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Zum Berliner Nikolaiviertel (auch Nicolaiviertel, Nikolai-Viertel, Nicolai-Viertel genannt) ist hier zwar schon viel geschrieben worden, aber trotzdem noch eine Beschreibung aus Sicht eines Berliners, schließlich lebt ein Bewertungsportal ja von der Vielzahl der Meinungen.
Das Gebiet des heutigen Nikolaiviertels, gelegen am östlichen Spreeufer, ist uraltes Berliner Siedlungsgebiet – älter geht eigentlich nicht. Es ist die Keimzelle von Alt-Berlin (1244 erstmals erwähnt), das 1307 mit dem... weiterlesen Cölln (1237 erstmals erwähnt) am Westufer der Spree zur Doppelstadt Berlin-Cölln vereinigt wurde. 1710 wurde aus den Städten Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt die preußische Haupt- und Residenzstadt Berlin, bevor 1920 durch weitere Eingemeindungen das heutige Groß-Berlin entstand.
Die Namensgebende St. Nikolaikirche ist noch älter. Um 1200 wurde sie als spätromanische Kirche geweiht, um die herum es sicherlich schon vor der ersten urkundlichen Erwähnung von Berlin und Cölln eine Ansiedlung gab. Diese Siedlung um die Nikolaikirche war das alte und ursprüngliche Stadtzentrum Berlins, heute Nikolaiviertel genannt. Im Gegensatz zur sich entwickelnden Stadt bewahrte sich das Viertel über die Jahrhunderte seinen verwinkelten, mittelalterlichen Charakter. Angesichts der heute eingemauerten und kanalisierten Spree kann sich heute wohl niemand mehr vorstellen, wie es hier im Mittelalter ausgesehen haben mag.
Nur wenige repräsentativen Gebäude wurden später hinzugebaut (In der Renaissance das „Kurfürstenhaus“, im Rokoko das „Ephraim-Palais“ und das barocke „Knoblauch-Haus“). Bis ins 20. Jahrhundert änderte sich wenig im Nikolaiviertel. Die Wohnquartiere wurden als unwürdig und ärmlich beschrieben. Die Häuser waren in den 1930er Jahren größtenteils baufällig.
Die Nazis planten zur 700-Jahr-Feier Berlins und für die „Welthauptstadt Germania“ großzügig ein neues Nikolaiviertel. Umgesetzt wurden diese Pläne aber nicht. Das Ephraim-Palais wurde 1936 abgerissen und Teile der Fassade eingelagert. Die Nikolaikirche wurde 1938 zur Konzerthalle umgewidmet. Die Vernichtung des alten Nikolaiviertels übernahmen dann im 2. Weltkrieg die alliierten Bomber und die Straßenkämpfe während der Schlacht um Berlin.
Nach dem Krieg ließ die DDR-Führung die Ruinen der alten Bebauung abreißen, das Viertel lag größtenteils brach, ein Wiederaufbau war nicht vorgesehen. 1959 gab es Planungen, daß Nikolaiviertel in einen Binnenhafen umzuwandeln. Erst mit dem Näherrücken der 750-Jahr-Feier im Jahr 1987 änderte sich die Planung der DDR-Führung radikal.
Es wurde beschlossen, ein neues Nikolaiviertel auf den Grundrissen des alten Viertels aufzubauen. Dabei war eine Rekonstruktion nach historischem Vorbild nicht vorgesehen. Errichtet wurde ein Neubauviertel des DDR-Plattenbaus, wobei man sich bemühte, die historischen Fassaden ein wenig nachzuempfinden, soweit die industrielle Bauelementeproduktion dies gestattete. Bestehende alte Bauten wurden restauriert und integriert. Einige historische Gebäude wurden ortsversetzt rekonstruiert (z.B. Gaststätte Nußbaum, Ephraim-Palais – unter Verwendung der eingelagerten Original-Fassadenteile, Gasthaus „Zur Rippe“). Die kriegszerstörte Nikolaikirche wurde wieder aufgebaut und museal genutzt. Zur 750-Jahr-Feier wurde das Nikolaiviertel in Anwesenheit von Staats- und Parteichef Honecker eingeweiht.
Sofort entwickelte sich das Nikolaiviertel zu einem touristischem Zentrum und, zusammen mit dem benachbarten Palast der Republik, zu einem Schwerpunkt des hauptstädtischen Lebens. Vor allem die gehobene Gastronomie des Viertels fand regen Zuspruch (um Reservierungen wurde gebeten). Auch die Einzelhandelsgeschäfte hatten meist gehobenen Boutique-Charakter.
Nach der Wende kam zunächst, wie allerorten in der Ex-DDR, ein wirtschaftlicher Einbruch. Altbekanntes verschwand, neues kam hinzu. Aber in kurzer Zeit wurde aus dem Nikolaiviertel wieder ein Touristenhotspot im östlichen Stadtzentrum. Heute „steppt hier wieder der Bär“, wie der Berliner sagt. Zahlreiche Gaststätten und Biergärten erwarten ihre Gäste, Läden verschiedener Preiskategorien warten auf kauffreudige Kunden – und finden sie auch. In den Gaststätten und Biergärten findet vor allem in den Sommermonaten nur mit Glück einen Platz – fast wie zu DDR-Zeiten.
Ist man zur rechten Zeit am rechten Ort begegnen einem historisch kostümierte Figuren, bei denen der Alte Fritz nicht fehlen darf. Wenn man schon mal da ist, sollte man nicht einen Besuch beim Drachentöter St. Georg versäumen. Das bronzene Großdenkmal, ursprünglich aus dem Berliner Stadtschloss, steht heute auf der Uferpromenade an der Spree.
Verkehrsanbindung: Das Nikolaiviertel ist mit S-Bahn, U-Bahn, Regionalbahn, Straßenbahn- und Buslinien in der Nähe gut zu erreichen (z.B. Alexanderplatz). Für Autofahrer: Das Nikolaiviertel direkt ist für den Individualverkehr nicht befahrbar. Parkplätze sind von Montag bis Samstag parkraumbewirtschaftet.
Fazit: Der DDR ist es vor 30 Jahren gelungen, ein kriegszerstörtes Berliner Quartier neu zu beleben. Auf einen Wiederaufbau nach historischen Plänen hat man bewußt verzichtet, sondern man hat etwas Neues mit einem geschichtlichen Hintergrund geschaffen.
Mich als Berliner sieht das Nikolaiviertel allerdings nur noch, wenn Besuch durchs östliche Zentrum geführt werden will. Es zieht mich nichts in das Touri-Gedränge.
Für den historischen Ort 5 Sterne, für heutige Location 3 Sterne.[verkleinern]
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