Ich gehe seit schon seit einigen Jahren in die Engelslocke, ich mag beim Thema Frisur ein wenig Kontinuität. Ähnlich wie mein Arzt meine Gesundung oder die Heilung eines gebrochenen Fußes begleitet und über meine gesundheitlichen Macken Bescheid weiß, so kann mein Friseur meine "Haar-Entwicklung" begleiten. Eine Vertrauensperson also, und so sehe ich das auch. Ich kam eher per Zufall auf die Engelslocke, eine Freundin ist schon mal hingegangen und in dem Moment, als ich einen neuen Friseur... weiterlesen
suchte, kam mir dieser Name in den Sinn. Ich bin also gewissermaßen in kalte Wasser gesprungen, als ich mir hier einen Termin geholt habe.
Da ich dort also niemanden kannte oder mir jemand empfohlen wurde, war ich auf den 1. Termin dort gespannt. Ich geriet an Alex, einen von damals drei Mitarbeitern dort neben der Chefin Sultan. Das ist nun schon 2-3 Jahre her in etwa. (Aktuell schmeißen nur zwei Leute den Laden, Alex und seine Kollegin. Sultan hat Babypause und ist nur manchmal da.) Ehrlich, es war mein großes Glück. Es war sowas wie "Liebe auf den ersten Blick", natürlich nur im Sinne meiner Haare ;-)
Ihr müsst wissen, dass ich ein Typ Frau bin, die sich nicht so sonderlich viel aus Mode, Schminke und dem ganzen Schnickschnack macht. Auch bei der Frisur habe ich nicht viel Lust, stundenlange Fönarien oder Styling-Exzesse zu erleben. Insofern zählt bei mir das Praktische, und so sahen meine Haare auch aus. Einfach wachsen lassen, mal ein wenig so, mal ein wenig anders hingekämmt, mittlerweile gut schulterlang. Nennen wir es kontrollierter Wildwuchs. Ich hatte aber immer Angst vor so millimetergenau angelegten Beeten und beließ es daher aus Bequemlichkeit einfach so. Und ab hier kommt dann Alex ins Spiel.
Bei unserem ersten Zusammentreffen schaute er mich an und fragte mich, was ich mir denn vorstelle, vielleicht eher etwas skeptisch schauend. Dann kamen die magischen Worte aus meinem Mund: ach, ich bin ganz offen, ich brauche eine Veränderung, eine Typveränderung, du kannst also machen, was du denkst, auch abschneiden soviel du willst. Glaubt mir, da begannen Alex' Augen zu leuchten, ein breites Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und es war ihm deutlich anzusehen, dass er auf einen solchen Spruch gewartet hatte. Es ist ja eher so, sagte er mir, dass die meisten Kunden wissen, was sie wollen, oder glauben es zumindest, und ihn eigentlich nur als verlängerten Arm der Friseurhandwerkskunst sehen, der ihnen die 2 cm abschneidet oder Strähnchen färbt, also das, was sie vielleicht nicht selbst können. Es gibt wohl meist eine sehr konkrete Vorstellung, wie man hinterher aussehen will. Und dann kam ich, völlig offen gegenüber Neuem. Und da durfte Alex dann ran:
Ich saß also vor dem Spiegel, Alex stand hinter mir und drapierte meine Haare mal so, mal so. Ich sah ihm an, dass er überlegte und sich vorstellte, wie ich wohl so oder so aussehen würde. Ich blieb gelassen und ließ ihn machen. Nach einer Weile schlug er mir vor, meine Haare um ein ganzes Stück zu kürzen, sie um eine Nuance heller als meine natürliche Haarfarbe zu färben (ich hatte noch Reste von Blondierung drin) und den Scheitel auf die Seite zu verlegen. Ich sagte nur zu ihm, du machst das schon, ich bin zu allem bereit, was meine Haare betrifft. Er wusch sie dann erst einmal, ich kehrte zu meinem Platz am Spiegel zurück und ließ ihn machen. Er mischte eine Farbe an, die meiner Naturhaarfarbe recht gut entsprach, einen Tick heller war, und trug sie auf. Nach der Einwirkzeit spülte er sie ab, und jetzt konnte es erst so richtig losgehen.
Schnippschnapp, da war'n die Haare ab, oder so ähnlich, sie fielen und fielen, lange Strähnen, kurze Strähnen, da lagen sie also um mich herum auf dem Fußboden, meine Begleiter über eine lange Zeit. Lieb hatte ich sie gewonnen, aber die Liebe verging, als auch meine Liebe im realen Leben mich verließ. Also trennte ich mich davon, um auch äußerlich zu dokumentieren, dass ein neues Leben beginnt, ich eine andere bin. Ein bisschen sentimental war ich dann aber doch. Und so erzählte ich Alex meine Geschichte, die er sich anhörte, und ich hatte nicht das Gefühl, dass das in einem Ohr reinrauscht und im anderen wieder raus.
Nun waren also die Haare ab. Ich schaute noch garnicht so richtig hin, wollte erst das Endergebnis sehen und bewerten. Jetzt kam das Haarefönen dran, Alex benutzte kunstvoll die Rundbürste. Mein Gott, so kriege ich das zuhause nie hin, dachte ich. Beim Friseur sieht immer alles so einfach aus. Aber Alex zeigte mir später, wie ich doch ein fast identisches Ergebnis erzielen würde, gewußt wie. Das Fönen war geschafft, jetzt noch ein wenig hier und ein wenig dort gezupft, nachkorrigiert und dann fixiert. Ferdsch!
Ich schaute mich an, und was ich sah, war zunächst etwas fremd, aber es gefiel mir. Eine Frau mit einer Art Pagenkopf, glänzende Haare, vielleicht im ersten Moment etwas brav anmutend. Doch es kommt ja darauf an, was drinsteckt ;-) Ich war ein total anderer Typ geworden, aber es gefiel mir. Endlich versteckten die Haare nicht mein Gesicht, sondern sie zeigten es auf vorteilhafte Weise. Ich lächelte. Geschafft! Glücklich!
Ich könnte jetzt noch erzählen, dass die Engelslocke ein wenig orientalisch anmutet, Tapeten mit entsprechenden Mustern dort verklebt sind, der Raum sehr hoch ist, weil Altbau, dass die Bilder auf der Internet-Seite nicht mehr stimmen, denn zwischenzeitlich wurde renoviert. Geblieben sind die großen Spiegel, die Preise, die Freundlichkeit der beiden Mitarbeiter. So Dinge wie, einen Kaffee oder Wasser angeboten zu bekommen während des Besuchs, das erwähne ich noch so am Rande, aber das Wichtigste für mich ist, dass mir hier vernünftig die Haare geschnitten werden, dass ich mich wohlfühle. Das ist der Fall. Für mich immer nur bei Alex. Ist ähnlich wie eine Sandkastenliebe ;-)
p.s. ich habe jetzt noch fix 2 Fotos hochgeladen, allerdings nur auf die Schnelle mit dem Smartphone geknipst[verkleinern]