zu erstaunlich günstigen Preisen.

    Das Bajszel ist eine Bereicherung für den Kiez, denn es ist so anders als die sonstige Mischung aus schwindenden Altberliner Bierlokalen, den sich mehrenden Kulturvereins-Zockerbuden und den ständig wechselnden Hipster-Café-Bars mit Coldbrew Coffee, Natural Wine samt Creamcheese Bagel und Shakshuka Bread. Hier gibt es stattdessen deftige Schmalzstullen und Balkan-Käse, hier muß man keinen Zehner hinblättern.

    Zwar bekam das Bajszel Konkurrenz auf dem großen Teil des Platzes, denn dort hatte das Kiez-Wohnzimmer Laika nach über einem Jahrzehnt geschlossen, und die aus dem benachbarten Schillerkiez vertriebene Altlinken-Kult-Kneipe Syndikat zog ein. Doch anscheinend hat das dortige Publikum seine wilden Tage hinter sich und sitzt nun gemütlich beim Bierchen. Da ist im Bajszel zumindest beim Programm mehr los.

    Die Kneipe ist schlicht und freundlich eingerichtet. Im Sommer sitzt man draußen auf dem kleinen Platz, umgeben von Bäumen und unbehelligt von Fußgängern. Es könnte sehr schön sein, wäre da nicht genau gegenüber die Feuerwache: Blaulicht und Martinshorn, Großstadt halt.

    geschrieben für:

    Kneipen in Berlin

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    3.

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    Nocolina Ui, meine Kneipen-Tour wurde mit einem GRÜNEN DAUMEN belohnt. Herzlichen Dank an die Vergabestelle und an die Liker und Gratulanten! Das spornt mich doch zu mehr Ausflügen an. Keine Sorge, Nocolina versackt nicht...
    ReginaLWL Dem kann ich mich nur anschließen - ich sehe es förmlich vor mir... Glückwunsch zum Daumen!


  4. Userbewertung: 3 von 5 Sternen

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    Neues Grün auf alten Gräbern

    Ein Glücksfall fürs dichtbesiedelte Nord-Neukölln ist er, der Anita-Berber-Park. Als Berlin in der Gründerzeit wuchs, brauchte die Stadt nicht nur viele Wohnungen, sie brauchte auch Friedhöfe. Am Rand der damaligen Luisenstadt, heute um die Kreuzung von Hermannstraße und Ringbahn herum, legten einige Kirchengemeinden neue Gottesäcker an. Hundert Jahre später wurden sie kaum noch gebraucht, weil es immer weniger Erdbestattungen gab. Der Eigentümer dieser großen stillgelegten Fläche, die Evangelische Friedhofsverwaltung, mußte also über die zukünftige Nutzung entscheiden.

    Das gut 6 ha große Gelände des Thomaskirch-Friedhofs wurde an die Stadt verkauft, die es mit über 2 Mio. Euro behutsam als Naherholungsgebiet entwickelte. Nicht nur die denkmalgeschützte Backsteinmauer an der Hauptstraße blieb erhalten, auch die über hundertjährige Platanenallee entlang der Zentralachse und der vielfältige Bestand an kleineren Bäumen und Sträuchern, in denen viele Vögel hausen. Ansonsten erinnert nichts an den Friedhof, denn ab den 1980ern gab es keine neuen Gräber, und nach Ablauf der Liegefristen wurde 2012 alles eingeebnet.

    Im Park steht eine Reihe kurzer Säulen mit merkwürdigen Aufbauten, die alten Leuchtfeuer des nahen Flughafens Tempelhof, der 2008 geschlossen wurde. Die denkmalgeschützten Anlagen erinnern an den einst weltweit größten Flughafen und seine Rolle zur Zeit der Luftbrücke 1948/49, als sämtliche Straßenzugänge der West-Berliner Sektoren über ein Jahr lang von den Sowjets blockiert waren, so daß die Bevölkerung ausschließlich über den Luftweg versorgt werden konnte.

    Bevor der Park 2017 eröffnete, mußte ein Name gefunden werden. Bei der Bürgerbeteiligung gingen fast 200 Vorschläge ein, darunter gleich mehrfach der für die weitgehend vergessene Anita Berber, die 1929 nach einem kurzen bewegten Leben auf diesem Friedhof bestattet wurde. Aus einer Musikerfamilie stammend und als Tänzerin ausgebildet, war sie schnell als Solistin einer Berliner Kompagnie erfolgreich.

    Mit Anfang 20 fand die Berber ihren eigenen Stil und wurde zur umjubelten wie umstrittenen Göttin der Nacht. Ihren Ruf begründete sie mit dem Programm „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“. Sie trat zuweilen vollständig nackt auf, war bisexuell, kokste, soff und beleidigte ihr Publikum. Auf der Bühne wurde sie gefeiert, privat geriet sie zunehmend in Schwierigkeiten, die Ausschweifungen ruinierten ihre Gesundheit. Das Porträt von Otto Dix zeigt die Mittzwanzigerin mit verbrauchtem Körper und Gesicht. Schließlich brach sie auf der Bühne zusammen und starb wenig später nur 29jährig.

    Nun heißt die neue Grünfläche also nach der Galionsfigur der Goldenen Zwanziger Berlins. Der Park fungiert als Bindeglied zwischen den gentrifizierten Wohngebieten an den beiden westlichen Verkehrsadern Neuköllns zum Tempelhofer Feld. Besonders beliebt ist der Park bei Joggern, Radfahrern und Gassigehern, an Wochenenden sind hier regelrechte Karawanen unterwegs.

    Anders als der benachbarte kleine Körnerpark, der Kiez-Liegewiese, halten sich hier wenige Besucher längere Zeit auf, denn der Anita-Berber-Park ist ein Drogen-Hotspot und "KBO" - einer der kriminalitätsbelasteten Orte Berlins. Der Anblick von offenem Konsum harter Drogen und die Gefahr, bestohlen oder überfallen zu werden, mindert seine Attraktivität, insbesondere für Familien. Zwar steht ein mobiler Drogenkonsumraum stundenweise am Parkeingang, doch insgesamt ist der Aufenthalt im Park für die Allgemeinheit nur eingeschränkt empfehlenswert. Wirklich schade.

    geschrieben für:

    Freizeitanlagen in Berlin

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    4.

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    Tikae Die Namensgebung finde ich kritisch, passt aber leider zur Nutzung :-(
    Sehr gut beschrieben !
    FalkdS Danke fürs Aufzeigen.
    Glückwunsch zum geparkten Daumen.

    Was es alles so gibt in der Hauptstadt Deutschlands, ein „Denkmal“ für eine Frau, die aus meiner Dicht eher vergessen als geehrt werden sollte…
    Warum man dieser Frau hier ein Denkmal setzte kann ich bei bestem Willen und größten Anstrengungen nicht erkennen.
    bearbeitet
    grubmard Berlin hat so viele Orte, die Namen von umstrittenen Personen tragen (z.B. der Antisemit Treitschke oder Hindenburg, der Steigbügelhalter des Führers) - da kann ich mit einer Nackttänzerin und Showgröße der 1920er gut leben und stoße mich auch nicht dran.
    eknarf49 Herzlichen Glückwunsch zum grünen Daumen. Das von Otto Dix gemalte Porträt fand ich immer erschreckend, das Leben der Tänzerin muss wirklich ein Rausch gewesen sein.
    opavati® Danke, für die Heimatkunde aus Westberlin. Wenn ich gewusst hätte, wie gefährlich es dort ist, hätte ich mich da nie hingesetzt ... Die Namensfindung ist gut, da gibt es neuerdings ganz andere Beispiele. Es kommen ja seit langem nur noch weibliche Namensgeberinnen infrage.
    Nocolina Ganz herzlichen Dank für den GRÜNEN DAUMEN an die Vergabestelle! Ebenfalls vielen Dank an die Gratulanten und Diskutanten!

    Anita Berber ist bei meiner Darstellung etwas zu kurz und negativ weggekommen - aber was soll ich machen bei so vielen Themen rund um den Park, ich kann hier ja keinen Roman schreiben ;-) Sie war keine Nackttänzerin im Sinn einer Nachtklub-Animateurin, sondern eine echte Künstlerin. Im Berlin der 1920er herrschte eine ganz andere Auffassung von Nacktheit, das können wir uns gar nicht vorstellen. Damals war Berlin beim modernen Tanz weltweit führend. Der Drogenkonsum war weitgehend legal und seit dem späten 19. Jahrhundert in der europäischen High Society verbreitet.

    Hier zwei kleine Illustrationen:
    Anita Berber tanzt, leider keine eigenen Werke, nur in zwei Filmen. Der erste ist von 1919, da war sie 20, noch ganz in der Tradition des Ausdruckstanzes. Tanz ab 1:45, am besten Ton abstellen, die Musik ist unpassend
    https://www.youtube.com/watch?v=dI7CyEqiJRs

    Hugo Fischer-Köppe singt "Koks", 1932
    ein Meisterwerk!
    https://www.youtube.com/watch?v=3K64CXZw1kw

    Viel Vergnügen!

    bearbeitet
    grubmard @Nocolina: Du kannst YouTube-Videos übrigens direkt mit der Location verlinken.
    Nocolina Das Nackt-Foto der Berber ist von 1920, also bevor sie ihren eigenen Tanzstil erfand. Da tanzte sie noch einigermaßen brav, jedenfalls nicht nackt. Mit solchen Fotos und als Mannequin insbesondere für Hutmode, hat sie damals Geld verdient.

    Eine Nachbarin meiner Eltern, lange verstorben, hatte damals in Berlin einen Hutsalon. Ob die Berber wohl auch ihre Hüte vorführte? Hauptberuflich war sie nämlich Kostümbildnerin für die Tanzikonen Palucca und Kreuzberg und natürlich auch im Nachtleben unterwegs. Schade, daß ich sie nicht mehr fragen kann! Das erklärt mein Interesse fürs Ballett der Weimarer Zeit.


  5. Userbewertung: 3 von 5 Sternen

    2. von 2 Bewertungen


    Leda? You mean Lee-dah? Who is this Leda?!

    Wer auf der Hauptstraße des Neuköllner Nordens am Karl-Marx-Platz an der Ampel warten muß, kommt in den Genuß von Kunst: sieben große Bronzen führen ein imaginäres Theater auf. So hat jedenfalls der Bildhauer sein Werk genannt. Aber wer blickt schon mehr als flüchtig hin.

    Vor hundert Jahren schauten die Passanten an dieser Stelle ehrfürchtig zum überlebensgroßen Reiterbildnis Kaiser Wilhelms I. auf, bis die erzene Skulptur kriegsbedingt eingeschmolzen wurde. Nach 1945 verschwand auch der Sockel mitsamt der fein gestalteten Grünanlage, und die von Hohenzollernplatz in Karl-Marx-Platz umgetaufte ehemalige Zierde der Nachbarschaft war nur noch eine Ödnis. In der Wirtschaftswunder-Ära, als das Ideal der autogerechten Stadt nicht nur Kriegsbrachen für den Straßenbau nutzte, sondern auch Schneisen durch intakte Altbauviertel schlug, war dieser leere Platz für den Durchgangsverkehr prädestiniert.

    Glücklicherweise blieb die Nachbarschaft von dieser Transformation verschont, denn schon bald erkannten die Stadtsoziologen die Folgeschäden des Kahlschlags, nun wurde gegengesteuert, insbesondere mit üppigen Budgets für Kunst im öffentlichen Raum. Auch der Karl-Marx-Platz sollte aufgewertet werden. Die Ausschreibung 1986 gewann Hartmut Bonk (1939-2019), der kurz zuvor von Dresden nach West-Berlin übergesiedelt war. Fast alle Werke des Bildhauers stellen Menschen oder mythologische Figuren dar, denn zeitlebens war er von den Konflikten in den antiken Epen und ihren starken, psychologisch interessanten Charakteren fasziniert.

    Folglich stammen die Darsteller seines "Imaginären Theaters" auf dem Karl-Marx-Platz von 1987 aus verschiedenen griechischen Überlieferungen. Die Statuen bilden ein Halbrund um ein mittlerweile trockengefallenes flaches Brunnenbecken. Da stehen sie, einzeln oder zu zweit, unverbunden und ohne erkennbare Handlung. Das Theater findet lediglich in der Reflexion des Betrachters statt, ist also imaginiert. Und das auch nur, wenn man die Erläuterungen des Künstlers kennt. Ihm zufolge sollen die Figuren Isolation, Zusammengehörigkeit und Konfrontation von Menschen darstellen und seine Gesellschaftskritik ausdrücken.

    Der Betrachter erkennt einen hübschen Knaben am Rand des Wasserbeckens - Narziss, der sich in sein Spiegelbild verliebt. Die Figur eines Zentauren, halb Mann, halb Pferd, ist Sinnbild für das Wilde bis Lüsterne ähnlich der bocksbeinigen gehörnten Satyrn. Die Gruppe eines Paars mit einem großen Vogel zeigt den König von Sparta mit seiner Gemahlin Leda, die von Zeus in Gestalt des Schwans geschwängert worden war. Die letzte Gruppe ist rätselhaft und weicht stark von den anderen ab. Die zwei Zyklopen, die riesenhaften einäugigen Schmiede, sind plump, von rauer Oberfläche und surrealistisch dargestellt: ihre Gliedmaßen sind teilweise durch geometrische Blöcke ersetzt. Sie streiten, einer schreit und will einen großen Stein auf das Gegenüber werfen. Alle anderen Figuren sind glatt, beinah aalglatt, aber nicht klassizistisch schön, sondern mager, unterkühlt und starr.

    Das Theater ist also insgesamt keins der großen Geste und selbst anhand der Sagenthemen schwer zu entschlüsseln. Es ist ohnehin fraglich, wer hier für solch antikisierende Bildungsbürgerkunst empfänglich ist, damals in den 1980ern und erst recht heute: Who the f*ck is Leda?!

    Die Neuköllner Gruppe ist eins der Hauptwerke Bonks, der 1988 bis zu seiner Pensionierung 2004 an der Berliner Hochschule der Künste im Fachbereich Architektur lehrte. Vorher war Bonk an einer großen Gemeinschaftsarbeit mehrerer Künstler beteiligt. Für den Brunnen der Generationen auf dem Wittenbergplatz beim KaDeWe arbeitete er an drei Figuren mit. Nach seinem Tod würdigte das Kunstmuseum Dresden den sächsischen Künstler mit einer Sonderausstellung. In Berlin hat er außer den beiden Brunnen keine sichtbaren Spuren hinterlassen.

    geschrieben für:

    Freizeitanlagen / Kultur in Berlin

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    5.

    Nocolina Danke, walkingwomen. Es war nicht gerade eine leichte Aufgabe. In Berlin gibt es erstaunlich viel moderne Kunst im öffentlichen Raum. Ein weites Feld also. Meinen Blick dafür hat grubmard geschärft, der hier sehr fleißig über Berliner Brunnen und Skulpturen schreibt.
    opavati® Danke, für diese Heimatkunde. Das waren noch Zeiten, als in Westberlin Geld keine Rolle zu spielen schien. Die Berlin-Förderung sprudelte und der geflohene Ostkünstler wurde damit unterstützt, eine win-win-Situation. Tempi passati!
    Nocolina Lieber opavati, Du sagst es! Neukölln ist jetzt so pleite, daß die Vitalfunktionen kaum aufrecht erhalten werden können. Mal schnell ne viertel Million für Kunst, undenkbar. Die Grünanlagen verkommen und verdorren. Voriges Jahr wurde sogar der Wachschutz an den Brennpunktschulen gestrichen. Die Verwaltung ist so unterbesetzt, daß ein Großteil der Verkehrs-Bußgeldbescheide nicht bearbeitet wird (bitte nicht weitersagen).


  6. Userbewertung: 4 von 5 Sternen

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    Sonderangebot, billig-billig, jetzt Schlußverkauf!

    Offiziell ist er nicht, der Name "Kleiner Basar", doch er trifft das Wesen des Marktes recht gut. Die Märkte Nord-Neuköllns sind äußerst unterschiedlich: Hipster-Zeitvertreib auf dem Kranoldplatz, Öko-Familientreff auf dem Herrfurthplatz, Nebenbei-Shopping zwischen Kaufhaus, Baumarkt und Umsteigen auf dem Hermannplatz, aber hier: volle Dröhnung Lebensmittel.

    Herzstück des Marktes sind die Obst- und Gemüsestände mit Bergen von saisonalen Produkten, oft nicht schick und frisch, dafür billig, ja sensationell billig. Hackenporsche-Rallye auf den Gehwegen der Nachbarschaft? Ach ja, es ist Markttag! In den schmalen Gängen vor den Buden kann es schon mal zu Kollisionen kommen.

    Der Einkauf verläuft ritualisiert. Den Platz am Naturalien-Wühltisch muß man sich oft erkämpfen und dann um die Aufmerksamkeit des Händlers buhlen. Meist heißt es erst "Tüte bitte", dann Warten auf das Wiegen, zuweilen auch aufs Bezahlen. Alle paar Meter dasselbe. Der Marktbesuch kann ganz schön lange dauern, interessant ist er allemal.

    Neben dem Supermarkt-üblichen Grünzeug und Obst findet man hier exotische Zutaten wie seltene Chilisorten oder Kelek, ein gurkenähnliches Gemüse, in Wirklichkeit eine unreife Zuckermelone. Ein Stand verkauft neben allerlei orientalischem Brot Schafskäse, Oliven und andere eingelegte Vorspeisen. Am gut besuchten Fischwagen sind alle Sorten auf Türkisch angeschrieben. Seit Jahren gibt es ein bis zwei polnische Stände, die außer Bauerngemüse auch Milchprodukte und Wurstspezialitäten aus der Heimat anbieten. Neu ist der Fleischverkauf eines Brandenburger Biobauern mit selbstgemachter Wurst, Eiern von Zweinutzungshühnern und saisonalem Wild vom Jäger.

    Der Marktbetreiber ist bestrebt, die Verkaufsfläche und das Sortiment auf dem Karl-Marx-Platz zu erweitern. Mittlerweile werden auch Nonfood-Waren feilgeboten. Das Kerngeschäft ist und bleibt Obst und Gemüse, das die ärmere Bevölkerung der Gegend sich leisten kann. Der Markt erfüllt eine wichtige Funktion im Kiezleben - nicht nur für die Lebensmittelversorgung, auch fürs Miteinander. Oft sitzen Matronen mit schwerbeladenen Trolleys zusammen auf den Bänken der Umgebung und plauschen. Auf Polnisch, Bulgarisch, Arabisch, Türkisch, Kurdisch, Farsi, Urdu, Yoruba, Mandinke... Neukölln, wie es leibt und lebt!

    PS: Bloß nicht mit dem Auto kommen! Parken ist un-mög-lich, in ganz Nord-Neukölln, und an Markttagen erst recht, wenn ein Teil der Straße am Platz gesperrt und mit Buden belegt ist.
    6.

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    Nocolina Über den GRÜNEN DAUMEN freue ich mich sehr, herzlichen Dank an die Vergabestelle! Und danke auch denen, die sich mit mir freuen!
    Nocolina Lieber opavati, zur Blutwurstmanufaktur findest Du schon eine Erwähnung bei meiner ebenfalls gestern geschriebenen Darstellung des Karl-Marx-Platzes. Eine gesonderte Würdigung steht noch aus.


  7. Userbewertung: 3 von 5 Sternen

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    Viel Grau, wenig Grün, manchmal bunt

    An der mittleren der drei Neuköllner Nord-Süd-Magistralen gelegen, hat der Karl-Marx-Platz eine Schlüsselstellung im Leben der dichtbewohnten Multikulti-Nachbarschaft. Er verbindet das beschauliche Wohnviertel des Böhmischen Dorfes mit der kommerziellen Ader der Karl-Marx-Straße, und er liegt am gleichnamigen U-Bahnhof zwischen den Stationen Rathaus, dem bezirklichen Epizentrum, und Ringbahn bzw. "Neukölln", dem Knotenpunkt für den ÖPNV wie für den Autoverkehr. Keine schöne, aber eine lebendige Gegend.

    Vor hundert Jahren sah es hier ganz anders aus. Da hieß der Platz Hohenzollernplatz nach dem großen Reiterstandbild Kaiser Wilhelms in Uniform mit Pickelhaube. Die Straße, auf die er schaute, hieß nach Norden Berliner Straße, denn bis 1920 war Neukölln eine selbständige Stadt. Nach Süden hieß sie Bergstraße, und gegenüber war die Mühlenstraße, benannt nach den großen Müllereien aus vorindustrieller Zeit.

    Nach dem Krieg verlangten die Alliierten die Tilgung von Namen mit Bezug auf das Dritte Reich und Preußen, und aus dem kaiserlichen Platz wurde nun ein proletarischer. Die angrenzende Straße wurde flugs gleichermaßen umbenannt - zur Freude der traditionell roten Arbeiterschaft Neuköllns.

    An der Ecke Bergstraße/Mühlenstraße eröffnete 1919 das Musikhaus Bading, bis in die Nachkriegszeit eins der wichtigsten Geschäfte ganz Berlins für Instrumente, Noten, Schallplatten, Grammophone und Konzertkarten. Auch nach dem Niedergang der Nachbarschaft und der akustischen Musik führte die hochbetagte Tochter des Firmengründers mit ihrer Schwägerin den Laden wacker fort. In der Silvesternacht 2017/18, kurz vor dem 100. Jubiläum also, brachen Randalierer die Tür auf und warfen Feuerwerkskörper in den Laden. Fast alles verbrannte. Nicht nur materielle Werte wurden da zerstört, auch eine Institution und ein Lebenswerk.

    Groß war das Entsetzen in der Bevölkerung, bang das Warten, wie es weitergehen sollte. Jahrelang waren die brettervernagelten Schaufenster und die rußgeschwärzte Fassade unter dem originalen Firmen-Signet ein Mahnmal für das notorisch gewalttätige, gefährliche Neukölln. Erst 2023 folgte ein Musikgeschäft ganz anderer Art mit dem unscheinbaren Namen "Schneiders Laden", ein Synthesizer-Spezialist von Weltruf.

    Der Platz ist umgeben von der Neuköllner Mischung: Handys, Billigklamotten und Haushaltsramsch, Fastfoodbuden, Aufback-Bäckerei-Cafés und Shisha-Lounges, Barbiere, Nagelstudios und Laser-Botox-Kosmetik. Nur wenige Geschäfte folgen nicht dem Motto schnell, grell und geizgeil. Zu ihnen gehört die Fleischerei "Blutwurstmanufaktur", die seit fast 30 Jahren ihre berühmte Blutwurst herstellt und in dem unscheinbaren Laden mit Stehimbiss verkauft. Gegenüber bietet seit zehn Jahren Balera italienische Fass- und Flaschenweine an. Ein weiteres Kiez-Highlight liegt ganz hinten, die winzige Verkaufsstelle der edlen Eismanufaktur "Spoonful", an heißen Tagen von weitem an der Warteschlange erkennbar.

    Meistens ist der Platz ziemlich öde. Fast vollständig grau geplättelt ist er, mit ein paar kümmerlichen Bäumen an den Längsseiten des schmalen Tortenstücks und struppig wuchernden Sträuchern an der Spitze. Die Sitzbänke dort sind längst verschwunden, nur an der Hauptstraße stehen noch welche zwischen Abgaschwaden und Frittierfettdünsten. Dahinter tändelt die modernistische Skulpturengruppe namens "Imaginäres Theater" verloren an einem versiegten Brunnenbecken. Nur mittwochs und samstags zu Marktzeiten erwacht der Platz zum Leben.

    Seit 2019 will der Bezirk den Karl-Marx-Platz sanieren, die Bürgerbeteiligung ist abgeschlossen, und knapp 2 Mio. Euro stehen bereit. Dieses Jahr sollen die Arbeiten nicht nur beginnen, sondern sogar abgeschlossen werden. Noch tut sich nichts. Da kiekste, wa.

    geschrieben für:

    Freizeitanlagen / Verkehrstechnik in Berlin

    Neu hinzugefügte Fotos
    7.

    opavati® Danke, für die Heimatkunde! Ich bin ja nun öfter in Neukölln, beim Augenarzt, da geh ich manchmal über den Friedhof zu Benser ...
    Bading sollte als Mahnmal so erhalten bleiben!
    bearbeitet
    Nocolina Lieber opavati, danke für das Foto von Bading mit den verrammelten Fenstern! Nun ist Synthesizer-Schneider drin - ein sehr interessanter Laden. Im Sommer war ich bei einer Führung dort. Im Keller ist eine Galerie mit signierten Fotos berühmter Opernsänger der 1930-60er, die sich bei Bading bedankten!


  8. Userbewertung: 4 von 5 Sternen

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    Verschüttete Milch, verschollene Kunst

    Wer sitzt denn da auf dem Felsblock im Britzer Park, die Kleine Meerjungfrau? Von weitem ähneln die beiden versonnen dreinblickenden jungen Frauen einander, doch hier geht der Blick nicht in die Ferne, sondern auf den Boden, und die Geschichte ist eine ganz andere.

    Jean de la Fontaine, der französische Barockdichter, erzählt in seiner Fabel von der jungen Bäuerin Perette, die mit der Milchkanne auf dem Kopf zum Markt geht und sich unterwegs ausmalt, wie sie den Erlös vermehrt und reich wird. Als sie deswegen vor Freude hüpft, fällt ihr der Krug vom Kopf und zerschellt - aus der Traum von Geld und Glück. Das ist der Ursprung des Ausdrucks "Milchmädchenrechnung". In Deutschland wurde die Geschichte durch eine biedermeierliche Nachdichtung populär, das geflügelte Wort kam jedoch erst im Industriezeitalter auf.

    Die Brunnenskulptur im Britzer Schlosspark gehört nicht zum ursprünglichen Gartenkonzept aus dem späten 19. Jahrhundert, als der Industrielle Wilhelm Wrede den bescheidenen Gutshof zu einem noblen Landsitz ausbauen ließ, sondern wurde erst 1998 aufgestellt. Die Milchmädchen-Bronze ist kein originales Kunstwerk, nur die Kopie einer russischen Plastik, allerdings mit mannigfachen Beziehungen zu Berlin. 1816 schuf der bekannte Illustrator Pawel Sokolow sie für die kaiserliche Sommerresidenz in Zarskoje Selo bei Petersburg.

    Die Auftraggeberin, Zarin Alexandra Feodorowna, hieß vor ihrer Heirat Prinzessin Charlotte von Preußen. Sie war die jüngere Schwester von Kaiser Wilhelm I., doch viel inniger verbunden war sie mit dem nächsten Bruder Prinz Carl, einem General und Kunstliebhaber. Als er bei einem seiner vielen Russlandbesuche die Perette-Skulptur entdeckte, erhielt er eine Kopie für seinen frisch hergerichteten Sommersitz Schloß Glienicke. Wie viele metallene Kunstwerke überdauerte das Milchmädchen den Zweiten Weltkrieg nicht, doch heute gibt es im Großraum Berlin gleich zwei neue Kopien der Brunnenfigur.

    Dem armen Mädchen von Britz passierte sogar ein zweites Malheur. 2020 wurde der zerbrochene Milchkrug gestohlen, und da sie nun sinnlos ins Leere starrte, mußte ein neuer Krug her. Bis das Teil vom Original abgeformt und der Brunnen wieder zum Laufen gebracht war, wurde der Brunnentorso mit Kunstinstallationen bespielt. Heute sitzt Perette wieder über den kompletten Scherben und schaut desillusioniert auf das davonfließende Nass. Manch ein Spaziergänger hält mitfühlend inne und denkt vielleicht an eigene Milchmädchenrechnungen...

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    FalkdS Interessante Geschichte, eine Bewertung, deren Milchmädchenrechnung keine Milchmädchenrechnung war, sie ging auf, ;-)
    Glückwunsch zum Daumen… :D
    eknarf49 Danke für die interessanten Informationen. Das 'holde Milchmädchen' gefällt mir aus der Ferne übrigens bedeutend besser als in Nahaufnahme. ;-))) Herzlichen Glückwunsch zum grünen Daumen.
    Nocolina Lieben Dank für den GRÜNEN DAUMEN an die Vergabestelle und für die Würdigung an die geneigten Leser!

    Ja, eknarf49, mir auch. Die Bauernmaid sieht wie eine schmollende Bolschoi-Ballerina aus, finde ich. Bukolische Szenen waren damals sehr beliebt.


  9. Userbewertung: 1 von 5 Sternen

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    Kleckern? Klotzen, aber richtig, siebenfach!

    Das Wichtigste zum Brunnenensemble auf dem Neuköllner Kranoldplatz hat grubmard schon gesagt. Hier nur eine Aktualisierung sieben Jahre später.

    Damals waren die Steinskulpturen verwahrlost - voller Graffiti und Unrat menschlichen und tierischen Ursprungs. Zumindest das hat sich gebessert, denn als Vorbereitung auf die Wiedereröffnung des Marktes wurden die Farbschmierereien und der Ekelgestank entfernt. Denn wo die geldige junge Kundschaft des Wochenmarktes sich mit trendigem Streetfood und Hafermilchlatte oder Caipi niederläßt, um Singer-Songwriter-Klängen zu lauschen, muß das Ambiente appetitlich sein. Nun laden die Steinblöcke also zum Niedersetzen ein, denn Wasser fließt aus dem Brunnen immer noch nicht. Hat es scheint's nie und wird es wohl nie.

    Was sich offenbar nicht geändert hat, ist die Ablehnung der Skulpturengruppe durch die Anwohner und Besucher: als Sitzgelegenheit werden die Klötze wahrgenommen, nicht aber als Kunst. Die Idee des Bildhauer-Symposions vor vierzig Jahren kann als gescheitert betrachtet werden. Damals hätten die Leute im Kiez für die knappe halbe Million lieber Pflanzen und Blumen auf dem tristen Platz gehabt als diesen Stein-Verhau, heute ist das sicherlich nicht anders. Die paar schüchternen Farbtupfer in den Baumscheiben stammen nicht vom kommunalen Grünflächenamt, sondern von Freiwilligen aus der Nachbarschaft.

    Auf mich wirkt das Ganze wie ein Gemeinschaftsatelier, das urplötzlich von den Künstlern verlassen wurde. Große Steinquader in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien stehen und liegen chaotisch herum. Hier erkennt man ein entsetzt blickendes Gesicht, dort vielleicht einen halben nackten Leib, anderswo sieht es aus wie Zusammengeschmolzenes - eine Pompeji-Gedenkstätte, ein Memento mori für Neukölln? Das gibt es allerdings schon, ganz ohne Kunst: genau vis-à-vis am anderen Ende des Platzes stehen drei Altglas-Iglus mit Sperrmüll-Aureole. Und da fragt keiner, ist das Kunst oder kann das weg...

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    eknarf49 Für ich ist es immer interessant zu sehen, wie unterschiedlich Menschen auf moderne Kunst reagieren. Danke für Deine Einschätzung der Skulptur.
    grubmard Schön dass es nach 7 Jahren mal eine Aktualisierung in Form einer neuen Bewertung durch eine/n weitere/n User/in gibt.
    Nocolina Lieber eknarf49, zufällig haben wir kürzlich nach einem Spaziergang tatsächlich dort gesessen und die verschiedenen Teile betrachtet, ganz naiv. Die Hintergründe habe ich erst jetzt gelesen: es gab damals richtig Krach, die Bürger wollten das nicht haben. Nun, Kunst im öffentlichen Raum ist eine heikle Sache.


  10. Userbewertung: 5 von 5 Sternen

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    bestätigt durch Community

    Zur Ausstellung "Wohnkultur der Gründerzeit" im Schloss Britz

    In Rixdorf ist Musike - in Britz auch!

    Das Schloss Britz ist gar kein Schloss, sondern nur Rittergut, Fabrikantenvilla und zuletzt Landhaus - aber ist das enttäuschend? Überhaupt nicht. Das Ensemble um den schmucken turmbekrönten Bau mit mehreren Nebengebäuden in einem kleinen Park gegenüber von der alten Feldsteinkirche mit Ententeich ist einer der schönsten und kurzweiligsten Orte im Bezirk Neukölln. Das Schloss ist wirklich überraschend, denn über dem Gründerzeit-Museum und Konzertsaal gibt es im Obergeschoss fünf Gastzimmer, die zum Estrel-Hotel gehören. Übernachten in Berlin im Schloss - wer hätte das gedacht, und sogar für Leute ohne fürstliche Apanage möglich!

    Für noch weniger Geld, nämlich für 5 Euro, kann man ein Stündchen in die Welt des Großbürgertums um 1890 eintauchen. Als 1865 das Rittergut zum Verkauf stand, gab es prominente Interessenten: Kronprinz Friedrich, der spätere Kaiser Friedrich III., und Franz Ludwig Späth, Gründer der berühmten heute noch bestehenden Baumschule. Den Zuschlag erhielt jedoch der Schnapsfabrikant und Bankier Wilhelm August Julius Wrede, der den Herrensitz ab 1880 nach dem damaligen Geschmack umbauen und einrichten ließ. Bis 1924 blieb das Anwesen im Familienbesitz, dann kaufte es die Stadt Berlin. Nach unterschiedlichen Nutzungen wurde es schließlich unter Denkmalschutz gestellt, restauriert und 1989 als Museum eröffnet.

    Die heutigen Räumlichkeiten entsprechen dem baulichen Zustand zu Lebzeiten Wredes, auch die Möblierung ist seiner Wohnung aufgrund von Fotografien nachempfunden. Bis auf wenige Erinnerungsstücke aus der Familie ist also nichts original. Doch das tut dem Eindruck keinen Abbruch, denn die Einrichtungsgegenstände sind nicht nur von hoher künstlerischer und handwerklicher Qualität, sie decken auch viele Lebensbereiche des gehobenen Bürgertums ab. Außerdem wurde das Ganze mit viel Liebe zum Detail und Gespür für Atmosphäre arrangiert: hier liegt ein Tagebuch mit Schreibgerät auf dem Sekretär, dort ein Buch auf dem Tischchen neben dem Kanapee, so als wären die Bewohner nur kurz nach nebenan gegangen und würden gleich wieder durch die Tür hereintreten.

    Im Leben der Bildungsbürger spielte Musik eine wichtige Rolle. Bei Hausmusik im Familienkreis lauschte man Klaviertranskriptionen der neuesten Sinfonien oder lud zum Hauskonzert mit Bewirtung. In dieser Tradition steht der festliche kleine Konzertsaal, der wie eine Bonbonniere wirkt und heute den besonderen Rahmen für Kammerkonzerte bildet.

    In allen Räumen des Museums gibt es zudem Instrumente und Abspielgeräte für Musik. Als Wrede seine Villa einrichten ließ, hatte gerade der Siegeszug des Wachswalzen-Phonographen von Edison begonnen, und natürlich war der Haushalt des reichen Fabrikanten mit dem neuesten Schrei ausgestattet. Die akustische Qualität der Amberola ließ freilich zu wünschen übrig. Wenig später wurde das Grammophon für Schallplatten erfunden, auch davon ist im Museum eins mit beachtlichem Trichterlautsprecher ausgestellt.

    Der Besuch des Museums ist das reinste Vergnügen, ganz ungezwungen kann man durch die Räume flanieren und alles auf sich wirken lassen. Der Gesamteindruck wird nicht durch Erläuterungstafeln gestört. Wer sich für Details interessiert, erhält an der Kasse Führungsblätter zur Ausleihe, und viele Fragen kann das gut informierte Personal beantworten. Das Schloss Britz ist ein kleines aber feines und zu Unrecht kaum bekanntes Museum Berlins.

    Öffnungszeiten: di-so von 12–18 Uhr
    barrierefrei: Hintereingang für Rollstuhlfahrer, Informationen in Braille-Schrift
    Anfahrt: eine U-Bahnstation und drei Bushaltestellen im Umkreis

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    Nocolina Herzlichen Dank für den Grünen Daumen an die Vergabestelle und an die anderen für die Glückwünsche!
    eknarf49 Das scheint lebendige Vergangenheit zu sein. Danke für die Ausführungen und herzlichen Glückwunsch zum grünen Daumen.