Neues Grün auf alten Gräbern
Ein Glücksfall fürs dichtbesiedelte Nord-Neukölln ist er, der Anita-Berber-Park. Als Berlin in der Gründerzeit wuchs, brauchte die Stadt nicht nur viele Wohnungen, sie brauchte auch Friedhöfe. Am Rand der damaligen Luisenstadt, heute um die Kreuzung von Hermannstraße und Ringbahn herum, legten einige Kirchengemeinden neue Gottesäcker an. Hundert Jahre später wurden sie kaum noch gebraucht, weil es immer weniger Erdbestattungen gab. Der Eigentümer dieser großen... weiterlesen stillgelegten Fläche, die Evangelische Friedhofsverwaltung, mußte also über die zukünftige Nutzung entscheiden.
Das gut 6 ha große Gelände des Thomaskirch-Friedhofs wurde an die Stadt verkauft, die es mit über 2 Mio. Euro behutsam als Naherholungsgebiet entwickelte. Nicht nur die denkmalgeschützte Backsteinmauer an der Hauptstraße blieb erhalten, auch die über hundertjährige Platanenallee entlang der Zentralachse und der vielfältige Bestand an kleineren Bäumen und Sträuchern, in denen viele Vögel hausen. Ansonsten erinnert nichts an den Friedhof, denn ab den 1980ern gab es keine neuen Gräber, und nach Ablauf der Liegefristen wurde 2012 alles eingeebnet.
Im Park steht eine Reihe kurzer Säulen mit merkwürdigen Aufbauten, die alten Leuchtfeuer des nahen Flughafens Tempelhof, der 2008 geschlossen wurde. Die denkmalgeschützten Anlagen erinnern an den einst weltweit größten Flughafen und seine Rolle zur Zeit der Luftbrücke 1948/49, als sämtliche Straßenzugänge der West-Berliner Sektoren über ein Jahr lang von den Sowjets blockiert waren, so daß die Bevölkerung ausschließlich über den Luftweg versorgt werden konnte.
Bevor der Park 2017 eröffnete, mußte ein Name gefunden werden. Bei der Bürgerbeteiligung gingen fast 200 Vorschläge ein, darunter gleich mehrfach der für die weitgehend vergessene Anita Berber, die 1929 nach einem kurzen bewegten Leben auf diesem Friedhof bestattet wurde. Aus einer Musikerfamilie stammend und als Tänzerin ausgebildet, war sie schnell als Solistin einer Berliner Kompagnie erfolgreich.
Mit Anfang 20 fand die Berber ihren eigenen Stil und wurde zur umjubelten wie umstrittenen Göttin der Nacht. Ihren Ruf begründete sie mit dem Programm „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“. Sie trat zuweilen vollständig nackt auf, war bisexuell, kokste, soff und beleidigte ihr Publikum. Auf der Bühne wurde sie gefeiert, privat geriet sie zunehmend in Schwierigkeiten, die Ausschweifungen ruinierten ihre Gesundheit. Das Porträt von Otto Dix zeigt die Mittzwanzigerin mit verbrauchtem Körper und Gesicht. Schließlich brach sie auf der Bühne zusammen und starb wenig später nur 29jährig.
Nun heißt die neue Grünfläche also nach der Galionsfigur der Goldenen Zwanziger Berlins. Der Park fungiert als Bindeglied zwischen den gentrifizierten Wohngebieten an den beiden westlichen Verkehrsadern Neuköllns zum Tempelhofer Feld. Besonders beliebt ist der Park bei Joggern, Radfahrern und Gassigehern, an Wochenenden sind hier regelrechte Karawanen unterwegs.
Anders als der benachbarte kleine Körnerpark, der Kiez-Liegewiese, halten sich hier wenige Besucher längere Zeit auf, denn der Anita-Berber-Park ist ein Drogen-Hotspot und "KBO" - einer der kriminalitätsbelasteten Orte Berlins. Der Anblick von offenem Konsum harter Drogen und die Gefahr, bestohlen oder überfallen zu werden, mindert seine Attraktivität, insbesondere für Familien. Zwar steht ein mobiler Drogenkonsumraum stundenweise am Parkeingang, doch insgesamt ist der Aufenthalt im Park für die Allgemeinheit nur eingeschränkt empfehlenswert. Wirklich schade.[verkleinern]