Münsters Altstadt ist reich – reich an Geschichte und vor allem auch reich an Kirchen. Vom Dom bis zur Lambertikirche am Prinzipalmarkt sind es nur wenige Schritte zu Fuß. Beide zollen ein wenig ihrer Zeit Tribut – der dunnemals so heiß geliebte und sehr gern verbaute Baumberger Sandstein korreliert nicht mit modernen Umweltbedingungen und verträgt keinen sauren Regen… Die einstmals gelblichen Sandsteinbauten werden von einem schwarzen Verwitterungsfilm überzogen und wirken ein wenig bedrückend... weiterlesen
und trist.
Auch die dritte Kirche im Bunde ist keine Ausnahme. Wieder Baumberger Sandstein, wieder extreme Witterungsanfälligkeit… Aber Stopp, da fehlt doch was… Während der Dom mit seinen zwei dicklichen romanischen Westtürmen eher massig dasteht und die Lambertikirche den schlanken Turm zum Himmel reckt, blickt man verwundert auf die Überwasserkirche…
Ein abgehackter Kirchturm schmückt das gotische Bauwerk. „Huch“ denkt sich der Laie. Kriegsblessur? Baufehler? Architektonische Neulandsentgleisung? Weder noch, so klärt eine kompetente Stadtführung auf…
Schon im Jahr 1040 wurde die Überwasserkirche, auch Liebfrauenkirche genannt, geweiht. Damals in kompletter Ausführung, Turm inklusive. Turm 1.0 sollte jedoch die Täuferzeit nicht überstehen. Während der großen Belagerung Münsters, die die Stadt um 1534/1535 in Qual und Chaos stürzte, ließ man den Kirchturm kappen und eine Plattform auf dem Turmstummel errichten. Der Zweck war simpel und wenig säkular… Die Reichweite damaliger Kanonen war sehr gering und konnte durch ausreichend hohe Platzierung mächtig gesteigert werden. So fiel Turm 1.0 einem Kanonenstand zum Opfer. Die wunderbaren gotischen Skulpturen wurden ebenfalls geopfert und zur Verstärkung der Stadtmauer in selbige gerammt.
Nachdem die Zeit der Täufer endgültig beendet war, wurde der Turm wieder aufgebaut. Version 2.0 sollte immerhin bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts halten, dann machte ein schwerer Orkan dem Turm erneut den Garaus.
Es hat wohl nicht sollen sein… Also beließ man fortan den Turmstummel und versuchte kein neuerliches Upgrade auf Version 3.0. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche schwer beschädigt und im Laufe der 60er wieder aufgebaut. Anfang der 70er erhielt die Kirche auch eine neue Orgel. Das Interieur ist, nun ja, im Pragmatismus der damaligen Zeit wiederaufgebaut worden und Pomp sucht man hier (trotz katholischer Zugehörigkeit) vergebens. Hübsche neugotische Figuren zieren das Westportal. Sehenswert!
Ebenfalls sehenswert sind die dezenten Dellen, die man in den Außenwänden des altehrwürdigen Gemäuers erkennen kann. Insbesondere in der Dämmerung und bei Dunkelheit im Schein der Beleuchtung sind flache Mulden erkennbar… Sie sind das Resultat feindlichen Beschusses durch Kanonen während der Täuferzeit. Hier kann der Sandstein seine Stärken ausspielen – das Zeug mag unendlich witterungsanfällig sein, aber seine Weichheit federt Kanonenkugeln einfach ab. Der Damaligen Segen, der Heutigen Fluch.[verkleinern]