Alle Jahre wieder...
Es fängt damit an, dass es ohne Vorwarnung kalt wird, ohne Unterlaß regnet und ich morgens im Dunkeln das Haus verlasse und abends im Dunkeln heimkomme. Eines Morgens dann jedes Jahr DAS: Eis auf der Scheibe, Türschloß eingefroren. Nach fünf Minuten Fahrt sind meine Oberschenkel am Sitz angefroren, meine Finger rutschen am schmelzenden Eis auf dem Lenkrad ab.
Dann weiß ich, es dauert nicht mehr lange, und mißgelaunte städtische Bedienstete stellen wieder die alten... weiterlesen
fleckigen Holzkisten vom letzten Jahr auf die wenigen freien Plätze der Innenstadt, tackern Tannenreisig und ökologisch unkorrekte Glühbirnengirlanden dran und erklären den Weihnachtsmarkt für eröffnet. Jedes Jahr graben sie den gleichen Schausteller mit seinem abgenudelten Kinderkarussell aus den Sechzigern aus, der sonst nirgendwo mehr ausstellen darf mit seinen nicht gegenderten und scharfkantigen Feuerwehrautos und Schwanenschaukeln. Der immer gleiche Maronimann mit seinen verwurmten Maronis räuchert das Denkmal von Berthold Schwarz mit seinen Holzkohlen ein, dass man das Schießpulver gerade nochmal erfinden könnte und noch tagelang schwarze Finger hat - hast du unten in der Tüte auch immer die angebrannten alten Maronis oder macht er das nur bei mir?
Dann rücken sie an mit ihren alten Saftkochern und Gulaschkanonen - die angeschlagenen Henkelgläser kleben noch vom letzten Jahr - und rühren ihre Zuckerplörre mit minimalem Geschmacksanteil aus den Großmarkt-Tetras an. Huuiiih, dieses Jahr roter UND weißer Glühwein, Innovation! - Oder gab es das letztes Jahr nicht auch schon? Und - neben dem ewig bimmelnden und lärmenden Karussell das einzige weitere Zugeständnis an diese Zielgruppe - Toll, alkoholfreier Kinderpunsch; noch mehr Zucker, noch mehr künstliche Aromastoffe, kostet auch extra weniger. Jaah, die Preise mußten wie jedes Jahr wieder erhöht werden, weil wir Standbetreiber die Christuskrippe da hinten auf dem Markt sponsoren müssen - oder die Marktbeleuchtung, wer weiß das schon so genau... HEE, und natürlich ist der Pfand zu zahlen, wegen der Öko-Spülküche, ist doch alles für die Umwelt! Genau da fährt mir der Altgläserwagen auf dem Weg zur Spülküche über die Füße und hinterläßt einen rotklebrigen Streifen auf meinen Schuhen. Da habe ich auch schon einen Ketchupsenfklecks von diesen euterartigen Zapfschläuchen an der Würstchenbude, aus denen Senf oder Ketchup in alle Richtungen spritzt, nur nicht auf meine angekokelte Wurst. Bin aber eh schon satt, beim Schlangestehen vor dem Wurststand habe ich so viel Bratfettdunst und Acrylamid eingeatmet, dass es bis Weihnachten reicht. Der leicht schwarze Wurstzipfel in der staubtrockenen Wecke war sowieso noch vor dem Eutermelken schon wieder gefroren, wo ist hier der Mülleimer? Ahh, da, unter dem Haufen weggeworferner Würste, Crepes, Zuckerstangen, Waffeln und selbstgebackener Vollkorn-Weihnachtskekse, die dieses Jahr vom Waldorfkindergarten Vauban aus Elternspenden für die Dritte Welt oder einen anderen Bereicherungsverein verhökert werden. Ist doch egal, dass sie so schmecken wie sie aussehen, ist doch für einen guten Zweck! Der Mülleimer sollte gleich am Keksstand stehen...
Ohh, guck mal, Weihnachtssterne, da gibt es Weihnachtssterne! Aus Stroh, aus Holz, aus Glas, aus Filz, aus Blech. So tragfähige Weihnachtsbäume gibt es gar nicht, die diese ganzen Staubfänger aufnehmen könnten. Und das ganze Jahr gammeln sie dann unter meiner Werkbank und ich stoße mir die Füße dran.
Selbstgezogene Kerzen, wie schööön! Mit Mustern, und in allen Regenbogenfarben. Hmm, aber ein bischen streng riechen sie schon, diese Ökowachsdinger von glücklichen Bienchen. Und bei Aldi gibt es fast die gleichen für ein Viertel - komm, lass uns weitergehen.
Ja gerne, bloß wie? Ich stoße jetzt schon das dritte Mal in diesen speckigen Wollmantel da vor mir, während ich von hinten zum zweiten Mal die Crepe mit Nutella in den Nacken gedrückt kriege. So wenig Platz hier auf dem Weihnachtsmarkt, die Gassen sind aber auch zuu eng! Das hätten sie aber anders machen können, wenn sie schon alle umliegenden Straßen mit ihren Hütten zupflastern.
Noch´n Kerzenstand, ach schau, da sind noch zwei Glühweinbuden, ach schau, Alixe Winter verkauft immer noch ihren gefrorenen Wein, der wie alter Glühwein schmeckt, noch´n Holzschnitzer mit Behindertenwerkstatt, dessen Bretter und Kochlöffel sich zu Hause in der Küche stapeln. Zack, wieder im Vorbeigehen eine Wurst mit extra Senf am Ärmel, diesmal glaube ich war´s ´ne lange Rote.
Kalte Füße, ich habe hier immer kalte Füße, können wir uns nicht irgendwo reinsetzen? Nur noch die Gasse dahinten, ich glaube, da gibts die Filzpantoffeln, über die Opa sich letztes Jahr so gefreut hat, bis er mit ihnen ausgerutscht ist und sich den Oberschenkelhals gebrochen hat. Schade, dass er mit dem Rollator hier nicht durchkommt, das hätte ihm gefallen! Es sind aber auch zu viele Studenten hier. Und guck mal wie die den Glühwein wegziehen, der ganze Stehtisch ist schon voll mit leeren Gläsern. Kein Wunder dass beim Kinderpunsch die Gläser aus sind, die Spülküche kommt aber auch nicht nach, mit den Einwegbechern war das früher echt besser...
Und da hinten, der Steineschleifer mit seinen schön eingefärbten Achaten und den glitzernden Amethystdrusen, wie nett! Was hat das eigentlich mit Weihnachten zu tun, genau wie die Starwars-Laserschwerter da bei dem Stand mit den Knallplättchenrevolvern, eigentlich macht das die ganze schöne Stimmung kaputt...
Komm lass uns gehen, aber vor Weihnachten muß ich hier unbedingt nochmal hin, wegen den Filzserviettenringen, vielleicht sind die dann schon runtergesetzt...oh, Entschuldigung, hatte Sie mit der Zuckerwatte gar nicht gesehen, warten Sie ich heb Ihnen die auf, aaach, jetzt ist die Frau da draufgetreten - so was rücksichtsloses!
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