Meine erste Begegnung mit dieser Skulptur fand unter nicht so schönen Umständen statt. An einem regnerischen und windigen Tag ging ich durch die Bochumer Innenstadt und kämpfte mit meinem Schirm, der sich selbstständig machen wollte. In der unmittelbaren Nähe der Pauluskirche sah ich dann einen großen tiefschwarzen Klotz. Das war die Skulptur, die mir in dem Moment so gar nichts sagte.
Ein paar Wochen später war ich wieder in Bochum an der Pauluskirche und sah mir die Skulptur genauer an.... weiterlesen Erstaunlicherweise war sie dieses Mal bedeutend heller, was an dem Material, aus dem sie gearbeitet wurde, liegt - Basaltlava. Basaltlava wird bei Feuchtigkeit um einiges dunkler als zum Beispiel der ebenfalls recht poröse Sandstein.
Dieses Mal machte ich mir auch die Mühe, Einzelheiten auszumachen. Es handelt sich um eine etwa 3m hohe blockhafte Skulptur, die eine ältere Frau darstellt, die von Kopf bis Fuß in ein durchgehendes Gewand gehüllt ist, das nur Gesicht und Hände freilässt. Das begründet auch die geschlossene Wirkung. Die Frau steht aufrecht, stützt sich aber mit ihrer rechten Hand auf einen Stock, der sich eng an ihrem Körper befindet. Der linke Arm ist erhoben, die Hand an die Stirn gelegt, als halte sie nach jemandem Ausschau. Die Figur steht auf einem Sockel mit der Inschrift 4. November 1944.
Später erfuhr ich, dass das der Tag war, an dem Bochum im zweiten Weltkrieg von den stärksten Bombenangriffen getroffen wurde, und dass jedes Jahr an diesem Tag ein Kranz zu Füßen des Mahnmals niedergelegt wird. Auf einer Tafel kann man noch folgende Widmung lesen: "Den Opfern von Gewaltherrschaft und Krieg 1933-1945". Die Skulptur selbst stammt aus dem Jahr 1955.
Der Titel "Trauernde Alte" gefällt mir nicht besonders, da ich keine gebrechliche alte Frau vor mir sehe, sondern eine Frau, die sich aufrecht hält und die Hoffnung nicht aufgegeben hat, sie wartet auf etwas. Damit liege ich aber abseits von den Interpretationen, die vorherrschen, da wird nur auf Resignation und Trauer verwiesen.
Ich würde die Art der Darstellung als realistisch bezeichnen, doch zeigen sich auch expressionistische Elemente - die Proportionen stimmen, scheinen aber hinter dem Ausdruck oder der Aussage zurückzutreten. Natürlich war ich deswegen auch neugierig auf den Künstler, und ich muss zugeben, dass ich ohne Informationen aus dem Internet nie auf Gerhard Marcks gekommen wäre. Ich hätte auf jemanden aus dem Umfeld von Edvard Munch getippt.
Zum Künstler:
Gerhard Marcks wurde 1889 in Berlin geboren und starb im Jahr 1981 in Burgbrohl. Er war der Onkel der erst diesen Monat verstorbenen Marie Marcks, einer sehr bekannten Grafikerin und Karikaturistin.
Marcks war Bildhauer und Grafiker, zu den Künstlern, die ihn beeinflussten oder mit denen er Kontakt pflegte, gehörten unter anderen Georg Kolbe, Walter Gropius und Lyonel Feininger. Er arbeitete als Lehrer an verschiedenen Instituten, mit den Nationalsozialisten bekam er Schwierigkeiten, was jeder verstehen wird, der sich einige seiner Werke ansieht, welche so gar nicht dem doch sehr sterilen und auf falsche Weise heroischen Geschmack der Machthaber entsprachen. So wurden viele seiner Werke als entartet eingestuft - wieviele zerstört wurden, kann ich nicht sagen. Natürlich war seine künstlerische Karriere dadurch sehr beeinträchtigt.
Nach dem Krieg arbeitete er in Hamburg, Köln, Berlin und München, für die Olympischen Spiele 1972 entwarf er die Rückseite der Medaillen. All das kann man aber viel detaillierter im Netz nachlesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Marcks
Wer Interesse hat, sollte sich auch mal seine Skulpturen ansehen, etwas Ähnliches wie die 'Trauernde Alte' ist da aber kaum zu finden, die kompakte Form ist in seinem Werk fast einzigartig.[verkleinern]